Außer Hörbüchern waren beim Deutschen Hörbuchpreis 2019 diesmal übrigens auch ein Hörspiel und - zum allerersten Mal - ein Podcast unter den Ausgezeichneten. Zusätzlich wurden der WDR-Publikumspreis und der Hörbuchpreis für das Hörbuch des Jahres 2018 der hr2-Bestenliste vergeben.

Beste Interpretin: Eva Meckbach

Deutsches Haus

Frankfurt, 60er Jahre. Dolmetscherin Eva, deren Eltern das Gasthaus “Deutsches Haus” betreiben, wird angefragt, um beim ersten Auschwitz-Prozess Zeugenaussagen zu übersetzen. Ihre Arbeit öffnet ihr die Augen zur Vergangenheit Deutschlands und der ihrer eigenen Familie.

Man merkt, dass der Roman Deutsches Haus von Annette Hess auf einem Drehbuch beruht - seine Sprache ist sehr visuell, und Sprecherin Eva Meckbach setzt das passgenau um, setzt sich in die Szenen und liest, was sie sieht. Sie haucht den unterschiedlichsten Charakteren Leben ein, ohne je zu dick aufzutragen. Ihre Stimme geht in der bewusst leicht angestaubten Sprache der 60er Jahre nahtlos auf. Zuerst naiv, dann fragend und zweifelnd, macht sie aus Eva am Ende eine selbstbewusst klingende Hauptfigur.

Bester Interpret: Gert Heidenreich

Was vom Tage übrig blieb

Seit 30 Jahren ist Stephens in Was vom Tage übrig blieb von Kazua Ishiguro schon Butler auf einem englischen Anwesen. 1956, nach dem Tod des Hausherrn, macht er sich auf den Weg zu einer ehemaligen Kollegin, deren Annäherungsversuche er früher zurückgewiesen hatte, um sie zurück zu holen. Dabei zieht er Bilanz über verpasste Chancen und - letztlich - ein versäumtes Leben.

Gert Heidenreich, Sprecher-Legende und selbst Autor, nimmt sich der Figur des Stephens konsequent und virtuos an. Seine Loyalität, seine Diskretion und Distanziertheit verschmelzt er zu einem eigenen, unaufdringlichen und gleichzeitig mitreißenden Ton. Ihm gelingt die Darstellung einer Figur, deren Charakter und Aufgabe eins geworden sind und macht deren gesamte Tragik sichtbar.

Bestes Sachhörbuch: Sabeeka Gangjee-Well, Hans Well

Rotes Bayern - Es lebe der Freistaat

Am 7. November wurde in einer unblutigen Revolution ausgerechnet von einem Sozialisten - Kurt Eisner - der Freistaat Bayern gegründet. Leider nahm die friedliche Rebellion ein blutiges Ende in der Münchner Räterepublik. Mit musikalischen und szenischen Mitteln erzählt "Rotes Bayern" von diesen Tagen des heute so stolzen, konservativen Bundeslandes.

Mit bitterbösem Humor, grandiosen Texten, nachgespielten Szenen und hintergründigen Liedern erzählen Hans und Sabeeka Gangjee-Well in Rotes Bayern - Es lebe der Freistaat! von der Gründung des Freistaats und der Räterepublik, deren Urvater heute übrigens vielen gar nicht bekannt ist. Eine Mischung aus Feature, Hörspiel und Revue, ist das Wissensvermittlung auf unterhaltsame Art.

Bestes Hörspiel: Judith Lorenz

Unterleuten

In einem fiktiven brandenburgischen Dorf will ein Investmentunternehmen einen Windpark bauen. Daraufhin ist im Dorf die Hölle los: betuchte Berliner Aussteiger, Naturschützer und einfach gestrickte Einheimische geraten mit dem Investor aneinander - und auch zwischen den Bewohnern brechen alte Konflikte zwischen Wende-Gewinnern und -Verlierern wieder auf.

Regisseurin Judith Lorentz hat es geschafft, mit nur einer Assistentin und an 4 Tagen On-Location Aufnahmen, Typen zu schaffen, in denen wir uns alle gespiegelt sehen. Sie ist mit dem Hörspiel Unterleuten nach Juli Zeh das Wagnis eingegangen, anders als im Roman nur auf die Figuren selbst zu setzen. Tolle Sprecher wie Schauspieler Udo Wachtveitl, Axel Prahl und Jaecki Schwarz bekommen von ihr Raum zur Entfaltung.

Bestes Kinderhörbuch: Stefan Kaminski

Manchmal muss man einfach verduften

Finn muss zum ersten Mal allein mit dem Zug nach Berlin fahren. Dann wird er beklaut und vom Schaffner aus dem Zug geschmissen - und trifft Jola, die freche Sprüche drauf hat und sich auskennt, wie man in die “Tzitti” kommt. Ein abenteuerlicher Trip durch die Walachei beginnt, in den auch ein gestohlener Trecker involviert ist - und der Beginn einer Freundschaft.

