Ein Leben, das früh von Krieg, Verlust, finanzieller Not und Umbruch gezeichnet wird. Ein Autor, der phantastische Welten erschafft, die weltweit Millionen Leser begeistern. Und der von Kritikern auf das Gleis „Kinderbuchautor“ abgeschoben wird: Michael Ende. Am 12. November 2019 wäre er 90 Jahre alt geworden.

Über den Vorwurf, seine Bücher würden Kinder nicht auf das richtige Leben vorbereiten, ärgerte sich Michael Ende zeitlebens. Es scheint, als hätten ihn seine Kritiker nie richtig gelesen. Denn Ende kommt seinem pädagogischen Auftrag nach: Seine Romane sind kritisch, am Puls der Zeit und politisch.

Seine Lebensgeschichte ist ebenso inspirierend wie berührend.

Als Sohn von Edgar Ende, Maler, und Luise Bartholomä wächst Michael in einer Familie auf, in der Fantasie, Kunst und Literatur ihn umgeben wie die Luft. Die Beziehung zu seinen Eltern ist von tiefer Verbundenheit geprägt. Mit seinem Vater erörtert Michael Ende stundenlang religiöse und philosophische Fragen. Vor allem die surrealistische Kunst des Vaters beeindruckt Michael Ende bereits früh. Die Welt der Kunst kommt dem kleinen Michael wirklicher vor, als die Realität. Diese Sichtweise spiegelt sich auch später in seiner Literatur wider. Sein Heranwachsen inmitten der Münchner Künstlerszene verstärkt diese Entwicklung.

Michael Ende – eine Kindheit im Krieg

Ende erlebt die Zeit des Zweiten Weltkriegs als Heranwachsender. Die Geschehnisse dieser Jahre prägen den Autor nachhaltig: Die Werke seines Vaters fallen unter die entartete Kunst, er darf nicht mehr arbeiten. Freunde und Kollegen der Familie werden in Konzentrationslager abgeführt. Michael erlebt einen Bombenangriff auf München, der seiner Kindheit ein plötzliches Ende bereitet. Der junge Ende nimmt Bilder in sich auf, die ihn lebenslang begleiten. Später wird er erzählen:

"Unsere Straße stand völlig in Flammen. Das Geräusch, das dabei entstand, war kein Prasseln, es war eine Art Heulen. Das Feuer heulte. Ich erinnere mich, ich bin wie ein Betrunkener durch die brennende Straße gelaufen und habe gesungen. Es war eine Euphorie, die mich erfasste. Ich kann mir das bis heute nicht ganz erklären. Es fehlte nicht viel, und ich wäre in das Feuer hineingesprungen wie eine Mücke, die ins Licht fliegt."

Michael Ende

1943, als er seinen Onkel in Hamburg besucht, erlebt Michael Ende einen weiteren schrecklichen und einschneidenden Luftangriff der Alliierten. So bald wie möglich setzt der Onkel den Jungen in einen Zug nach München. Dort schreibt Michael in völliger Ohnmacht und Angst sein erstes Gedicht.

Michael Ende und seine Eltern überleben den Krieg körperlich unbeschadet. Dennoch prägen die Jahre den Jungen und seine Auffassung von der Wirklichkeit entscheidend. Er neigt zu Mutlosigkeit und Schwarzmalerei.

Doch auch seine ersten literarischen Gehversuche entspringen dieser Zeit, in der er beginnt, sich mit Lyrik auseinanderzusetzen. Er schreibt, lernt und liest alles, was ihm in die Finger fällt. Michael lernt dabei die Gedichte Novalis‘ kennen, dessen Hymnen an die Nacht ihn stark beeinflussen.

Von der Bühne in die Krise

Die Fiktion hilft Michael Ende dabei, die Geschehnisse des Krieges zu verarbeiten. Er schreibt sein nie aufgeführtes Erstlingswerk, das er Hiroshima widmet: Denn die Stunde drängt. Rückblickend wird er über seine eigenen Stücke sagen, sie seien „allzu pathetisch ...und schrecklich gedankenbeladen" gewesen.

