Er sollte Berlin zum internationalen Drehkreuz des Flugverkehrs machen. Heraus kam der größte Bauskandal in der deutschen Geschichte: Der Flughafen Berlin Brandenburg, kurz BER, ist ein einmaliges Beispiel für Baupfusch, Hybris und Politikversagen.

Zur Erinnerung kurz die wichtigsten Zahlen: 30 Jahre Planung. Eine 14-jährige Bau- und Umbauphase. Sieben verschobene Eröffnungstermine, vier Chefs und 7,1 Milliarden Euro Kosten – und immer noch kein funktionstüchtiger Flughafen. Wie konnte es soweit kommen? Der Podcast „Made in Germany“ dröselt die komplexe Problematik auf.

Wer glaubt, das Thema sei trocken, kann ganz beruhigt sein: Hörer durchleben im Podcast alle Gefühle von Empörung über Fremdscham bis Mitleid. Lustig ist „Made in Germany“ auch, denn seine Macher haben das Talent, ihre Protagonisten mit wenigen treffenden Worten zu charakterisieren. („Jemand, der Endorphine ausschüttet, wenn er sowas wie ‚mehrstufiges Genehmigungsverfahren‘ hört“). Wir haben mit dem Journalisten Christian Alt von der Produktionsfirma Kugel & Niere über den BER und seinen Podcast gesprochen.

“Made in Germany - Das Flughafenfiasko BER” ist eine Koproduktion mit DER SPIEGEL.

Podcast-Macher Christian Alt im Interview

Made in Germany - Das Flughafenfiasko BER (Original Podcast)

Wenn ich ehrlich bin, war mein erster Gedanke, als ich die Ankündigung für “Made in Germany“ gesehen habe: Bitte nicht der BER. So unangenehm berührt mich dieses Debakel. Ihr legt den Finger in die Wunde - mit einem dreistündigen Podcast. Kam manchmal der Gedanke auf, dass sich das gar keiner mehr anhören will?

Nein. Der Berliner Flughafen – das ist ein Thema, zu dem jeder eine Meinung hat. Deutschland hat ja gefühlt 80 Millionen Bundestrainer, genauso hat es 80 Millionen BER-Chefs. Jeder denkt, er wüsste genau, was da schiefgelaufen ist. Jeder hat einen Cousin, der bei irgendeinem Subunternehmer beschäftigt war und genau mitgekriegt hat, was wirklich abging. Wir wussten, dass in der Geschichte enormes Potenzial steckt.

Ihr bereitet das Thema plastisch, verständlich und emotional auf. Ist das die „amerikanische Prägung“, von der man auf der Website eurer Produktionsfirma liest?

Ja, genau. Schön, dass das funktioniert hat – denn wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir dieses Thema zu fassen kriegen. Idealerweise hat man ja einen Protagonisten, der von vorne bis hinten dabei war, und erzählt dann seine Heldenreise. Wir haben nach einer solchen Person gesucht, aber die gibt es einfach nicht. Es taugt in dieser Geschichte auch keiner als Held – außer vielleicht Stephan Loge, der Landrat vom Landkreis Dahme-Spreewald. Er verhinderte 2012, dass der unfertige Flughafen in Betrieb ging. Aber für diese Art Heldenerzählung ist die Geschichte zu groß, zu langwierig und zu komplex. Genau das haben wir dann zum Kern der Erzählung gemacht: Niemand hat eine weiße Weste. Jeder hat Mist gebaut.

Wie bist du zum Thema BER gekommen?

Der Start zu diesem Projekt war vor zwei Jahren. Da habe ich einen Artikel gelesen, in dem einer der Lufthansa-Vorstände sagte, man müsse das Ding eigentlich abreißen. Ich dachte mir: „Das kann nicht euer Ernst sein!“ Und dann erinnerte ich mich an eine super Reportage im SPIEGEL, unter anderem von Andreas Wassermann. Also bin ich zum SPIEGEL gegangen und habe gefragt, ob sie mit uns diesen Podcast machen wollen. Und dann haben wir uns mit Audible noch einen starken Partner gesucht.

Wie ging es weiter, wie habt ihr recherchiert?

Wir dachten, mit Andreas Wassermann sparen wir uns einen Teil der Arbeit. Aber um diese Geschichte erzählen zu können, muss man sie erstmal genauso gut verstanden haben, wie er. Wir haben uns also in diese unfassbar komplexe Thematik reingegraben. Schließlich haben wir jede Folge zu dritt geschrieben. In diesen Podcast haben also drei Autoren je ein Jahr Arbeit gesteckt – Anna Bühler, Michael Bartlewski und ich. Wir haben sogar noch jede Menge Material, das wir gar nicht verarbeiten konnten, weil es zu viel geworden wäre. Zum Beispiel ein Interview mit dem Typen, der die Entrauchungsanlagen gebaut hat. Der ist gar kein Ingenieur, sondern technischer Zeichner. Oder diese ganze Privatisierungsgeschichte, die ein unfassbarer fuck up ist. Irgendwann wussten wir gar nicht mehr, was noch relevant ist und was nicht.

Was war dein persönlicher Aha-Moment während der Recherche?

Ich hatte mehrere solcher Momente. Einer war zum Beispiel nach dem Interview mit Dieter Faulenbach da Costa, der schon bei der Standortsuche für den BER dabei war, später als Berater für Hochtief und dann als Gutachter. Danach dachte ich: Jetzt habe ich es verstanden. Dann habe ich mit jemand anderem gesprochen – und der erzählte mir die Geschichte völlig anders. Jeder gibt jemand anderem die Schuld. Ich merkte: Alles hängt miteinander zusammen. Nicht nur die Politik hat versagt, sondern auch die Planer, auch die Chefs. Viele haben immer die schlechtmöglichste Entscheidung getroffen und das auf allen Ebenen. Man kann also niemanden zur Verantwortung ziehen – und darum sind auch alle glimpflich aus der Sache herausgekommen. Und das ist mega-frustrierend.

