Wie sieht dein Arbeitspensum aktuell aus? Ist durch die Coronakrise bei dir viel weggefallen?

Ich habe tatsächlich das Riesenglück, dass bis jetzt kaum etwas weggefallen ist. Theatervorstellungen sind ausgefallen, aber das ist ein relativ kleiner Posten. Das ist natürlich schade, weil mein Herz echt am Theater hängt. Alles andere in den Bereichen Hörbuch oder Hörspiel und Regie geht irgendwie weiter. Aber ich glaube, da bin ich in einer absoluten Ausnahmeposition.

Hast du von vielen Kollegen gehört, bei denen es anders ist?

Ja, bei denen, die primär am Theater arbeiten, Workshops geben, Kinder- und Jugendtheater machen oder ähnliches, ist alles weggefallen. Auch, was Filmdrehs angeht, wurde vieles abgesagt. Das ist schon hart.

Was hat sich an deiner Arbeitsweise als Sprecher geändert? Geht da alles weiter wie bisher?

Alles geschieht nur noch auf Distanz und mit den nötigen Vorsichtsmaßnahmen. Ich weiß nicht, wann ich mir das letzte Mal so oft am Tag die Hände gewaschen und desinfiziert habe! Natürlich will man die Zeit im Studio selbst kurz halten, damit die Übergangszeiten zum nächsten Sprecher, der ins Studio kommt, möglichst groß sind.

Dieses bescheuerte Herz

Was hat sich noch geändert?

Der Smalltalk, den man sonst hätte, der fällt weg. Man arbeitet sehr konzentriert durch. Das macht das Arbeiten nicht weniger schön, aber es macht es doch manchmal ein bisschen anstrengend. Man hat das Gefühl, man arbeite gegen die Uhr. Man will ja wieder schnell wieder nach Hause und fühlt einen komischen Druck, nicht allzu lange draußen und unter Menschen zu sein. Man merkt, dass so ein Aufnahmetag einen doch etwas mehr mitnimmt als sonst.

Arbeitest du auch sonst viel von zu Hause?

Das große Glück ist bei mir, dass ein Teil meiner Arbeit darin besteht, zu Hause Hörbücher vorzubereiten oder Skripte zu lesen oder zu schreiben, und das bleibt ja alles relativ normal. Ich habe mir auch überlegt, was ich mache, falls ich gar nicht mehr ins Studio kann. Also habe ich mir selber zu Hause ein kleines Studio eingerichtet.

Gerade Geschichtenerzähler braucht man jetzt.

Elmar Börger

In Vorbereitung auf eine etwaige Ausgangssperre?

Genau. Systemrelevant ist man ja nicht unbedingt, obwohl man auch sagen könnte, dass man gerade die Geschichtenerzähler jetzt braucht.

Ging das problemlos mit dem Einrichten des Studios?

Ich habe zum Glück einen Raum, der sich ganz gut dafür eignet. Ich habe mir Ratschläge und Tipps von einem Toningenieur eingeholt, der mir gutes Equipment für gutes Geld empfohlen hat. Das hat aber ganz ungeahnte Herausforderungen mit sich gebracht, wenn man sich plötzlich überlegen muss, wie man einen Lichtschacht möglichst gut schallisolieren kann oder wie das Mikrofon positioniert werden muss. Zumal ich immer wahnsinnig gerne ins Studio gehe! Es ist also nicht so, dass ich das Heimstudio als Ausrede nutzen möchte, um nie wieder rauszugehen.

Was ist es, was dir daran gefällt, ins Studio zu gehen?

Dieses Gefühl, zu einer Arbeitsstätte hinzugehen, das ist etwas Schönes. Wenn du vorher eine Woche lang zu Hause gesessen und ein Hörbuch vorbereitet hast, ist es schön, andere Sprecher und Kollegen zu treffen. Auch, wenn alle viele Stunden lang allein in einer Kabine sitzen und lesen, ist diese soziale Interaktion echt wichtig. Ich kann ja auch nicht zu Hause Theater spielen. Ich brauche eine Bühne, um Theater zu spielen. Und ein Studio ist sozusagen die Hörbuchbühne.

Wie sieht dein Arbeitsalltag normalerweise aus?

Ich bekomme eine Anfrage und dazu dann einen Textauszug oder den kompletten Text. Den lese ich quer, informiere mich ein bisschen und entscheide mich, ob ich das machen will.

Nach welchen Kriterien entscheidest du, ob du ein Projekt übernehmen willst?

Ob ich irgendwas an dem Stoff oder an einer Figur besonders spannend finde. Ich bin auf kein bestimmtes Genre spezialisiert, also es ist egal, ob es eine Autobiografie, ein historischer Roman, ein Jugendbuch, Science-Fiction oder was auch immer ist. Ich habe auch schon Minecraft-Romane gelesen und hatte da große Freude dran.

Die Bücher müssen also irgendwas haben, das die besonders interessiert?

Für mich kommt es immer nur drauf an, ob mich irgendwas an dem Text fesselt. Aus meiner Perspektive als Sprecher interessiert mich auch, wie ich das erzählen und darstellen kann und nicht nur die Frage, ob ich das Buch lesen würde. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Ich glaube, ganz viele Bücher, die ich bekomme, würde ich mir im Buchladen nicht unbedingt mitnehmen. Aber zum Vorlesen ist es noch einmal etwas anderes.

Mr. Monster

Wie geht es weiter, wenn du dich für ein Projekt entschieden hast?

Dann bereite ich den Text vor und mache die Studiotermine aus. Im Schnitt liest man zwischen drei und fünf Tage lang im Studio. Passagenweise höre ich auch nach der Aufnahme in das fertige Hörbuch rein, um für mich zu überprüfen, ob zum Beispiel die Stimmen so rüberkommen, wie ich es mir gedacht habe.

