Sie heißen Maria, Ava, Rachael oder Sophia. Sie tummeln sich in Literatur, Film und immer öfter auch in der Realität. Doch eines haben fast alle weiblichen Androiden (korrekt wäre "Gynoiden") gemeinsam: Sie sind als Sex- oder Liebesobjekte angelegt.

Von der Antike bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts war die Rollenverteilung dabei eindeutig. Ein Mann schwingt sich zum Schöpfer-Gott auf und erschafft einen weiblichen Maschinenmenschen. Ob Statue, Automaten-Frau oder Fembot: Die herzlose Sexbombe soll ihm als devote und willige Partnerin dienen. Doch während er sich in seine Schöpfung verliebt, unternimmt sie jeden erdenklichen Versuch, sich aus seiner Macht zu befreien. Was meistens für einen der Beteiligten tödlich endet.

In der Antike geht die Geschichte noch glimpflich aus. In Ovids Metamorphosen begehrt der von den Frauen enttäuschte Bildhauer Pygmalion eine von ihm geschaffene Statue. Die Göttin Venus hat Mitleid mit dem Liebeskranken und erweckt die steinerne Schönheit zum Leben. Die beiden heiraten und Galatea bringt sogar eine Tochter zur Welt – Happy End, Tusch, Vorhang. Von Schlegel über Rousseau bis hin zu Eichendorf, Keller und Goethe hatten die Dichter diesem Ausgang der Geschichte nicht viel hinzuzufügen. Das Patriarchat stand auf festen Beinen.

Erst der erklärte Feminist Bernhard Shaw bemerkte, dass es in dieser Beziehung ein Machtgefälle gibt. In seinem Theaterstück Pygmalion von 1913 verlässt das Kunstgeschöpf seinen Schöpfer. Wobei Eliza ein quicklebendiges Blumenmädchen ist, dem der Sprachprofessor Henry Higgins lediglich eine gehobene Ausdrucksweise beibringt. Ein feiner Unterschied. Clannon Miller hat dieser Story übrigens in Pygmalion: Perfekt unverliebt ein witziges – und erotisches – Update verpasst.

Metamorphosen - Erzählt nach den Geschichten des Ovid
Pygmalion: Perfekt unverliebt

Doch zurück zur Robo-Liebe. Die Beziehung zwischen Mensch und Maschine wird spätestens ab dem 20. Jahrhundert konfliktreich. Man muss weder Literatur- noch Genderwissenschaftler sein, um hinter diesem Topos die männliche Angst vor weiblichem Autonomiestreben sowie einer als unkontrollierbar empfundenen Sexualität zu erkennen. Diese Furcht mischt sich mit der Angst vor Technik oder der Zukunft ganz allgemein.

Prof. Dr. Eva Kormann, die zum Thema forscht, präzisiert: „Die Angst vor dem Unkontrollierbaren, Unberechenbaren, wird abgespalten und dem anderen, also Weiblichen zugeschrieben.“ Als frühes Beispiel führt sie E.T.A Hoffmanns Nachtstück Der Sandmann von 1816 an, in dem sich der narzisstische Student Nathanael in die Automaten-Frau Olimpia verliebt.

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Der Sandmann

„Die Vorstellung, dass der Mensch nur eine komplizierte Maschine sei, war in der Zeit der Aufklärung eine fortschrittliche, neue Idee. In E.T.A. Hoffmanns „Sandmann“ geht es in der Spätromantik um Ablehnung und Angst vor der radikalen Aufklärung. Dieses Thema ist durch die Fortschritte in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz wieder ganz aktuell“, so Dr. Eva Kormann.

Nur zwei Jahre nach Olimpia erblickt ein weiterer ikonischer Maschinenmensch das Licht der Welt, der auf den ersten Blick das Gegenstück zur attraktiven Roboter-Frau darstellt: Es ist der namenlose männliche Android, den ein ehrgeiziger Wissenschaftler namens Viktor Frankenstein erschafft – wohl nicht zufällig das Produkt weiblicher Phantasie.

