1. Zurück in die Vergangenheit

Abends im Bett, nach Nutella-Brot und Badewanne, noch ein bisschen "Fünf Freunde" hören dürfen. Oder „In 80 Tagen um die Welt“. Oder Hui-Buh, das Schlossgespenst. Oder Karl May. Das kennen alle „Kassettenkinder“ von früher, aus den 70ern und 80ern. Und haben ihre eigenen Kinder mit Benjamin Blümchen, Bibi und Tina und Co. genauso konditioniert. Hörspiele sind ein lieb gewonnenes Ritual aus Kindertagen, zu dem man auch als Erwachsener gerne zurückkehrt. Entspannung, Nostalgie, Sozialisation spielen da wichtige Rollen. Und ob es im fortgeschrittenen Alter immer noch die Abenteuer von früher sein müssen oder eines der vielen modernen Hörspiele gezielt für ein erwachsenes Publikum, ist eigentlich egal. Das Ritual zählt.

2. Radio Days

Dass Hörspiele vor allem für Kinder gedacht sind, ist übrigens ein Mythos. Tatsächlich entstammen Hörspiele ursprünglich der Rundfunkzeit ab den 1930ern, als sich ganze Familien vor dem Radio versammelten und gebannt den dramatischen Inszenierungen lauschten. Bestes Beispiel: Orson Wells‘ „Krieg der Welten“, das so realistisch war, dass in New York Panik aufkam, es würden tatsächlich Aliens die Erde angreifen. Heute sind gerade solche Rundfunkhörspiele mit ihren markanten Erzählerstimmen, Orchestermusik und ihrem knackend angestaubten Schallplattenklang wieder Kult bei Erwachsenen.

3. Große Bandbreite für die Großen

Auch bei den neuen Produktionen sind Kinder nur noch ein kleiner Teil des Zielpublikums. Die Hörspiellandschaft für Erwachsene ist vielfältig: von aufwändig produzierten, rein für Audio geschriebenen Hörthrillern über Theaterstück-Adaptionen, von aus Tonspuren von Filmen geschnittenen Kinohörspielen bis hin zu herausfordernden, künstlerischen Extreminszenierungen ist die Bandbreite riesengroß. Neben nostalgischen Kultserien mit altmodischem Charme stehen moderne Trilogien oder Einzelproduktionen in Hightech-Qualität. Von Horror bis Serienmord, von erotisch bis literarisch, sind die Erwachsenen-Hörspiele von heute schon lange kein Kinderkram mehr.

4. Kopfkino

Wo Hörbücher bereits das Kino im Kopf anstoßen, lösen Hörspiele geradezu eine Imax-3D-Vorstellung aus. Action und Tempo kommen besonders gut zur Geltung. Die Skripte erinnern in ihren filmischen Szenen, mit ihren Schauplatzwechseln und lebensechten Dialogen an Drehbücher, und das Ergebnis fühlt sich auch genauso an wie ein Film – eben nur zum Hören statt zum Sehen. Wurde früher die Handlung oft von einem Erzähler erläutert, wird mittlerweile oft darauf verzichtet. Soundeffekte, cinematografisch choreografierte Szenen und eine von Anfang nur als Hörspiel geschriebene Story machen das überflüssig. Dadurch nimmt die Rasanz zu genau wie der Eindruck, etwas Reales in Echtzeit zu erleben. Sorgfältig gecastete Sprecher mit deutlich differenzierten Stimmen und Schauspielausbildung tun ihr Übriges, um den Kopfkino-Effekt zu unterstreichen.

5. Hightech

Vorbei sind die Zeiten, als schlechte Aufnahmequalität das Hörspiel als hölzernes Studio-Fake entlarvte. Moderne Hörspiele stehen dem „Ganzkörpererlebnis“ eines Mulitplexkinos nicht mehr nach. Neue Techniken, die Stimmen nachträglich in jede Drinnen-oder-Draußen Szenerie versetzen können, lassen alles verdammt echt wirken. 3D-Sound, wo Stimmen und Geräusche über Kopfhörer mal von links, von rechts oder gar hinten zu kommen scheinen, sorgen dafür, dass man mitten in der Geschichte sitzt. Wie im Kino, wird der Handlung eine Originalmusik auf den Leib geschrieben, die Spannung und große Emotionen hervorzurufen vermag. Das macht Hörspiele mehrdimensional und colorierter als Hörbücher – und auch einfacher zu hören, weil die eigene Phantasie nicht alles selbst heraufbeschwören muss, wie beim Hörbuch.

6. Hörsnack für Gehetzte und Multitasker

Zeit ist ein extrem kostbares Gut geworden, und wir müssen immer weniger davon auf immer mehr, teils gleichzeitige Aktivitäten verteilen. Hörspiele sind mit ihrer überschaubaren Länge gut geeignet, um kleine Slots im Tagesplan unterhaltsam zu füllen, und das, während man vielleicht noch etwas anderes nebenher macht. Ob im Auto oder in der Bahn, auf dem Weg zur Arbeit, beim Haushalt, beim Sport – Hörspiele sind gut verdauliche Hörsnacks, die sich in einem vollen Tag unterbringen lassen, ohne mittendrin abbrechen zu müssen. Und sind in digitaler Form per Handy oder MP3-Player überallhin leicht mitnehmbar.

