Mehr als 70 Bücher hat Cornelia Funke schon geschrieben, die weltweit millionenfach verkauft und in über 30 Sprachen übersetzt wurden. Kürzlich hat sie sich in Zusammenarbeit mit dem mexikanischen Regisseur und Filmproduzent, der im vergangenen Jahr für „Shape of Water“ einen Oscar erhalten hat, einem ganz besonderen Projekt gewidmet, von dem sie uns im Interview erzählt.

Wie ist es zur Zusammenarbeit mit Guillermo del Toro gekommen?

Das ist im Grunde in mehreren Schritten passiert. Ich habe vor vielen Jahren seinen Kindern spanische Ausgaben meiner Bücher geschickt als Dankeschön für den Film, weil „Pan’s Labyrinth“ mein absoluter Lieblingsfilm war und ich auch das Poster immer in meinem Schreibhaus hängen hatte. Aber da erwartet man hier nicht, dass da was passiert, das macht man halt als Dankeschön.

Aber irgendwann hast du dann doch etwas von ihm gehört?

Viele Monate später hat Guillermo mich kontaktiert und mir geschrieben „I love your books … shall we dance?“, was seine Art von Aufforderung war zusammen zu arbeiten. Ich habe dann bei Dreamworks an einem Projekt mit ihm gearbeitet. Ein paar Sessions, einfach nur Storytelling. Da hätte ich selber für bezahlt, aber ich wurde dafür bezahlt. (lacht) Dann habe ich Einführung zu „Pan’s Labyrinth“ für eine seiner Notizbuchausgaben geschrieben, also alles kleinere Sachen.

Wie ist es dann weitergangen?

Irgendwann rief mich sein Manager irgendwann an und sagte „Cornelia, du willst dir das vielleicht länger überlegen, aber Guillermo hätte es gerne, dass du einen Roman aus ‚Pan‘s Labyrinth‘ machst.“ Und da musste ich mich erst einmal setzen. Wie gesagt, ich bewundere den Film maßlos und das hat sich durch das Schreiben jetzt nur noch verstärkt.

Was waren deine ersten Gedanken?

Ich hielt die Aufgabe für absolut unmöglich. Als Illustrator habe ich den größten Respekt vor Bildern und ich dachte mir, die Bilder sind so vielschichtig, da sind so viele Geschichten drin, das kannst du gar nicht in Worte fassen. Aber ich kenne das aus den Märchen, die unmöglichen Aufgaben muss man akzeptieren. Das habe ich dann auch getan.

"Ich kenne das aus den Märchen, die unmöglichen Aufgaben muss man akzeptieren."

Cornelia Funke

Den Roman hast du ja auf Englisch geschrieben …

Ich wusste, ich muss auf Englisch schreiben um mit Guillermo zu kommunizieren, das war der weitere große Schritt. Ich habe schon Kurzgeschichten auf Englisch geschrieben, ich habe mit Musikern auf Englisch gearbeitet und ich habe auch schon einmal eine Novelle von etwa 60 Seiten auf Englisch geschrieben, die jetzt auch in Deutschland übersetzt rauskommt. Aber das war natürlich schon noch eine ganz andere Aufgabe.

Wie bist du an die herangegangen?

Ich habe mir von Anfang an eine sehr, sehr strenge Lektorin ausbedungen hier in Amerika, die ich auch kenne und die mir garantiert wurde, von der ich ganz sicher war, dass sie alles findet, was ich vielleicht an deutschen Wendungen reinpacke. Und dann habe ich den Film quasi Sekunde für Sekunde geguckt und danach geschrieben. Das Drehbuch ist ganz anders als der Film, also habe ich versucht, jedes einzelne Bild in Worte zu fassen.

Das war ja sicher eine ganz andere Herangehensweise als bei deinen Büchern.