Frankenstein

Doch auch in Mary Shelleys einflussreichen Schauerroman geht es im Kern um die Angst des männlichen Forschers vor dem Kontrollverlust. Frankenstein verweigert seiner Schöpfung eine Gefährtin, die das Monster lieben könnte – vorgeblich aus Angst, dass beide Kinder zeugen könnten. Hier stellt also die weibliche Fruchtbarkeit den ultimativen Kontrollverlust dar. Ein Psychologe würde Viktor Frankenstein wohl lupenreinen Gebärneid attestieren.

"Hinter all diesen künstlichen Ersatzfrauen lässt sich die Sehnsucht des Mannes ausmachen, die weibliche Sexualität zu beherrschen, was mit seiner Angst vor der andersartigen Natur der Frau zusammenhängt, insbesondere ihrer Fähigkeit, Leben hervorzubringen."

Dr. Rudolf Drux

Weibliche Androiden in Realität und Film

Mittlerweile sind Androide in der Realität angekommen – doch Geschlechterstereotype sind in der Robotik offenbar so wirksam wie nie. Repliee Q1 etwa, Forschungsroboter an der Universität Osaka, ist einer attraktiven jungen Frau nachempfunden, ebenso Sophia und Elenoide. Auch die körperlosen Assistentinnen Siri und Alexa tragen weibliche Namen und Stimmen. Warum eigentlich?

Die Antwort liegt auf der Hand: Die Tech-Branche ist männlich dominiert, auf Anwender- wie auf Herstellerseite. „Wäre das nicht so, gäbe es neben Alexa vielleicht auch Alexander“, vermutet Dr. Eva Kormann. Warum Roboter überhaupt ein Geschlecht haben müssen, fragen sich offenbar nur wenige Roboterforscher.

Das Klischee von der sexuell verfügbaren, zugleich aber kühl berechnenden Androidin hielt sich vor allem im sonst so innovationsfreudigen Science-Fiction-Film hartnäckig: von Maria aus „Metropolis“ über das „Basis-Lustmodell" Pris in „Blade Runner“ bis hin zu Ava in „Ex Machina“.

Allerdings stellt sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer drängender die Frage: Wann ist eine Maschine so menschlich, dass ein Mensch sie nicht mehr „einfach so“ zur Bedürfnis-Befriedigung benutzen darf? Ist es nicht langsam Zeit für eine Emanzipation der Androiden?

Echte Rechte für künstliche Menschen

Auch den Autor Karl Olsberg treibt diese Frage um. In seinem aktuellen Roman Neopolis, der in einer nur noch 20 Jahre entfernten Zukunft spielt, fordern „Artificial Rights“-Aktivisten Persönlichkeitsrechte für virtuelle Assistenten, die im Buch Dschinns genannt werden. Jeder Bürger und Tourist in Neopolis hat einen solchen virtuellen Begleiter, der Fragen beantwortet und Wünsche erfüllt – auch erotische. Menschrechte für Computerprogramme? Olsberg selbst findet diese Forderung nur konsequent, wie er in einem Interview hier im Audible Magazin verriet.

Die Stadt aus Licht

Der männliche Android im Liebesrausch

Und wie ist es um die Beziehung zwischen Maschinenmann und Menschenfrau bestellt? Die Konstellation ist deutlich seltener, aber es gibt sie. Feststellen lässt sich: Künstliche Männer lieben durchaus – im Gegensatz zu den Gynoiden, die Gefühle meist nur simulieren. Wenn sie aber lieben, dann auf äußerst besitzergreifende Art.

