Deutscher Hörbuchpreis in Köln

Es hat schon etwas von einer Tradition: Das 3. Jahr in Folge bin ich bei der Verleihung des Deutschen Hörbuchpreises als Bloggerin dabei. Also geht’s am Abend des 6. März auf nach Köln, zum Funkhaus des WDR.

 

Drinnen das inzwischen gewohnte Prozedere: Anmelden, ein Gläschen Sekt in die Hand nehmen und damit ein gutes Plätzchen im Presseraum ergattern, für das anstehende Fotoshooting mit den Preisträgern.

 

Dort gibt es für die Fotografen und Preisträger eine witzig gemachte Einführung, wie man sich beim Shooting verhalten soll. Einer Flugbegleiterin gleich, in Warnweste und von Sprecherin Valery Tscheplanowa begleitet, demonstriert die Moderatorin Bodenmarkierungen, Sicherheitsabstand und das korrekte Halten der Trophäe.

 

Die Preisträger stehen – bis auf einen – schon alle fest und sind schon bekanntgegeben. Ein Umstand, den ich nicht ganz verstehe. Es wäre doch spannender, wenn erst bei der Verleihung die Gewinner veröffentlicht werden. Immerhin: zum ersten Mal wird 2018 der WDR Publikumspreis vergeben, und in dieser Sparte weiß noch keiner, wer mit der schicken Trophäe aus Hartholz und Sicherheitsglas nach Hause gehen wird.

Nach dem Pressetermin schwärmen alle flugs rüber in den Klaus von Bismarck-Saal, der mit seiner Holzvertäfelung und den Orgelpfeifen hinter der ganzen modernen Technik etwas altehrwürdig-feierliches hat. Auf der Bühne warten schon die vertrauten roten Sofas, die große Leinwand und links die Live-Band auf den Start der Show. Die Gala wird aufgezeichnet, und damit alles reibungslos klappt, der Ton richtig eingestellt und das Publikum schön auf Betriebstemperatur ist, macht der Gastgeber des Abends, Götz Alsmann, höchstpersönlich den Einheizer.

 

Dann gibt ein mit großen Zetteln bewaffneter Regiemensch unten auf dem Parkett ein hektisches Zeichen, und die Gala beginnt.

Der erste Hörbuchpreis des Abends wird an den „besten Interpreten“ vergeben, und er geht an einen Kultsprecher: Andreas Fröhlich, mein ganz persönliches Lieblings-„Drei???“, wird für seine Lesung von Walter Moers‘ „Prinzessin Insomnia und der albtraumfarbene Nachtmahr“ geehrt. Daraus darf er auch gleich ein Stück vorlesen und bewältigt die zungebrechenden „ridikülisierenden Anagramme“ im Text mit traumwandlerischer Sicherheit. Im Interview berichtet Fröhlich von leichter Schnappatmung, als er eine zum Buch gehörende, mehrseitige Liste asiatischer Mondkrater einzulesen hatte. Der Aufnahme fielen fünf bei Verlesern vor Wut zerbrochene Bleistifte zum Opfer. Dass er zur Gala im Anzug, aber mit ausgelatschten Sneakern antritt, verleiht ihm einen sympathischen Großer-Junge-Charme. (Ja, ich bin ein Fangirl.)

Die zweite Preiskategorie ist das „beste Hörspiel“. Der Gewinnertitel ist „Dienstbare Geister“ von Paul Plamper. In T-Shirt, Jeans und Turnschuhen kommt der sympathisch nerdig wirkende Plamper auf die Bühne, gemeinsam mit einem seiner Hauptdarsteller. Sein Hörspiel, das in zwei Erzählsträngen in Kamerun situiert ist und Kolonialzeit, Flucht und Migration thematisiert, entspricht bestimmt nicht dem bekannten Mainstream. Wie mehrere Titel des Abends mit Sicherheit ein kleines Juwel, das jetzt über die Grenzen des Hörbuch-Feuilletons hinaus vielleicht ein breiteres Publikum findet.

