Jetzt humpelt er mit einer Prothese als bankrotter Privatdetektiv durch London und schläft, frisch getrennt, auf einem Feldbett in seinem schäbigen Büro. Die Dinge sehen nicht gerade rosig aus für Cormoran Blue Strike. Bis eines Tages eine Zeitarbeitsagentur eine enthusiastische, rot-blonde und clevere Aushilfe namens Robin Ellacott vorbeischickt und sich der scheinbare Selbstmord eines berühmten Supermodels zu Strike’s spektakulärstem Fall entwickelt.

Ein Pseudonym fliegt auf

So begann 2013 mit Der Ruf des Kuckucks die Cormoran Strike Reihe eines Debüt-Autors namens Robert Galbraith, angeblich ein in der Sicherheitsbranche arbeitender Ex-Soldat. Obwohl der Erstling wohlwollende Kritiken erhielt, dümpelten die Verkaufszahlen vor sich hin - bis knapp drei Monate nach Veröffentlichung bekannt wurde, wer sich hinter dem Pseudonym wirklich verbarg: Harry Potter-Schöpferin J.K. Rowling! Sofort wurde Der Ruf des Kuckucks zum Bestseller. Ob die “zufällige” Aufdeckung vielleicht Teil einer raffinierten Marketing-Strategie war, bleibt bis heute offen.

Der Ruf des Kuckucks

Die literarische Welt war in Aufruhr, die Harry Potter-Fans skeptisch. Eine Fantasy-Kinderbuchautorin als Krimischreiberin für Erwachsene? Konnte das gutgehen? Immerhin war das nicht der erste Versuch Rowling’s, sich in einem anderen Genre zu etablieren. Mit großem Tamtam publizierte sie 2012 den Roman Ein plötzlicher Todesfall - kein schlechtes Buch, dem aber das gewisse Etwas fehlte.

Warum “Robert Galbraith”?

Vielleicht deshalb der zweite Versuch unter einem Pseudonym. Rowling selbst sagt, sie wollte sich mit dem Namen Robert Galbraith so weit wie möglich von ihrer Harry Potter-Persona entfernen und wählte daher auch ein männliches Pseudonym. Der Vorname „Robert“ ist eine Hommage an den von ihr verehrten John F. Kennedy; “Galbraith" wollte sie aus unerfindlichen Gründen schon seit der Kindheit heißen. Eigentlich hatte sie gehofft, zwei oder drei Strike-Krimis unter dem Pseudonym zu veröffentlichen, bevor ihre wahre Identität auffliegen würde. Das war vielleicht etwas naiv. Nach wie vor schreibt sie die Strike-Romane unter ihrem alter ego - eine bewusste Wahl, um die Distanz zur Harry Potter-Welt für sich und ihre Leser aufrecht zu erhalten.

Bewährungsprobe für Cormoran Strike

Natürlich stellte sich die Frage, ob der anfängliche Erfolg von Cormoran Strike-Reihe nur mit dem großen Namen dahinter zusammenhing, oder ob die Geschichten gut genug waren, um sich in der Welt der Krimifans zu etablieren. Fünf Jahre später lautet die klare Antwort: Ja! Als der vierte Fall im September 2018 auf Englisch herauskam, schoss er sofort in die Bestsellerlisten. Ab dem 27. Dezember geht Lethal White unter dem Titel Weißer Tod heiß ersehnt auf Deutsch an den Start. Obwohl mit über 600 Seiten oder 21 Hörstunden ein Biest von einem Buch, sind die Kritiken wieder sehr positiv.