Sprecher Stefan Kaminski musste sich mit Kannawoniwasein von Martin Muser dem Urteil einer reinen Kinderjury stellen - und gewann mit seiner echten und ausdrucksstarken Stimme, mit der er nicht nur die verschiedensten Personen sondern auch Geräusche imitieren kann. Er beschwört Stimmungen und Gefühle herauf und lässt tolle Bilder im Kopf entstehen. Außerdem, so die Kids, ist seine witzige und springlebendige Lesung sogar für Väter geeignet, die ansonsten im Auto nicht gerne Hörbücher hören.

Beste Unterhaltung: Christoph Maria Herbst

Die Hungrigen und die Satten

Deutschland hat eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen eingeführt. Die Asylsuchenden harren in Lagern in Afrika aus. Als eine Starmoderatorin zu Besuch kommt, hat der junge Lionel die Idee, mit 150.000 Flüchtlingen Richtung Berlin aufzubrechen. Der Marsch wird zum riesigen Medienereignis. Die Politiker dagegen sehen weg und sitzen aus.

Schauspieler Christoph Maria Herbst deckt in der bitteren Gesellschaftssatire Die Hungrigen und die Satten von Timur Vermes ein unfassbares Repertoire an Figuren und Stimmen ab. Unterschiedliche Stimmhöhen, regionale Dialekte und Akzente sind für ihn kein Problem. Er dosiert Traurigkeit, Ernst und Humor passgenau und setzt zielsicher boshafte Spotlights. Den verschiedenen Ebenen des Themas wird er eindrucksvoll gerecht und sorgt gleichzeitig für Spannung und Mitfiebern - und somit für beste Unterhaltung in eben jener, von Audible gesponserten Kategorie.

Hörbuch des Jahres der hr2 Bestenliste: Sandra Hüller

Bilder deiner großen Liebe

Ein Mädchen schlüft aus dem Tor einer Anstalt und begibt sich auf eine Reise. Irgendwo unterwegs, auf einer Müllhalde trifft Isa auf zwei Jungs und einen blauen Lada, die auch auf dem Weg sind: Maik und Tschick aus Wolfgang Herrndorfs erfolgreichem Jugendroman.

Bilder deiner großen Liebe blieb aufgrund Herrndorf’s Tod unvollendet und wurde posthum veröffentlicht. Die Liebeserklärung an Isa wurde in ein Bühnenstück mit Musik umgewandelt - eine spannende, moderne Live-Performance. Das daraus entstandene Hörbuch ist Rock ‘n’ Roll fürs Ohr, mit einer exzentrisch, wild und romantisch auftretenden Sandra Hüller als Isa. Mehr Soundcollage als Hörbuch, könnte man damit sogar in “Rock am Ring” auftreten.

WDR Publikumspreis: Kai Magnus Sting

Tod unter Lametta

In 24 Geschichten erleben wir in Tod unter Lametta Morde der kreativ-weihnachtlichen Art, mithilfe von Lichterketten, Glühwein, Gans und Schneemännern. Mittendrin Hobbydetektiv Alfons Friedrichsberg, der dem möderischen Treiben auf die Spur kommen will.

Preisträger Kai Magnus Sting hat mit drei weiteren Sprechern - Bastian Pastewka, Annette Frier und Jochen Malmsheimer - zusammen im Studio einen urkomischen, wilden Krimispaß geschaffen, der - ursprünglich als Adventskalender gedacht - übers ganze Jahr zum Bestseller wurde und in Kürze fortgesetzt wird. In einer rein vom Publikum durchgeführten, öffentlichen Abstimmung setzte sich Tod unter Lametta in der Endrunde durch gegen Sebastian Fitzeks “Der Insasse” und Kerstin Vielsteddes “Kamikatze”.

Bester Podcast: Christina Wolf

Reporterin und Moderatorin Christina Wolf begleitet und dokumentiert im Podcast Transformer den Weg einer Verwandlung. Mit Mitte 30 outete sich ihre Freundin Steffi als trans und begann die Geschlechtsangleichung zum Mann: Aus der besten Freundin wurde Christinas bester Freund Henri. Aus Christinas Sicht wird dieser Weg beleuchtet, mit allen Aufregungen, Wünschen, aber auch mit den einhergehenden Komplikationen für Henri und ihre Freundschaft zueinander.

Die sechs Folgen wirken sehr ehrlich und authentisch. Es gibt keine übertriebene Effekthascherei. Sowohl sensibel als auch technisch professionell, ist der Podcast eine ausgewogene Mischung aus O-Tönen, Musik und Erzählung. Das serielle und moderne Format, die freie Form abseits klassischer Gepflogenheiten erlauben den passenden Blick auf das Thema.