Eine wichtige Amtshandlung ist die offizielle Eröffnung der lit.COLOGNE, deren Startpunkt traditionell die Hörbuchpreis-Zeremonie ist. Diese Aufgabe übernimmt diesmal Ulknudel Cordula Stratmann. Sie begrüßt alle „Anwesenden und Anwesendinnen“, plaudert aus, dass sie eigentlich Martin Suter ist, und eröffnet das Büff- äh… die lit.COLOGNE.

 

(Und ja, ich habe Martin Suter falsch geschrieben. Er möge mir verzeihen.)

Eine Kinderjury hat passenderweise und mit großer Ernsthaftigkeit das „beste Kinderhörbuch“ gewählt. „Die furchtlose Nelli, die tollkühne Trude und der geheimnisvolle Nachtflieger“ von Verena Reinhardt hat die „Bücherkinder“ vor allem wegen der tollen Sprecherin überzeugt: Franziska Hartmann. Die erzählt nach einer Lesekostprobe vom Vorlesen in einer Familie mit sieben Geschwistern und davon, dass sie schon als Kind wegen ihrer rauen Stimme des Kettenrauchens bezichtigt wurde.

Musik gibt’s auch, und für die musikalischen Intermezzi sorgt der New Yorker „Lions Head“ mit gefälligen Popmelodien, Gitarrenvirtuosität und Streichelstimme.

 

2018 ist offenbar das Jahr der ellenlangen Hörbuchtitel. In der Kategorie „beste Interpretin“ gewinnt „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ von Paulus Hochgatterer, oder vielmehr Sprecherin Valery Tscheplanowa. Ihre kindlich-rauchige Stimme verursacht bei der Lesekostprobe Mucksmäuschenstille im Saal. Mit acht Jahren kam sie erst nach Deutschland. Von Alsmann auf ihren Status als Nicht-Muttersprachlerin und Akzente angesprochen, antwortet sie schlagfertig.

 

Es folgt ein Ausbrecher. Nicht den Hörbuchpreis, sondern den Preis der hr2-Bestenliste erhält „Requiem für Ernst Jandl“, eine Musik-Lyrik-Inszenierung. Alsmann lästert verschmitzt über die einfache Urkunde, die Komponist Lesch Schmidt im Gegensatz zur schicken Hörbuchpreis-Trophäe entgegen nimmt. „Da sieht man den Unterschied zum WDR.“

Ein Höhepunkt des Abends ist die Überreichung des Sonderpreises für das Lebenswerk, übrigens von Audible gesponsort. Er geht an die großartige Eva Mattes. Die Laudatio hält kein Geringerer als Christian Brückner, dessen markante Stimme Kinofilme und gewaltige Naturdokus vor meinem inneren Auge aufflackern lässt.

 

Natürlich wird an Eva Mattes Sprecher-Anfänge als „Timmy“ in der Fernsehserie „Lassie“ erinnert. Dann tritt die ebenso freundlich wie souverän wirkende Schauspielerin ans Pult und stellt mit einem Auszug aus der „Neapolitanischen Saga“ von Elena Ferrante ihr Können unter Beweis.
Wenn man ihr zuhört und –sieht, klug, gestanden, gewandt, mit Lebenserfahrung im Gesicht, möchte man jeder Botox-gestrafften Hollywood-Aktress zurufen: Guck mal, SO macht man das!

 

Mit dem „besten Sachhörbuch“ ist das mal wieder so eine Sache. Wie meist, gewinnt hier ein Titel, den man sonst aus den Tiefen des akademischen Radiofunks oder aus Historiker-Nischen hervorgraben muss. Mir sagt „Fritz Bauer: Sein Leben, sein Denken, sein Wirken“ auch nichts. (Er war ein Generalstaatsanwalt, der bei der Aufklärung von NS-Verbrechen eine wichtige Rolle spielte.) Da vollzieht der Hörbuchpreis seinen unebenen Spagat zwischen weitgehend unbekannten, nur eine kleine Publikumssparte ansprechenden Titeln und leichteren, aber populären Mainstream-Hörbüchern. Es ist ein bisschen wie die Sache mit U- und E-Musik. Da könnte man viel drüber diskutieren.