7. Du hast die Wahl: Hörbuch oder Hörspiel?

Mittlerweile hat man immer öfter die Wahl, sich eine gute Geschichte entweder als vorgelesenes Hörbuch mit einem Sprecher, oder als inszenierte Hörspieladaption anzuhören (z.B. Passagier 23 oder die Waringham-Saga). Oder beides hintereinander, da jedes Medium seinen eigenen Reiz bietet.
So lässt das Hörbuch besser zwischen den Zeilen lesen und uns in den Kopf der Figuren schauen, während beim Hörspiel-Hören die Handlung, die Atmosphäre und die Höremotion ganz andere Elemente derselben Geschichte hervorheben. Jeder kann so sein bevorzugtes Medium wählen, Spaß beim Vergleich haben oder eine vertrautes Buch noch einmal ganz anders erleben.

8. Grenzgänger – Theaterstücke, Live-Aufnahmen, Dokus

Unter Hörspiel versteht man längst nicht nur die gängige, von Musik und Geräuschen untermalten und von Schauspielern im Studio eingesprochenen Dialoge. Hörverlage sehen den Begriff noch einmal anders und machen die Differenzierung zum Hörbuch erst gar nicht. Die Grenze ist einfach zu unscharf. Denn wo platziert man die Live-Aufnahme eines Comedian, z.B. Jürgen von der Lippe? Wo dokumentarische Inszenierungen, bei denen sich Tonspuren abwechseln mit vorgelesenen Dokumenten? Und dann sind da noch Hörbücher mit Sprechern, deren Stimmen ein gesamtes Ensemble abdecken – wie z.B. Rufus Beck oder Stefan Kaminski. Mit Musik untermalt, kann man diese Grenzgänger auch schon fast als Hörspiel bezeichnen.

9. Für Jäger und Sammler – John Sinclair & Co.

Hörspiele gibt es zwar als Einzelwerke, aber am beliebtesten sind die Serien. Und wo eine Serie läuft, da entwickelt sich auch eine Fangemeinschaft. Manch eine Hörspielreihe wird zum Kult mit eigenen Conventions, Live-Vorstellungen, zugehörigem Merchandise und Spin-Offs. Seit Jahrzehnten macht z.B. Geisterjäger John Sinclair Untoten, Vampiren und sonstigen Monstern den Garaus. Ursprünglich auf Groschenromanheftchen beruhend, gibt es die Reihe jetzt in verschiedenen Varianten seit 1973. Seit 2015 wird sie gar durch James Bond-Synchronsprecher Dietmar Wunder als John Sinclair geadelt, und ein Ende ist nicht absehbar. Ähnliches gilt für Reihen wie das Gruselkabinett, aber auch jüngere Serien wie die „Sonderermittler der Krone“, in denen Microft Holmes und Oscar Wilde die Faszination der Sherlock Holmes-Geschichten wieder auferstehen lassen.

10. Klassiker neu entdeckt

Wer von uns hat sich im Deutsch- oder Englischunterricht nicht von irgendwelchen verstaubten Theaterstücken quälen lassen müssen, die sich in Reclam-Gelb in unsere Erinnerung gebrannt haben? Aber als Erwachsener sieht man ja vieles anders, und da bieten moderne Theater-Hörspieladaptionen einen neuen Zugang. Sachte umgeschrieben, emanzipiert interpretiert oder um Actionszenen erweitert, können beliebte Hörspiele wie „Macbeth: Ein Epos“ oder „Julia und Romeo“ echte Augenöffner sein und so manchen Klassiker-Allergiker kurieren. Oder wie wäre es mit „Die Räuber REMIXED“? Ein modernes Setting und bekannte deutsche Popmusiker am Mikro werfen ein ganz neues, lebendiges Licht auf die trockenen Zeilen von damals.

Das sind nur 10 Gründe und mehr als eine Handvoll Beispiele, die hoffentlich deutlich machen, warum Hörspiele den Kinderschuhen entwachsen sind – ja, von Anfang an eigentlich für Erwachsene gedacht waren! Euch fallen bestimmt noch mehr Gründe ein, warum man Hörspiele hören soll, oder?

Unsere Tipps fürs nächste Erwachsenen-Hörspiel:

ALIEN - In den Schatten: Die komplette 1. Staffel
Monster 1983: Die komplette 1. Staffel
Macbeth: Ein Epos
Julia & Romeo
Ghostsitter: Die komplette 1. Staffel
Robin - Die Flucht
Die Zwerge, Teil 1
Sartana - noch warm und schon Sand drauf
Der Herr der Ringe. Das Hörspiel