1989 veröffentlicht, begeisterte Heike und Wolfgang Hohlbeins Der Greif, eine Geschichte über einen Ausflug in eine Welt voller Angst und Schrecken, Millionen. Ende Mai 2023 präsentiert Audible „Der Greif: Die Vorboten“ – zeitgleich zum Start der Serien-Adaption des Buches, die bei Amazon Prime Video verfügbar sein wird.

Die Autoren von „Der Greif: Die Vorboten“ sind aber nicht Heike und Wolfgang Hohlbein, sondern ein anderes Ehepaar: Judith und Christian Vogt. Im Team haben sie die sechs Folgen umfassende Hörspiel-Serie geschrieben. Judith ist Roman-Autorin im Bereich Phantastik und gibt ein Kurzgeschichten-Magazin heraus. Zudem hat sie einen Podcast zum Thema Feminismus und Phantastik und übersetzt und lektoriert. Christian ist eigentlich Physiker und schreibt nebenberuflich zusammen mit Judith Romane und Rollenspiele.

Im Interview sprechen wir unter anderem darüber, was Fans von Wolfgang Hohlbeins Greif-Kosmos von „Der Greif: Die Vorboten“ erwarten dürfen und welche besonderen Herausforderungen das Schreiben eines Hörspiels mit sich bringt.

Ende Mai 2023 erscheint bei Audible die Hörspielserie „Der Greif: Die Vorboten“. Worum geht es in der Serie?

Christian Vogt: Die Hörspielserie „Der Greif: Die Vorboten“ erscheint zeitgleich zur Serie „Der Greif“ bei Amazon Prime Video. Weil wir nicht spoilern wollen, kann ich nur so viel verraten: Die drei Teenager Anke, Tomek und Sandy sind aus unterschiedlichen Gründen in Krefelden. Alle sind erst seit circa einem halben Jahr in der Stadt.

Der Greif

Wo lernen sich die drei kennen?

Christian Vogt: In einem Kampfsportstudio bei einer von der Schule organisierten Selbstbehauptungsaktion. Dort stellt sich heraus: Der Sozialarbeiter, der sie dazu verdonnert hat, an dem Kurs teilzunehmen, hat düstere Absichten. Seine Aufgabe ist es, die Teenager aus dem Weg zu schaffen. Er versucht, irgendetwas mit ihrem Gedächtnis anzustellen, wird dabei aber unterbrochen. Weder die Jugendlichen noch der Sozialarbeiter sind das, was sie zu sein scheinen. Deshalb müssen die drei herausfinden, wer sie eigentlich sind – und was das alles soll.

Denkt ihr, dass auch „Nicht-Fantasy-Fans“ an dem Hörspiel Spaß haben werden?

Judith Vogt: „Der Greif: Die Vorboten“ spielt wie die Prime-Video-Serie in den 1990er-Jahren in Krefelden, eine fiktive Kleinstadt in Westdeutschland, kurz nach der Wende. Deshalb sind die Themen unserer Serie das Leben in der Kleinstadt, speziell in den 90er-Jahren. Auch Queerness spielt eine Rolle. Und eine feindselige Einstellung gegenüber Ostdeutschland. Generell kann ich sagen: Wir sind in den 90er-Jahren in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen und im Hörspiel konnten wir einige Themen aufarbeiten, die bei uns aus dieser Zeit „hängengeblieben“ sind.

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Was sind das für Themen?

Judith Vogt: Sandy kommt aus Ostdeutschland und Tomek ist, gemeinsam mit seinen Eltern, polnischer Spätaussiedler. Tomek und Sandy sind beide mit Ostdeutschen- beziehungsweise Polenfeindlichkeit in der Schule konfrontiert. In Form von Mitschülern, die „Ossi-Witze“ und Kommunismus-Witze machen, aber auch in Form von Lehrern, die finden, die beiden seien auf dem Gymnasium falsch. Das haben wir mitbekommen, auch wenn wir selbst keinen Aussiedler-Hintergrund haben. Und wir haben damals schon gemerkt, dass einige Lehrer diesbezüglich richtig ätzend sein können. In der Prime-Serie kommt das „Ostdeutsch-Westdeutsch-Thema“ nicht vor, deshalb war es uns wichtig, das in das Hörspiel mit reinzubringen.