Du machst im Podcast Klaus Wowereit als einen der Hauptschuldigen für das ganze Debakel aus. Noch mal in aller Kürze: Was hat er falsch gemacht?

Er hat sich an entscheidenden Stellen immer wieder eingemischt. Er hat auf einen Generalunternehmer verzichtet mit der Begründung, dass die alle zu teuer seien und sich untereinander abgesprochen hätten. Alle Unternehmen haben gesagt, dass das Terminal mindestens eine Milliarde kostet, aber die Flughafengesellschaft wollte das Ding für 630 Millionen bauen. Wahrscheinlich hätte es in jedem Fall Mehrkosten gegeben – aber dann wäre jemand schuld gewesen. Diese Hybris, zu sagen: Wir machen es alleine – das kommt von Wowereit, dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden. Aber er war natürlich nicht der einzige, der versagt hat.

Diverse Topmanager haben am Flughafendebakel gut verdient, ihn aber auch nicht hinbekommen. Waren die alle unfähig?

Nein. Das kommt immer drauf an, welche Bauphase man sich anschaut. Manfred Körtgen und Rainer Schwarz haben schon unfassbar viel verbockt. Allein die Geschichte der Verschiebung des ersten Eröffnungstermins ist für sich genommen interessant. Damals haben alle Planer gesagt, dass sie mindestens ein Jahr mehr Zeit brauchen, haben aber nur sieben Monate bekommen. Denn irgendwo war immer gerade Wahl – und dann wurden halt Incentives gesetzt, die für so einen Bau nicht gut sind. Mehdorn hat auf einem anderen Niveau versagt, aber da war das Kind schon in den Brunnen gefallen.

Warum wurde keiner der Geschäftsführer zur Verantwortung gezogen?

Das ganze System war so aufgestellt, dass alle sich herausreden konnten. Die Planer haben gesagt, die Flughafengesellschaft war es, die hat gesagt, die Politik war schuld. Mittlerweile ist es auch wirklich schwer, herauszufinden, wer welche Fehler begangen hat. Als Bürger will ich vielleicht, dass jemand für dieses Debakel in den Knast wandert. Aber wird davon der Flughafen fertig? Und wer will so einen Job künftig noch übernehmen, wenn er fürchten muss, im Falle eines Scheiterns Milliarden zahlen zu müssen?

Realisten wie Horst Amann, die das Chaos in Ruhe aufräumen wollten, wurden schnell kaltgestellt. Warum?

Der Druck aus der Bevölkerung damals war enorm. Realistischerweise hätte sich 2012 jemand hinstellen müssen und sagen: Wir haben es verbockt, wir wissen nicht, wann wir eröffnen. Aber wie willst du vermitteln, dass du den Flughafen zum Beispiel vier Jahre später aufmachst, wenn du schon die Einladungen gedruckt hast? Darum gab es immer wieder neue, unrealistische Termine. Offenbar war die Flughafengesellschaft komplett getrieben und niemand hat einen kühlen Kopf bewahrt und sich wirklich mal angeschaut, was falsch läuft. Da gab es diese Nacht, in der der Aufsichtsrat bis zwei Uhr nachts zusammengesessen hat, um dann zu entscheiden: Wir schmeißen die Planer und den Technikchef raus. Ein unfassbarer Fehler, denn damit ging nicht nur Wissen und Kompetenz verloren. Man konnte auch später niemanden mehr zur Rechenschaft ziehen.

Heute haben wir Covid-19 und Klimakrise – brauchen wir da überhaupt noch einen neuen Flughafen für Berlin?

Das ist eine berechtigte Frage. Denn ob die Planer und Politiker mit ihren Berechnungen zur Fluggastentwicklung richtigliegen, sei mal dahingestellt. Jetzt war gerade Richtfest in Terminal 2. Und schon fragen einige Leute in der Politik, ob Berlin nicht noch einen weiteren Flughafen braucht. Der Traum vom Drehkreuz ist immer noch da. Ich habe mit einem Interviewpartner gesprochen, der träumte von einem neuen Großflughafen, da dachte ich: „Ernsthaft? Was stimmt mit euch nicht?“ Totaler Größenwahn!

Wenn du wetten müsstest: Macht der Flughafen BER im Oktober auf?

Bis vor acht Wochen dachte ich, der Termin ist safe. Jetzt weiß ich es nicht mehr. Aber immerhin sind wir jetzt tatsächlich so weit wie niemals zuvor: Gerade wurde die Nutzungsfreigabe erteilt.

Kommentare unter dem Podcast zeigen: Eure Hörer sind begeistert und wollen mehr. Wird es weitere Kooperationen zwischen dem SPIEGEL, Audible und Kugel & Niere geben?

Also, das Projekt hat mir schon einige graue Haare eingebracht, insofern sind die Kommentare wie Balsam für meine Seele. Tatsächlich hätte ich aber Bock, sowas noch mal zu machen. Es gibt noch ein paar Themen, die man so aufarbeiten könnte. An epic fails mangelt es ja nicht. Ich würde gerne mal herausfinden, warum bei der Bahn so viel schiefläuft. Warum die Verantwortlichen die moderne Mobilität so verschlafen haben. Aber erstmal bin ich einfach dankbar, dass der Podcast draußen ist, und dass es die Leute hören können. Dass das Projekt nach zwei Jahren jetzt endlich abgeschlossen ist, fühlt sich immer noch unwirklich an.

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