Das war eine unglaublich aufregende Aufgabe, weil man natürlich sonst unheimlich mit plotten zu tun hat, also die Geschichte zu spinnen. Dass ich das nicht tun musste, habe ich sehr genossen. Also einfach mal eine Geschichte zu erzählen, die man sehr liebt und sich auf die Sprache zu konzentrieren das fand ich eine tolle Aufgabe.

Das Labyrinth des Fauns

Ist dein Schreibstil im Englischen anders als im Deutschen?

Viele Freunde von mir, gerade englischsprachige, die mein Deutsch nicht lesen können, sagen immer sie hören, dass ich eine andere Stimme auf Englisch habe. Ich glaube, dass ich eine erwachsenere Stimme im Englischen habe. Vielleicht auch, weil ich das Englisch später gelernt habe.

Es gibt ja die Theorie, dass mit jeder Sprache nur die emotionalen Erinnerungen verbunden sind, die du hattest, als du es gelernt hast. Das heißt, all meine Kindheitserinnerungen sind ans Deutsche gebunden, Englisch lernt man halt ab zehn oder 12. Wirklich fließend war ich vielleicht mit 16, 17. Ich habe immer das Gefühl, dass ich im Englischen wesentlich freier bin. Andererseits fehlen mir natürlich auch Sachen, zum Beispiel der Reichtum des Vokabulars. Der wird nie im Englischen bei mir so sein wie im Deutschen. Das Vokabular bekommt man nie, das man in der Muttersprache hat.

Inwiefern unterscheidet sich das Deutsche vom Englischen?

Im Deutschen ist es sehr, sehr schwer, große Themen oder Gefühle auf leichte Weise zu schreiben, das wird immer gleich gewichtig. Da muss man ganz anders mit umgehen im Deutschen. Deswegen habe ich auch an der Übersetzung nochmal sechs Wochen ganz intensiv gearbeitet, obwohl die sehr gut war. Weil ich da einiges noch klären, ändern, vom Klang her anders machen musste. Es ist ein vollkommen anderes Material. Aber gleichzeitig sind die Sprachen auch so verwandt, dass man durchaus hin- und hergehen kann.

Hat Guillermo del Toro dich mehr oder weniger machen lassen oder habt ihr sehr eng zusammengearbeitet?

Mir war von Anfang an klar, dass er mich wird machen lassen. Wir hatten aber ein großes Abendessen zusammen – da habe ich immer noch die Krabbenschere von der Krabbe, die wir da gegessen haben – und da hatte ich eine sehr kurze Liste von ein paar Fragen, die ich für Schlüsselfragen hielt, um zu sehen, ob ich die Geschichte so lese, wie er sie gelesen haben möchte.

Welche Fragen waren das?

Ich habe ihn zum Beispiel gefragt: Wenn der Faschist sich die Rasierklinge an den Hals hält, flirtet er da mit dem Tod? Immer wenn ich sah, dass er lächelte und nickte, wusste ich, dass ich die Geschichte so lese wie er. Wir hatten das schon bei unserer Zusammenarbeit für Dreamworks gemerkt, dass wir die Welt auf dieselbe Art und Weise sehen, dass wir das gleiche Mitgefühl mit Opfern haben und den gleichen Abscheu vor Gewalt und vor dem Bösen. Ich glaube, in meinen Geschichten und in Guillermos Filmen wirst du keine Verklärung oder Glorifizierung des Bösen finden oder auch diesen Ansatz, dem Bösen Glamour zu verleihen.

Also nicht wie Hollywood-Schurken, die gerne auch mal ein wenig sexy sind?

Nichts ist sexy an Bosheit oder Grausamkeit! Das habe ich an ihm immer sehr zu wertschätzen gewusst. Auch dass er Helden hat … bei „Hellboy“ ist zum Beispiel nicht Hellboy der wirkliche Held, sondern sein Vater, der Wissenschaftler, der ihn adoptiert und glaubt, dass er dem Bösen durch Erziehung und durch Gutes begegnen kann. Das ist ein Konzept, dass man bei Guillermo überall finden kann. Auch der Doktor in „Pan’s Labyrinth“ ist ein wirklicher Held. Das ist mir sehr nahe und das finde ich sehr berührend. Gleichzeitig sind die Frauen immer sehr stark. Mercedes ist eine fantastische Figur! Also war es eine große Freude, die Geschichte nachzuerzählen.