Aufs Stichwort folgt die Ehrung für die „beste Unterhaltung“: „Der Club“ von Takis Würger geht hier mit dem Pokal nach Hause. Regisseurin Theresia Singer nimmt ihn gemeinsam mit Takis Würger entgegen. Sie berichtet herzhaft kichernd, dass zwar keine „toxischen Getränke“ aber reichlich Überredungskunst nötig war, um den Autor als einen der zahlreichen Sprecher zu gewinnen. Der war ganz schön eingeschüchtert vom hochkarätigen Cast – und traut sich vielleicht deshalb auch nicht mit vors Mikro für eine Lesekostprobe. Das überlässt er Matthias Koeberlin und Jonas Minthe. Koeberlin liebe ich seit "Der Distelfink", und auch wenn er im tatsächlichen Leben keine Haare mehr auf dem Kopf hat und mir nur bis etwa zum Kinn reicht, ist seine raumfüllende, satte Stimme ein ganz, ganz großes Erlebnis.

 

Richtig Spannung kommt bei der letzten Kategorie auf, denn es ist die einzige, in der der Gewinner noch nicht im Voraus bekannt gegeben wurde. Für den WDR-Publikumspreis waren in der Endrunde drei Titel nominiert. And the winner is… Marc-Uwe Klings Zukunftssatire QualityLand! Es gibt viel Applaus für Kling, der dem Dresscode des Abends mit Fletschkappe, Rollkragenpulli und Wanderschuhen eine ganz neue Nuance verleiht. Auf jeden Fall sahnt er mit seiner Lesekostprobe als denkendes Auto „Herbert“ die meisten Lacher des Abends ab. Diese neue Kategorie – samt Überraschungseffekt und breitem Bekanntheitsgrad der Titel – ist auf jeden Fall eine Bereicherung für den Hörbuchpreis.

 

Alsmann packt den Abend dann ziemlich rasch zusammen (der Regiemensch mit den Schildern wedelt wohl ziemlich heftig). Die Kameras gehen aus. Auf der Bühne sammeln sich nochmal alle Preisträger für ein Gruppenfoto und sind dabei auch nicht besser zu koordinieren als jede Schulklasse.

 

Der Abend ist noch nicht rum. In der Funkhaus-Lobby gibt es ein leckeres Büffet und reichlich Getränke. Preisträger, Verlagsvertreter und Journalisten mischen sich mit Lokalprominenz. Im Gedränge sehe ich Jean Pütz, Georg Uecker aus der „Lindenstraße“ und „Tatort“-Kommissarin Inga Lürsen alias Sabine Postel. Es hat ein bisschen was von einem Klassentreffen, mit Cliquenbildung und kölschem Geklüngel. Mehr „normale“ Zuschauer, mehr einfache, begeisterte Hörbuchhörer, die nichts mit der Branche selbst zu tun haben – das würde ich der Hörbuchpreis-Gala manchmal wünschen. Ein paar mehr Gäste, für die es genauso aufregend ist wie mich, neben einem Andreas Fröhlich oder einem Marc-Uwe Kling zu stehen und sie live zu erleben. Vielleicht nächstes Mal?

Gegen 23 Uhr verlasse ich die Party und lasse den Kölner Dom hinter mir, im Gepäck einen Haufen Fotos, Videoclips und toller Eindrücke.

 

Die preisgekrönten Titel

Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr
Dienstbare Geister 1
Die furchtlose Nelli, die tollkühne Trude und der geheimnisvolle Nachtflieger
Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war
Der Club
QualityLand

Preisverleihung anschauen

Die Preisverleihung kann man sich in der WDR-Mediathek in voller Länge hier anschauen.