Märchenmond

In welcher Verbindung steht das Hörspiel zur Amazon-Prime-Serie „Der Greif“?

Judith Vogt: „Der Greif: Die Vorboten“ ist mehr Spin-off als Vorgeschichte. Wir haben drei eigene Hauptfiguren, die ihre eigene Story erleben, dadurch den „Greif-Kosmos“ erweitern und neugierig machen auf das, was da noch so alles ist. Die Ereignisse in der „Der Greif: Die Vorboten“ spielen circa eine Woche vor der Prime-Video-Serie.

Tauchen auch Charaktere aus dem Hörspiel in der Prime-Serie auf?

Christian Vogt: Ja, Anke, Tomek und Sandy gehen auf die gleiche Schule wie Mark, der Protagonist aus „Der Greif“.

Judith Vogt: Mark verkauft nämlich Mixtapes an der Schule, die Anke, Tomek und Sandy besuchen. Becky, die weibliche Hauptfigur in „Der Greif“, ist zu Beginn von „Der Greif: Die Vorboten“ gerade aus Berlin nach Krefelden gekommen. Sie taucht gleich in den ersten Szenen des Hörspiels auf. Anders als in der Prime-Serie ist sie aber im Hörspiel keine Hauptfigur. Dafür aber eine sehr wichtige Nebenfigur – eine Verbündete. Die Figuren werden natürlich von den Schauspielern der TV-Serie gesprochen.

Als der Meister starb

„Der Greif: Die Vorboten“ richtet sich speziell an Fans des Urban-Fantasy-Genres. Welche Elemente dürfen sie erwarten?

Christian Vogt: Ein typisches Element der Urban Fantasy ist, dass etwas Übernatürliches, Fantastisches in das normale, alltägliche Leben einbricht. Das passiert auch bei uns. Genauso gibt es das Erkennen, dass es eine andere Welt gibt. Für unsere Protagonisten bedeutet dies, dass sie, obwohl etwas Außergewöhnliches und Übernatürliches passiert, den ganz normalen Schulalltag „auf die Kette bekommen“ müssen.

Judith Vogt: Unsere Monster kommen teilweise als Menschen daher. Wir haben aber auch einen Fokus auf Insekten wie in der „Greif“-Serie. Für das Hörspiel haben wir uns dafür entschieden, dass eine übernatürliche Grillen-Plage über die Stadt hereinbricht. Und zwar vor allem wegen ihres Sounds – wir mussten beim Hörspiel natürlich auch schauen, was sich gut anhört.

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Monster, eine übernatürliche Grillen-Plage – für ganz Schreckhafte ist das Hörspiel also nichts, nehme ich an?

Christian Vogt: Es gibt keine Jump Scares und die Monster fallen niemanden an. Ich würde sagen, es geht mehr um eine unheimliche Grundstimmung.

Judith Vogt: Das Hörspiel ist mehr Fantasy als Horror, würde ich sagen.

Der Vampyr

Die Protagonisten von „Der Greif: Die Vorboten“ – Anke, Tomek und Sandy – sind 18 und 16 Jahre alt. Können wir auch typische Coming-of-Age-Themen wie den ersten Liebeskummer oder die Suche nach der eigenen Identität erwarten?

Judith Vogt: Wir haben typische Coming-of-Age-Elemente im Hörspiel verarbeitet, haben aber keinen großen Fokus auf Liebe gelegt. Obwohl wir uns natürlich beim Schreiben die Frage gestellt haben, ob es zwischen den Protagonisten romantische Beziehungen gibt. Das Thema kommt in der Prime-Video-Serie stark vor. Bei uns geht es eher um Freundschaft. Uns war auch wichtig, weibliche Protagonistinnen zu zeigen, die nicht miteinander konkurrieren. Wir wollten zeigen, dass die beiden Mädchen sehr unterschiedlich sind und zueinander eine schwesterliche Beziehung entwickeln.

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Es gibt also keine Love Story?

Christian Vogt: Am Rand spielt die Liebe schon auch eine Rolle. Denn Sandy, eine unserer Hauptfiguren, hat einen Crush auf Mark, der wie gesagt Protagonist in der Amazon-Prime-Video-Serie ist. Hier gibt es also auch wieder eine kleine Verbindung zwischen Hörspiel und TV-Serie.