Der vierte Fall für Cormoran Strike Reihe: “Weißer Tod”

Weißer Tod führt uns in die Welt zweier privilegierter Politikerfamilien, die Dreck am Stecken haben. In Strike’s Büro taucht ein psychisch kranker junger Mann auf, der behauptet, vor vielen Jahren den Mord an einem Kind miterlebt zu haben. Kurz darauf heuert ein hochrangiger Minister Strike an, um sich gegen eine Erpressung zur Wehr zu setzen. So richtig in Fahrt kommt die Sache, als ein als Selbstmord getarnter Mord dem Fall eine neue Richtung gibt. Hinzu kommen persönliche Probleme von Robin, die ihre Arbeit beeinflussen und die ohnehin angespannte Beziehung zu ihrem Geschäftspartner Cormoran nicht leichter gestalten.

Weißer Tod

Was macht die Krimireihe so gut?

Das hört sich alles ganz gut an, aber auch nicht besser als irgendeine andere Detektivreihe. Was also macht die Faszination von “Cormoran Strike” Reihe aus?

J.K. Rowling hat einen Schreibstil, dem man stundenlang lauschen kann und sich bestens unterhalten fühlt. Das fließt, das ist rund, da funktionieren Dialoge und introspektive Passagen gleichermaßen gut. Es wird einfach nicht langweilig, selbst in Passagen mit Längen und ohne großen Plot.

Die Charaktere, die Rowling zeichnet, springen bis in die Nebenrollen dreidimensional von den Seiten. Cormoran Strike, dieser Bär von einem Mann mit Boxernase und Drahtlocken wie Schamhaar, der melancholisch, aber höchst effizient auf der Suche nach der Wahrheit durch London streift, brennt sich mit überraschender Wärme ins Hirn des Lesers. Was auch an seiner Assistentin liegt: Robin, mit ihrer Begeisterung, Pragmatik und ihrem sonnigen Gemüt ist - ähnlich wie Dr. Watson bei Sherlock Holmes - der menschliche Zugang zum grummeligen Detektiv.

Ich wollte zurück zum Anfang. Ich wollte, dass es nur ums Schreiben geht.

J.K. Rowling

Geschickt lässt Rowling es zwischen Strike und Robin knistern, doch anstatt eine platte Romanze auf den Weg zu bringen, setzt sie einen komplizierten slow burn in Gang, der Fans ebenso in den Wahnsinn treibt wie bei der Stange hält. Irgendwann müssen diese zwei sich doch kriegen - oder vielleicht doch nicht? Rowling selbst sagt, dass es – mehr als die Krimihandlung – diese beiden Figuren sind, die sie weiterschreiben lassen.

Auch die Nebenfiguren begeistern. Ob Cormoran’s kleinkrimineller Handlanger Shanker, der zum Kumpel avancierende Inspector Wardle, Strike’s volatile Ex-Verlobte oder Robin’s gräßlicher Verlobter Matthew - alle werden sie springlebendig.

In jedem Buch von Cormoran Strike Reihe nimmt sich JK Rowling ein bestimmtes gesellschaftliches Milieu vor, das sie bis in satirische Spitzen hinein zerlegt. Der Ruf des Kuckucks spielt sich in der schillernden Model-Welt ab; Der Seidenspinner nimmt die Verlagsbranche aufs Korn; in Die Ernte des Bösen erfahren wir mehr über Strike’s Vergangenheit bei der Militärpolizei, und Weißer Tod ist ein scharfes Portrait der englischen Politprominenz. Strike’s Interaktionen mit ihnen sind - obwohl fast ausschließlich Dialoge - große Unterhaltung und bissiger Kommentar zugleich.

Whodunit nach klassischem Strickmuster

Die Krimis selbst sind wunderbar old school und erinnern in ihrer geduldigen, unaufgeregten Machart an Philip Marlowe oder Inspektor Columbo. Gute alte Recherchearbeit und Zeugenbefragungen sind das Salz dieser Suppe, Action eher die Ausnahme und blutig geht es - von Die Ernte des Bösen einmal abgesehen – selten zu. Strike besitzt noch nicht einmal eine Pistole. Obwohl der Detektiv mit Smartphone und Internet ermittelt, haben die Geschichten einen gefühlten retro-Anstrich. Strike, mit seinem Faible für Auge-in-Auge-Gespräche und der ständigen Zigarette im Mund, wirkt wohltuend analog und zeitlos.