Neben Theaterstücken versucht sich Ende an Gedichten und kleinen Erzählungen. Sein Herz brennt jedoch für die Bühne. Daher beginnt er 1948 eine Schauspielausbildung in München mit der Motivation, so bessere Stücke zu schreiben. Diese Zeit erlebt Ende als nüchtern und enttäuschend, betrachtet sie später jedoch als wichtige Lernerfahrung. Während der Lehrzeit entwickelt sich Ende bedeutend weiter. Nicht zuletzt durch die Theorien von Berthold Brecht, die den jungen Schriftsteller einnehmen und stark beeinflussen. Doch nachdem er Mitte der Fünfziger Jahre das unveröffentlichte Stück Die Hässlichen verfasst hat, gerät er gerade wegen Brecht in eine künstlerische Krise. Ende kommt zu der Auffassung, dass Brechts Episches Theater die einzige überzeugende Art darstellt, für die Bühne zu schreiben. Dann stellt er jedoch fest, dass Brecht selbst sich in seinem Schaffen nicht groß um die eigenen Theorien schert.

Turbulenzen im Privatleben

Auch in Michael Endes Privatleben gibt es in dieser Zeit einschneidende Veränderungen. So muss er die Trennung seiner Eltern erleben, für die ihn sein Vater mit verantwortlich macht. Die gegensätzlichen Ansichten über Kunst hätten mit zu der Entscheidung geführt, der Familie den Rücken zu kehren und mit seiner Studentin zusammenzuziehen – so Edgar Ende. Die Trennung trifft Michael schwer, auch, da seine Mutter in Folge mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Von nun an muss Michael Ende sich und seine Mutter versorgen.

Ein Lichtblick in dieser Zeit ist die Begegnung mit seiner späteren Frau: die acht Jahre ältere Schauspielerin Ingeborg Hoffmann, „rothaarig, feurig, schick“, wie Michael sie beschreibt. Mit einem Mörike-Zitat beeindruckt sie den jungen Schriftsteller, der an jenem Abend den Barkeeper mimt. Sie merken sofort: Sie sind auf einer Wellenlänge. Die intensiven Gespräche des Abends werden 33 Jahre andauern, bis zu Ingeborgs Tod 1985. Die Beziehung und Ehe gibt beiden ebenso viel Kraft wie sie raubt. Mit Ingeborg trifft Ende seine wichtigste Gesprächspartnerin, auch in künstlerischen Fragen.

Jim Knopf: Das Abenteuer des Schreibens

Die Erfolgsgeschichte von „Jim Knopf“ beginnt mit wie alle Geschichten mit einem Satz:

"Ich setzte mich also an meine Schreibmaschine und schrieb: Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, war nur sehr klein. Das war der erste Satz, und ich hatte nicht die geringste Vorstellung, wie der zweite heißen würde. Ich hatte keinerlei Plan zu einer Geschichte und keine Idee. Ich ließ mich einfach ganz absichtslos von einem Satz zum anderen, von einem Einfall zum nächsten führen. So entdeckte ich das Schreiben als ein Abenteuer. […] Und als ich endlich, etwa zehn Monate später, den letzten Satz schrieb, lag ein dickes Manuskript vor mir."