Judith Vogt: In Liebesdingen erfahren wir noch am ehesten etwas über Tomek. Im Hörspiel begegnet er einem schwulen Mann, der ihm Dinge aus seinem Leben erzählt. Tomek bedankt sich nachher bei ihm für die Offenheit. Und er hat auch Crushes auf Mitschüler. Insgesamt sind das Tomeks erste Schritte in Richtung Sichtbarkeit. Der Fokus liegt aber nicht wirklich auf „Liebe“, sondern eher auf queerer Repräsentation.

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Ein gesellschaftlich sehr relevantes Thema. Gibt es weitere?

Judith Vogt: Anke hat eine von uns erfundene chronische Erkrankung. Dazu können wir gar nicht so viel sagen, weil es ganz bestimmte Gründe dafür gibt, dass sie diese Krankheit hat.

Christian Vogt: „Identität“ ist definitiv ein Thema in der Serie. Nicht nur mit Blick auf das Aussiedler-, das Ost-West-, Queerness- und Ability-Thema. Sondern auch mit Blick auf die Jugendsprache und die Popkultur der 90er als identitätsstiftendes Element. Wir haben uns zum Beispiel Filme angeschaut und Musik gehört, die in den 1990er-Jahren populär war. Dann haben wir passende Referenzen in das Hörspiel „eingebaut“, zum Beispiel zu Terminator und zu Grunge. Auch die richtige Sprache zu integrieren, war uns wichtig. Wo heute Jugendwörter wie „cringe“ Teil des Wortschatzes werden, war es in den 90er-Jahren „fett“ und „abgefahren“.

Anubis

Abgesehen von den Spannungen, die ihr dargestellt habt: Was macht eurer Ansicht nach den Reiz der 1990er-Jahre und des Kleinstadt-Settings aus?

Christian Vogt: In den 90ern war das Internet nicht überall verfügbar und niemand hatte ein Handy. Wenn man etwas „Unheimliches“ oder „Mysteriöses“ machen will, ist das optimal: Man kann nicht einfach jemanden anrufen, wenn man ein Problem hat. Beides spielt auch in das Kleinstadt-Setting von „Der Greif: Die Vorboten“ rein. Sowohl die Thematik der Abgelegenheit als auch die der Nicht-Erreichbarkeit.

Judith Vogt: Wir haben einige Szenen, die in einer Telefonzelle spielen, weil daran für uns Jugenderinnerungen geknüpft sind. Auch das Thema „Kleinstadt“ spielt für alle drei Hauptcharaktere eine Rolle. Anke kommt wie Becky aus einer Großstadt in die rheinische Provinz, Sandy und Tomek aus kleinen Städten – und fragen sich, ob sie wirklich nach Krefelden gehören.

Ihr habt die Hörspielserie zusammen geschrieben. Wie kann man sich eure Zusammenarbeit vorstellen?

Christian Vogt: Normalerweise sage ich auf diese Frage: Wir schreiben alles doppelt und nehmen dann das bessere. Aber das wäre einfach nicht wahr (lacht). Weil das Schreiben Judiths Haupt- und mein Nebenjob ist, planen wir zusammen. Judith schreibt 80 bis 90 Prozent. Ich picke mir anschließend die Szenen raus, auf die ich Bock habe. Zum Schluss bearbeiten wird das Geschriebene gegenseitig, bis es wie aus einem Guss klingt. Bei „Der Greif: Die Vorboten“ haben wir die Arbeit noch stärker aufgeteilt, was daran lag, dass wir einen sehr straffen Zeitplan hatten und etwa eine Folge pro Woche schreiben mussten.

Der Untergang

Habt ihr schon mal ein Hörspiel geschrieben?

Judith Vogt: „Der Greif: Die Vorboten“ ist unser Hörspiel-Debut. Dorothea Martin von Audible ist durch unseren Roman Schildmaid - Das Lied der Skaldin auf uns aufmerksam geworden. Weil wir Phantastik-Autoren sind, hat sie uns gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, für „Der Greif“ ein Spin-off zu schreiben. Unsere Reaktion war erst mal: „Puh, dafür brauchen wir aber eine gute Begleitung“, weil wir uns das nicht so ganz zugetraut haben. Dann hat Doro zum Glück eine Lektorin dazu geholt, mit der wir schon oft und gerne gearbeitet haben.