Ein aus freudianischer Sicht bemerkenswerter Fall ist der Cyborg Shrike aus Philip Reeves Mortal Engines. Gnadenlos jagt er sein einstiges Ziehkind, die Heldin Hester Shaw, über den postapokalyptischen Kontinent. Sein Ziel? Er möchte seinen Schützling von menschlichem Leid befreien und ebenfalls in eine gefühllose Maschine verwandeln, die dann als Ersatztochter für immer bei ihm bleiben kann. Erst als Shrike erkennt, dass Hester ihr Herz an den trotteligen Teenager Tom verschenkt hat, kollabiert er und haucht vor Hesters tränenblinden Augen sein Maschinen-Leben aus.

Krieg der Städte

Nun lädt Shrike - rein äußerlich eine abstoßende Mischung aus Terminator und Zombie - nicht eben zu erotischen Phantasien ein. Doch wer meint, dass Leserinnen und Autorinnen den stählernen Muskeln mechanischer Körper grundsätzlich keine Reize abgewinnen können, irrt. Jedenfalls gibt es seit einigen Jahren auch Bücher, in denen ein männlicher Androide oder Cyborg zum Objekt sexueller Begierde wird.

Etwa in Jenny Fosters Erotik-Roman Der Cyborg. Auf den ersten Blick entspricht der männliche Held dabei dem Klischee des etwas tumben, emotionslosen Muskelprotzes à la „Terminator“. Doch dann zeigt der Maschinenmann sich durchaus als sensibles Geschöpf. Völlig klar: Hinter einer harten Schale verbirgt sich im Liebesroman noch immer ein weiches Herz, auch wenn es nur aus Einsen und Nullen besteht. Der Cyborg als besserer Mann?

Der Cyborg

„Wenn ich ein pessimistisches Menschenbild habe, kann mir der Androide durchaus als besserer Mensch erscheinen – denn er hat keine Bedürfnisse und ist darum moralisch nicht korrumpierbar“, so Dr. Eva Kormann. „Das funktioniert natürlich nur, wenn ich darauf vertraue, dass man ethische Fragen in ein binäres System auflösen kann. Dahinter steht eine Sehnsucht nach Komplexitätsreduzierung und einfachen Antworten.“ Die Frage ist nur: Woher bekommt die Maschine ihren moralischen Kompass? Richtig: von einem defizitären Menschen-Mann.

Cyborg-Liebe jenseits des binären Geschlechtermodells

Und wie sieht es jenseits der Heteronormativität aus? Donna Haraway äußerte schon 1985 in ihrem „Cyborg-Manifesto“ die Hoffnung: "Der Cyborg als imaginäre Figur und als gelebte Erfahrung verändert, was am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts als Erfahrung der Frauen zu betrachten ist." 35 Jahre später scheint sich diese Annahme – zumindest in der Literatur – nun langsam zu erfüllen.

In Tom Hillenbrands Hologrammatica etwa geht Galahad, der homosexuelle Protagonist, eine Beziehung mit dem „Quant“ Fran ein. Ohne zu wissen, ob Fran Mann oder Frau ist. Denn Menschen können in dieser Zukunftsvision ihren Geist – ihr „Cogit“ - auf einen Quantencomputer übertragen und in einen Klon-Körper transferieren. Äußerlich trifft Fran ganz den Geschmack seines neuen Lovers – doch Galahad muss sich damit abfinden, dass er Frans wahres Äußeres ebenso wenig kennt, wie sein Geschlecht. Was er erfrischenderweise auch tut.

Hologrammatica

Im angloamerikanischen Sprachraum ist man in dieser Hinsicht noch einen Schritt weiter. Immer öfter finden sich hier im Science-Fiction-Roman Protagonisten, die die Grenzen zwischen Natur und Technik ebenso spielend überwinden wie die zwischen den Geschlechtern.

Shadows of Aggar: Amazons Unite Edition
The Harbinger
Earth Fathers Are Weird
Among the Living
A Date with Angel: And Other Things That Weren't Supposed to Happen

Android, schwer verliebt

Wie werden wir in Zukunft lieben? Diese Science-Fiction-Visionen finden auf diese Frage faszinierende Antworten.