Anna Basener Interview

Anna, Königin Victoria wurde vor 200 Jahren geboren. Das ist aus zwei Gründen interessant, wie ich finde. Zum einen war sie eine der ersten sichtbaren mächtigen Frauen der Welt. Zum anderen ist es fast unglaublich, dass es immer noch Königshäuser gibt. Was fasziniert uns so am Adel?

Beim Adel geht es immer um Verbundenheit. Da ist jeder mit jedem verbunden, die werden alle schon in ein Netzwerk aus Beziehungen hineingeboren. Das ist Connection meets Vitamin B – und es ist Druck. Denn leider kann man sich nicht einfach dagegen entscheiden, Prinz Harry zu sein. Und man ist nie nur Prinz Harry, man ist der Enkel der Queen, direkter Nachfahre von Queen Victoria, man ist verwoben mit tragischen und bedeutsamen Biographien. Beziehungen bedeuten Geschichten, und die gehen unter Royals eben hunderte Jahre zurück bis an politische Wendepunkte.

Fasziniert dich der Adel auch so? Immerhin hast du dich am Audible Original Podcast Gala Royal beteiligt.

Ja, der Adel fasziniert und interessiert mich, weil dieses Story-Geflecht dann auch noch in Glamour verpackt ist. Einerseits ist es tragisch, das zum Beispiel Sisi nie aus der ihr vorgeschriebenen Rolle rauskam, sie hat wirklich massiv gelitten, aber trotzdem funkelt sie bis heute. Schicksal und Glamour ist ein Spannungsfeld, das einfach sehr gute Geschichten erzählt.

Du hast ja selber „Fürstenromane“ geschrieben. Wie kam es denn dazu?

Ich habe in Hildesheim unter sehr vielen Arztsöhnen und Professorentöchtern Schreiben studiert. Die hatten alle mit 15 schon Dostojewski gelesen und arbeiteten daran, die neue Judith Hermann zu werden. Ich bin Arbeiterkind und wusste nicht mal, dass es einen Unterschied zwischen Hoch- und Unterhaltungsliteratur gibt. Ich bin mit Sisi-Filmen und -Büchern aufgewachsen, und so spannend ich auch den ein oder anderen hochliterarischen Text fand, ich bin da nicht reingekommen. Auch die Grenzen zwischen Hoch- und Unterhaltungsliteratur verstehe ich bis heute nicht. Ich hab immer das Gefühl, die Literaturkritik will da dringender eine Mauer bauen als Trump in Texas. Warum? Ich hab jedenfalls lieber erstmal ein paar Jahre Groschenromane geschrieben, die sind bodenständig und ehrlich, die hab ich verstanden.

Du bist Schriftstellerin und hast schon unter Beweis gestellt, dass du dich in ganz unterschiedliche Charaktere hineindenken kannst. Wie gehst du denn da vor, wenn du, wie in Die juten Sitten über ein Bordell in den 1920er Jahren in Berlin schreibst – oder in deinem neusten "Buch Schund und Sühne" über eine Prinzessin, die lieber jagen geht als Charity zu machen?

Sowohl die Prinzessin als auch die Prostituierte sind Symptome einer patriarchalen Gesellschaft. Ich finde, dass das alles viel mehr miteinander zu tun hat, als es auf den ersten Blick scheint. Beides sind sehr starke Archetypen, und mich interessiert, wie Frauen handeln und fühlen, die diesen Typus erfüllen oder erfüllen müssen. In beiden Fällen geh ich von den Figuren aus, wer sind die, wo wollen die hin, warum schaffen sie das nicht? Sprachlich sind die Sitten vielleicht ein bisschen dreckiger als Schund und Sühne, aber auch in letzterem wird geflucht und gevögelt. Die Groschenromanzeiten sind vorbei, auch eine Prinzessin hat Bedürfnisse.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Wer ist denn dein Lieblingsroyal?

Sisi natürlich.

Und zum Abschied: Was sagst du zu Baby Archie in Großbritannien?

Dass es ihm es sehr viel besser gehen wird als Queen Victorias neun Kindern vor knapp 200 Jahren. Denn auch wenn die ebenfalls Sprosse einer Liebesheirat waren, mochte Mutter Victoria sie nicht besonders. Sie fand Babys hässlich, nannte sie „froschartige Wesen“ und obwohl das Stillen zu der Zeit auch in royalen Kreisen in Mode war, hatte sie Ammen. Sie ekelte sich „unüberwindbar“ davor. Eigentlich mochte sie ihre Kinder erst als die erwachsen waren, aber auch nicht alle. Ihren Ältesten machte sie Zeit ihres Lebens für den frühen Tod ihres geliebten Mannes verantwortlich. Prinz Albert hatte, während er den gemeinsamen Sohn besuchte, Fieber bekommen und war der Krankheit zwei Wochen später mit nur 42 Jahren erlegen. In Victorias Augen war Sohn Bertie Schuld. Ich rechne für den kleinen Archie mit sehr viel mehr Empathie und Herzenswärme.

Anna Basener Bücher bei Audible

Hört rein in Anna Baseners Hörbücher und Podcasts:

GALA Royals: Staffel 1 (Original Podcast)
Die juten Sitten
Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte
Be My Match