Und auch mit unserer Produzentin Elnas Isrusch ­hat die Zusammenarbeit echt Spaß gemacht. Auch das Hörspiel-Studio, das danach die ganzen Sound-Effekte und Geräusche integriert hat, war super hilfreich. Sie haben immer wieder Rückmeldung gegeben und Vorschläge gemacht, unter anderem dazu, wie Szenen umgeschrieben werden könnten …

Christian Vogt: … zum Beispiel, wenn zu viele Leute in Szenen vorkamen und das zu teuer wurde (lacht). Wir haben relativ schnell gelernt, dass Hörspiele nicht aus Beschreibungen, wie sie in Romanen üblich sind, bestehen. Der Regisseur hat uns immer wieder den Ratschlag gegeben: „Schreibt sehr ‚mündlich‘. Das Geschriebene muss wie gesprochen klingen“.

Schildmaid - Das Lied der Skaldin

Dafür sind Sound-Effekte im Hörspiel besonders wichtig.

Judith Vogt: Auf jeden Fall. Uns hat der leicht „Synthie-mäßige“ Soundtrack gefallen, der sowohl in der Prime-Video-Serie als auch bei uns im Hörspiel verwendet wird. Bei den Soundeffekten ist natürlich das unterschwelligen Zirpen der Grillen besonders schön, das sich immer weiter steigert. Auch die Verwandlung der Gestaltwandler wurde vom Hörspiel-Studio sehr schön untermalt. Da finde ich es auch sehr spannend, dass ihre Stimmen zwischen maskulin und feminin changieren.

So spiegelt das Sound Design die Queerness-Thematik wider.

Judith Vogt: Definitiv.

Habt ihr selbst schon komplette Folgen von „Der Greif: Die Vorboten“ hören können?

Judith Vogt: Ja, bis jetzt haben wir die ersten anderthalb Folgen hören können und durften auch bei einer Aufnahme dabei sein. Luna Wedler, Michelangelo Fortuzzi und Lena Urzendowsky, die Anke, Tomek und Sandy sprechen, haben das grandios gemacht.

Die Entdeckung

Ihr seid verheiratet. War das problematisch bei der Zusammenarbeit?

Christian Vogt: Ich würde sagen, dass unsere Zusammenarbeit größtenteils harmonisch war. Wir sind ganz gut darin, uns die Zeit einzuteilen, deshalb gibt es keine „Stressspannungen“, weil die Zeit knapp ist. Was es allerdings schon ab und zu mal gibt, sind kreative Spannungen. Einmal haben wir sogar beide das Finale eines Romans geschrieben, weil wir dachten, dass der jeweils andere es nicht schreiben würden. Dann wurde es kurz mal etwas traurig (lacht), aber dann haben wir unsere beiden Finale zu einem zusammengefügt.

Oh je. War das jetzt wieder der Fall?

Christian Vogt: Nee, dieses Mal hatten wir auch gar keine Zeit uns kreativ zu streiten (lacht).

Judith Vogt: Das hätte dieses Mal auch gar nicht passieren können, weil unsere Rollen feststanden.

Der Todesstoß

Ihr sagt, dass ihr Herausforderungen mögt. Könnt ihr euch vorstellen, noch einmal ein Hörspiel zu schreiben?

Judith Vogt: Auf jeden Fall. Wir hoffen fürs Hörspiel auf eine zweite Staffel. Und auch zu anderen Themen gab es schon Brainstormings mit Audible. Wir würden uns freuen!

Wir dürfen also gespannt sein, was wir als nächstes von euch hören. Bevor wir uns verabschieden, noch einmal abschließend auf den Punkt gebracht: Warum sollte man „Der Greif: Die Vorboten“ auf jeden Fall anhören?

Christian Vogt: Weil es einfach Spaß macht, in den 90ern mit einer Bedrohung im Nacken unterwegs zu sein und dabei eine tolle Soundkulisse zu haben.

Vielen Dank für das Gespräch, Judith und Christian, und viel Erfolg euch weiterhin!

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