Du wolltest die Geschichte also unverändert lassen?

Guillermo war ganz unglücklich, als ich ihm gesagt habe, dass ich nichts an dem Film ändern werde. Er hat geguckt wie ein Kind, dem man gesagt hat, Weihnachten wurde abgeschafft. Das hat ihn sehr beschäftigt. Auch wenn ich ihm Kapitel schickte und er sie gerne mochte, meinte er: „I want you to play!“ Ich habe gesagt, mit dem Film kann ich das nicht, weil ich jede einzelne Sekunde dieses Films liebe.

Wie habt ihr das Problem dann gelöst?

Ich habe vorgeschlagen, zehn Geschichten über Schlüsselelemente des Films zu schreiben und die einzufügen. Und da strahlte er, als hätte ich ihm Weihnachten zurückgegeben. Als er diese „Interludes“ als Möglichkeit sah, da war das Buch das, was er gerne wollte. Dass es zwar seine Geschichte erzählt, aber er wollte, dass auch ich als Künstlerin auch zufrieden mit dem Werk bin und nicht einfach nur ein Nacherzähler bin. Das sieht man auch jetzt an den ganzen Reaktionen, an den Kritiken, an Leuten, die eigentlich den gucken wollen, aber ihn plötzlich gucken können, dass das uns gelungen ist.

Das Schreiben an sich hat er dann ganz dir überlassen?

Geschrieben habe ich natürlich allein. Ich habe von ihm noch ein paar Anmerkungen bekommen in der Nacht, in der er den Löwen in Venedig gewonnen hat für „Shape of Water“. Da habe ich ihm gratuliert und er hat gesagt „to celebrate I sent you the notes“.

The Shape of Water

Wie sahen seine Notizen aus?

Das waren ganz wunderbar Notizen, als wenn du so Puderzucker über einen Kuchen streust. Zum Beispiel: „Ich wollte dir noch sagen: Der Faschist hat das Rasiermesser aus einem geplünderten Laden in Barcelona gestohlen“ oder „als der Doktor im Sterben lag, sah er eine Spinne unter der Treppe sitzen“. Diese Art von Notizen hat er geschrieben. Das war wie ein wunderbares Geschenk, die noch einzuflechten. Und die habe ich auch fast in seinem Stil belassen. Selbst als die Lektorin in Amerika anfing zu meckern, habe ich gesagt, dass das jetzt so bleibt, wie es ist, weil er das so geschrieben hat. Da das nur an ganz wenigen Stellen war, war das auch möglich.

"Ich habe mindestens so viele Lieblingsfilme wie Lieblingsbücher."

Cornelia Funke

Wie war es, als Schriftstellerin mit einem so visuellen Counterpart zusammenzuarbeiten?

Da ich ja natürlich Illustrator bin – ich war sogar erst Illustrator – ist mir das sehr nahe. Ich habe mindestens so viele Lieblingsfilme wie Lieblingsbücher.

Mehr Hörbücher von Cornelia Funke

Cornelia Funke ist Deutschlands versierteste Kinder- und Jugendbuchautorin. In unserem Cornelia-Funke-Portrait erfahrt ihr mehr über die Frau, die mit "Die wilden Hühner" und "Tintenherz" Literaturgeschichte geschrieben hat. Mehr Hörbücher findet ihr hier:

Cornelia Funkes Die Wilden Hühner und das Leben
Tintenherz
Herr der Diebe
Drachenreiter

Was sind eigentlich gute Hörbücher? Die Antwort darauf gibt Cornelia Funke hier.