Was macht dir an der Arbeit besondere Freude?

Dass ich allein mit meiner Stimme und als einzelner Schauspieler eine ganze Welt baue. Da baust du eine Bühne und Figuren auf. Klar, ein Taxifahrer zum Beispiel, der nur auf fünf oder sechs Seiten vorkommt, wird nicht im gleichen Maße ausgebaut wie eine Hauptfigur. Trotzdem musst du ihm einen Charakter geben. Das macht einfach Spaß, diese Welt nach deinen Vorstellungen zu füllen – und natürlich zu hoffen, dass diese Vorstellungen andere begeistern.

Klappt das immer?

Das klappt mal, das klappt auch manchmal nicht. Das muss man ganz klar sagen. Gerade bei Büchern haben Leute, die die vorher gelesen haben, schon selber eine Stimme und Figuren im Kopf. Diese Vorstellungen kann man nicht immer hundertprozentig treffen.

Was würdest du sagen ist bei deiner Arbeit besonders herausfordernd?

Teilweise die Länge. Und dass du dich selber auf diese Kontinuität vom ersten bis zum letzten Tag einstellst. Jede Stimme muss ja konstant bleiben. Da musst du dir auch immer wieder die bisherigen Aufnahmen vorspielen lassen, damit Charaktere zum Beispiel nicht zu nah aneinander sind. Auch die Aussprache ist nicht immer einfach.

Kannst du das genauer erklären?

Zuletzt habe ich von Jodi Picoult „Schuldig“ gelesen. Das spielt teilweise in Alaska, wo sie eine Inuit-Sprache sprechen. Und dann stellst du fest, dass es die bei Forvo (Anmerkung der Redaktion: einem Aussprachewörterbuch) und den anderen üblichen Hilfsseiten nicht gibt.

Was hast du dann gemacht?

Ich hatte das Riesenglück, dass ich gerade mit einer Regisseurin ein Voice-over für einen Film über ein Hundeschlittenrennen in Alaska gemacht hatte. Und sie wiederum konnte mir jemanden vermitteln, der die Sprache beherrscht und mir Aussprachedateien schicken konnte. Du willst ja nicht, dass ausgerechnet die Aussprache dann den Satz bestimmt, die Wörter müssen einfach so hineinfließen. Da musst du halt ein guter Papagei sein.

Was gehört noch zu deinen Aufgaben, wenn du dich auf ein neues Hörbuch vorbereitest?

Ich schaue mir an, ob ich da vielleicht eine Serie übernehme, ob es Charaktere gibt, die der Autor schon einmal in einem anderen Buch hat auftauchen lassen. Ich schaue außerdem, in welchem Land und zu welcher Zeit es spielt, was der Autor sonst bisher gemacht hat. Das sind die Hausaufgaben, die man als Sprecher einfach machen muss.

Unter uns nur Wolken

Hörst du selbst gerne Hörbücher?

Da mein Job ja sehr viel aus Lesen besteht, höre ich in meiner Freizeit tatsächlich lieber Hörbücher. Aber das war schon immer so. Hörbücher waren für mich der ausschlaggebende Punkt, Schauspieler zu werden. Hörspiele und -bücher habe ich von klein an gerne gehört, ich war ein typisches Kassettenkind.

Was hast du am liebsten gehört?

Die drei Fragezeichen, Benjamin Blümchen, Bibi Blocksberg, Märchenkassetten … einfach alles.

Und was hörst du jetzt gerne? Wahrscheinlich nicht mehr unbedingt Benjamin Blümchen …

Den nicht unbedingt, aber wenn ich mit meiner Freundin im Auto fahre, dann auch mal Bibi Blocksberg. Warum nicht? (lacht) Es ist erstaunlich, welche Gültigkeit die Geschichten noch haben. Ich höre immer noch liebend gerne Professor van Dusen. Und inzwischen auch wahnsinnig viele Podcasts. Einfach, weil das eine schöne neue Branche ist, in der spannende neue Sachen rauskommen.

Professor van Dusen legt einen Köder aus

Gibt es einen Podcast, den du besonders gerne hörst?

Tatsächlich höre ich wahnsinnig gerne Sag mal, du als Physiker. Und – auch wenn ich selber mitgemacht habe – Drage von Johanna Steiner. Ich finde, das war in diesem ganzen Meer an True-Crime-Podcasts einfach ein echt guter. Da geht’s um die verschwundene Familie in Drage, wo man dann nur den Vater tot aufgefunden hat.

Hast du selbst Lieblingssprecher, die du dir gerne anhörst?

Ich denke, da unterscheide ich mich gar nicht so von anderen, denn für mich sind David Nathan und Simon Jäger zwei, mit denen ich großgeworden bin, bevor ich mir das auch nur erträumt hatte, selber mal Sprecher zu werden. Es gibt viele, viele andere tolle Kollegen. Dietmar Bär ist ganz toll. Und Dirk Bach, der war auch der Wahnsinn, wie er Walter Moers gelesen hat.

Sag mal, du als Physiker. Der P.M.-Podcast: Staffel 1 (Original Podcast)

Worauf freust du dich am meisten, wenn die Coronakrise vorbei ist?

Mal wieder andere Menschen im Studio sehen. Mal wieder nebeneinander stehen, Kaffee zusammen trinken und sich austauschen können.

Sprecher lesen auf Social Media

Noch bis zum 8. Mai lesen professionelle Sprecher wochentags Auszüge aus Romanen und Kurzgeschichten auf Audibles Social-Media-Kanälen: Um 11 Uhr gibt es Kinderstories auf Facebook, ab 12 Uhr dann Erzählungen für Erwachsene auf Instagram.