Michael Ende

Das 500 Seiten starke Manuskript, das Endes Durchbruch bedeuten wird, wird zunächst von mehr als zehn Verlagshäusern abgelehnt. Seine Frau übernimmt die Initiative. Sie handelt eine Zusammenarbeit zwischen Ende und dem K. Thienemanns Verlag aus. Aus dem dicken Buch werden zwei Titel. Für den ersten Band Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer erhält Michael Ende 1960 überraschend den Deutschen Jugendbuchpreis. Das Preisgeld – 5000 Mark – lindert die finanziellen Sorgen des Autors. Kurz darauf schießen die Verkaufszahlen des Buches in die Höhe. Endes Leben verändert sich schlagartig. Es folgen weitere Preise und zwei Jahre später der zweite Band der Geschichte: Jim Knopf und die Wilde Dreizehn. Die Augsburger Puppenkisten führt das Stück auf, die Aufnahmen werden über Rundfunk ausgestrahlt, die Abenteuer um Jim Knopf in viele Sprachen übersetzt.

Doch Ende kommt mit dem Ruhm nicht zurecht. Auch die immer stärker werdende Eskapismus-Debatte – Vorwürfe, seine Bücher würden Kindern zur Realitätsflucht verhelfen – bedrückt den Autor und führt ihn schließlich aus seiner Heimat weg nach Italien. Hier fühlt er sich freier und diese Ungezwungenheit beflügelt den Schriftsteller von Neuen.

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
Jim Knopf und die Wilde 13

Vom Erfolg verwöhnt – und doch nicht glücklich

1973 erscheint Momo. Der Roman erhält zahlreiche Preise und wird in über 20 Sprachen übersetzt. Hinter dem Erfolgsbuch stecken sechs mühevolle Jahre. So lange arbeitete sich Ende an einer Frage ab, auf die er einfach keine Antwort fand:

Ich hatte fast alle einzelnen Szenen aus der Momo schon fertig. Ich hatte die Figuren, ich hatte auch schon einzelne Kapitel geschrieben, konnte das Buch aber sechs Jahre nicht fertigschreiben, weil mir eine einzige Regel noch fehlte. Die Frage hieß ganz einfach: 'Wenn die Zeitdiebe, die Grauen Herren, allen Menschen ihre Zeit stehlen können, warum können sie sie der Momo nicht stehlen?'

Michael Ende

Ein Einfall beim Frühstück – die Zeitsparkasse – rettet den Roman schließlich.

Momo

Von Gauklern und fremden Welten

Im Jahr 1976 wendet sich Ende wieder dem Theater zu. Er schreibt Das Gauklermärchen. Es ist eine der Geschichten, die Ende über die Vorwürfe hinweghilft, er würde sich nicht ausreichend mit der Realität auseinandersetzen. Die Figuren der zunächst unveröffentlichten Erzählung besitzen für ihn ganz besondere Bedeutung: Ein Zirkusartist und ein Gaukler stehen für Ende sinnbildlich für die Funktion von Kunst.

Wenig später erhält Ende in Italien Besuch von seinem Verleger. Der Grund: Ein neues Buch muss her. Der eigensinnige Autor holt Notizen mit Ideen hervor, die er in einem Schuhkarton sammelt. "Ein Junge gerät beim Lesen einer Geschichte buchstäblich in die Geschichte hinein und findet nur schwer wieder heraus", darauf einigen sich die beiden Männer. Eine Geschichte, rund 100 Seiten. Bis Weihnachten soll sie fertig sein. Doch Ende verliert sich gemeinsam mit Bastian, dem Protagonisten der Geschichte, im geheimnisvollen Phantásien. Immer neue Ideen lassen den Stoff explodieren. Die Seitenanzahl wächst und wächst, Ende kann den Termin nicht einhalten. Der Autor bangt abermals um seine künstlerische Existenz.

Die unendliche Geschichte erscheint endlich 1979 und ist der Startschuss zum internationalen Ruhm des Autors. Es folgen zahlreiche Lesereisen. Doch sie belasten und ermüden den Autoren mehr, als dass der Erfolg ihm Freude bereitet.