Strike ist komplett imaginär. Er ist einfach in meinen Kopf spaziert.

J.K. Rowling über Cormoran

Die Fälle sind bestes Knobelmaterial. Es gibt viele Figuren, viele (falsche) Spuren, die Zusammenhänge sind komplex. Nach der Auflösung am Schluss macht ein zweites Hören Spaß, um im Nachhinein alle richtigen Hinweise zu entdecken. Auch wenn Rowling den Hörer mit eigentlich zu vielen Informationen eindeckt und entscheidende Hinweise manchmal vom Himmel fallen - am Ende ergibt alles Sinn.

Auch hier im Audible Magazin: Wer war’s? Die 10 besten Whodunnit-Krimis

“Strike” - die TV-Serie

Die BBC hat die ersten drei Bücher als Mini-Serien verfilmt, in cineastischer Qualität und mit großartiger Besetzung: Cormoran Strike wird passgenau und mit wunderbarem Understatement dargestellt von Tom Burke (“Die Musketiere”), auch wenn er - und das nehmen wir gerne in Kauf - wesentlich attraktiver ist als im Buch beschrieben und kleiner als der hünenhafte Strike. Seine sonnige Assistentin spielt Holliday Grainger - die sich nicht nur so ähnlich schreibt wie Harry Potter’s beste Freundin Hermine Granger, sondern damals sogar für deren Rolle in die nähere Auswahl kam. Die Skriptautoren der Miniserien mussten - unter dem wachsamen Auge von J.K. Rowling - einiges an Kürzungen und Plot-Umstellungen vornehmen, um die Bücher in insgesamt sieben Folgen zu pressen. Was Tonalität, Charaktere und das retro-Gefühl der Buchvorlagen angeht, trifft Strike jedoch in Schwarze. Der vierte Fall soll 2019 mit vier Folgen verfilmt werden.

James Bond spricht Cormoran Strike Reihe

Die deutschen, ungekürzten Hörbücher spricht Dietmar Wunder, die Synchronstimme von James Bond. Hoch erfahren im Spannungsgenre, verleiht Wunder dem Detektiv eine herzige Brummeligkeit, Robin zarte Wärme und den Nebenfiguren typgerechten Ausdruck.

Wer gut Englisch kann, sollte sich die vom preisgekrönten Robert Glenister gesprochenen Hörbücher nicht entgehen lassen. Die verschiedenen britischen Akzente - von Strike’s kieseligem Cornwall-Akzent über Robin’s Yorkshire-Einfärbung bis zu Schottisch, Walisisch und London-Cockney - sind ein Fest für anglophile Ohren.

Wie geht es weiter?

Wenn man J.K. Rowling’s Tweets Glauben schenken kann, schreibt sie bereits am fünften Buch. Geplant sind wohl insgesamt zehn Cormoran Strike Krimis, deren Rahmenhandlung Rowling (wie schon bei Harry Potter) bereits im Kopf hat. Potenzial hat die Serie noch reichlich: London bietet den urbanen Nährboden für Verbrechen jeglicher Art, und einige bereits eingeführte Figuren haben das Zeug zum Pulverfass. Was führt Strike’s unberechenbare Ex-Verlobte noch alles im Schilde? Werden wir Strike‘s treulosem Erzeuger Jonny Rokeby begegnen? Welche Rolle spielt Robin’s Sandkastenliebe Matthew in der Zukunft? Und, mindestens ebenso wichtig: Wie geht es mit Cormoran und Robin weiter?

Eines ist sicher: Es bleibt spannend.

Robert Galbraith Reihenfolge: Alle Cormoran Strike Hörbücher in der richtigen Reihenfolge

Der Ruf des Kuckucks
Der Seidenspinner
Die Ernte des Bösen
Weißer Tod

Cormoran Strike Reihe auf Englisch

The Cuckoo's Calling
The Silkworm
Career of Evil
Lethal White