Die unendliche Geschichte

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Ende über Zeitgeist und den Tod seines Vaters

1982 meldet sich Ende inmitten der Friedensmärsche gegen atomare Aufrüstung als zeitkritischer Autor zurück. In Phantasie/Kultur/Politik verarbeitet er eine politische Gesprächsrunde. Nur ein Jahr später erscheint sein Buch Der Spiegel im Spiegel, das er seinem verstorbenen Vater widmet. Es dient Michael Ende dazu, sich mit Edgar Ende auseinanderzusetzen. Wie die surrealistischen Gemälde seines Vaters sind die einzelnen Erzählungen des Buches zwar für sich genommen stimmig. Jedoch sind sie auch alle miteinander verwoben, ohne dem Prinzip der Kausallogik zu unterliegen. Ende entwickelt eine neue Art von Dramaturgie.

Der Spiegel im Spiegel (1. Staffel)

Endes Werk im Kino

Die unendliche Geschichte. Vier Jahre Verhandlungen, Streit und Ärger liegen hinter Ende. 60 Millionen Dollar sind die Produktion geflossen, der Ende nach erster Sichtung des Ergebnisses zornig seinen Namen entzieht. Seine Geschichte werde unverhältnismäßig banalisiert, lautet sein Vorwurf. Sein vernichtendes Urteil: "Ein gigantisches Melodram aus Kitsch, Kommerz, Plüsch und Plastik" und "eine Mischung aus E.T. und The Day After". Er distanziert sich öffentlich vom Film.

Nur zwei Jahre später folgt die Verfilmung von , in der Ende selbst die Rolle des Erzählers im Zugabteil übernimmt. Mit dem Film ist Ende zwar zufrieden, da er „in die richtige Richtung“ geht, aber ganz glücklich ist er noch nicht. Mit Abstand betrachtete er den Film als eine „Verharmlosung der Geschichte“. Den Film diskutiert Ende niemals öffentlich. In dieselbe Zeit fällt der Tod seiner Frau Ingeborg.

Kritische Stimmen um Ende

1993, nachdem Die Vollmondlegende veröffentlicht wird, überschreitet die Gesamtauflage von Endes Werken die 15-Millionen-Marke. Trotz dieser imposanten Zahl ignorieren die angesehenen Literaturkritiker den Autoren nahezu vollständig. Selbst seine Erwachsenen-Literatur wird, wenn überhaupt, unter dem Schlagwort Kinderbuch rezensiert. Ende erklärt es sich wie folgt:

"Man darf von jeder Tür aus in den literarischen Salon treten: aus der Gefängnistür, aus der Irrenhaustür oder aus der Bordelltür. Nur aus einer Tür darf man nicht kommen, aus der Kinderzimmertür."

Michael Ende

Seine Werke werden von den Kritikern als „Phänomen Ende“ abgetan, insofern sie überhaupt Erwähnung finden. Eine literarische Einschätzung bleibt aus.

Die letzten Jahre

Seine letzten Lebensjahre, die frühen 90er, verbringt Ende an der Seite seiner zweiten Ehefrau Mariko Sato. Ende lernt Sato bereits Ende der 1970er Jahre kennen. Sie übersetzt Endes Werke ins Japanische und unternimmt mit dem Autor einige Reisen in ihr Heimatland. Japan und seine Kultur zieht Michael Ende in seinen Bann und so verbringt er seine letzten Jahre auch mit Reisen in das ferne Land.

Ärzte diagnostizieren 1994 Krebs. Trotz Operationen und Chemotherapie verliert Ende den Kampf gegen die Krankheit und stirbt am frühen Abend des 28. Augusts 1995 im Alter von 65 Jahren in der Filderklinik bei Stuttgart. Wie schon sein Vater, hat auch Michael Ende bis zuletzt

"überhaupt keinen Zweifel, dass es hinter der Welt der sinnlichen Wahrnehmungen eine oder viele andere Welten gibt, die wir zwar mit den Sinnen nicht wahrnehmen können, die aber ebenso wirklich sind, oder vielleicht sogar noch wirklicher".

Michael Ende

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