Die Frau aus der Waschmittelwerbung mag’s leger: ein weit geschnittenes Kleid mit tiefsitzender Taille, Seidentuch lässig um die Schultern geschlungen, den Glockenhut auf dem Bubikopf, flache Schuhe an den Füßen. So sah das OOTD – oder für alle, die mit Instagram nicht viel anfangen können: Outfit of the Day – in den Zwanziger Jahren aus.

Und was für ein Unterschied war das zu der Kleidung, die Frauen noch wenige Jahre zuvor trugen: Während der Belle Époque waren hochgesetzte Taillen en vogue, die gerne noch mit einem Korsett geformt wurden. Mehrlagige, mit Stäben versetzte Miederröcke, die bis zum Boden reichten, galten als alltagstauglich. Hohe Spitzenkragen bedeckten das Dekolleté.

Die Mode der 20er Jahre: ein neues Lebensgefühl

Damit war nun, in den Goldenen Zwanzigern, Schluss. Die „Neue Frau“ wollte Radfahren, frau wollte sich auf ein Motorrad schwingen und ohne fremde Hilfe aus dem Automobil aussteigen können, sie wollte nicht mehr im Rock reiten und Ski fahren. __Und so entwickelte sich eine ganz neue Mode, die nicht nur mehr Beinfreiheit, sondern auch ein anderes Lebensgefühl bot. __

Die Taille – seit jeher ein Körperteil, das Frauen gerne betonten und mittels Korsett in mal mehr, mal weniger natürliche Formen zwängten – wurde kaum mehr beachtet. Sie saß jetzt locker und möglichst tief. Der Hingucker der Stunde: nackte Haut! Bürotaugliche Kleidung war zwar hochgeschlossen und sah dank des angesagten Bubikragens recht brav aus, doch die Röcke wurden kürzer. Statt knöchellang wie früher bedeckten sie jetzt gerade einmal das Knie.

Vorreiterinnen aus Frankreich: der Garçonne-Look

Einen Schritt weiter gingen die Französinnen. Sie gaben sich nicht mit den neuen, luftigeren Passformen zufrieden und bedienten sich, statt shoppen zu gehen, an den Kleiderschränken der Männer. Getreu dem Motto „Was die Kerle können, können wir erst recht!“ trugen sie Hosen, Oxford-Schuhe, Hemden mit Manschetten und Krawatten.

Die Fasson der Cocktailkleider war ähnlich locker wie die der Alltagsklamotten mit ihrer geraden Taille. Abends wurde jedoch mehr Haut gezeigt: Das Vorder- war ebenso weit ausgeschnitten wie das Rückendekolleté, die Hemdkleidchen würden nur von dünnen Spaghettiträgern gehalten. Da die angesagten Schnittmuster der Zeit nicht viel Abwechslung boten, wurde das Augenmerk auf feinste Stoffe und aufwändige Verzierungen gelegt. Kleider wurden aus feinem Goldlamé, zartem Chiffon oder edler Seide gefertigt und mit Volants, Federn, Glasperlen, Seidenfasern und anderem Zierrat geschmückt. Wer sich das nicht leisten konnte, griff zu den neu entwickelten synthetischen Stoffen.

Erstmals im Fokus: der Schuh

Dadurch, dass die Kleider kürzer wurden, stand auf einmal ein Accessoire im Mittelpunkt, das bis dahin wenig Aufmerksamkeit bekommen hatte: der Schuh. Es entstanden völlig neue Designs: Schlangen- und Krokodilleder, glitzernde Spangen, perlenbesetzte Modelle mit hohen Absätzen, Strass, Applikationen aus Metall, vergoldetes Leder, T-förmige oder um den Knöchel geschlungene Riemen … es gab nichts, was es nicht gab. Sandalen, einst wegen des Mangels an Material als Arme-Leute-Schuh verpönt, durften in keinem Schuhschrank mehr fehlen. Besonders mutige Frauen lackierten sich die Zehen in leuchtenden Farben und stellten sie in Modellen mit offenem Zeh zur Schau.

Etwas pragmatischer sah jedoch das tagsüber getragene Schuhwerk aus: Pumps und Stiefeletten zum Schnüren oder Knöpfen machten sich gut zu den neuen, kürzeren Röcken.

Mode für darunter in den 20er Jahren: weniger ist mehr

Unterm Paillettenkleidchen knielange Unterhosen und Baumwollhemden zu tragen, war selbstverständlich keine Option. Also musste neue Unterwäsche her, die nicht allzu sehr auftrug und Bewegungsfreiheit bot. Erstmals trug frau Zweiteiler aus Spitze oder Seide, die alles andere als keusch aussahen. Da androgyne Formen gefragt waren, standen elastische Miederwaren hoch im Kurs, mit denen der Brustumfang optisch reduziert wurde – so viel also zur Befreiung vom Korsett! Die kürzeren Röcke erforderten außerdem eine ganz neue Art des Beinkleids: 1923 wurde mit Rayon eine Kunstseide erfunden, die die Beine verführerisch schimmern ließ.

Androgyn und doch verspielt

Hosen und weite Kleider zu tragen ist im Jahr 2019 längst keine Besonderheit mehr. Marken wie COS verdienen ihr Geld mit weiten Schnitten, die alles andere als figurbetont sind. Céline ist für androgyne Kleidung bekannt, die sowohl Männer als auch Frauen tragen könnten. Der Garçonne-Stil ist längst auf dem roten Teppich angekommen. Wenn man es also so sieht, finden sich auch in dem, was wir heute tragen, zahlreiche Referenzen zu den 20er Jahren. Geht es uns jedoch um den Glanz und den Glamour, dann darf es ruhig etwas mehr sein: perlenverzierte Stirnbänder zum Beispiel oder Cocktailkleider aus mehrlagigem, fließendem Chiffon mit verführerischem Rückendekolleté und schmalen Trägern. Dazu an den Füßen Sandalen mit T-Riemchen – gerade hoch genug, um das Bein zu strecken, aber niedrig genug, um darin tanzen zu können.

Wenn ihr mehr über die 1920er Jahre erfahren wollt, empfehlen wir euch unseren Artikel über beliebte Romane, die in den 1920er Jahren spielen oder Krimis, die in Berlin während dieser Dekade spielen. Das Audible Original Hörspiel "Die juten Sitten" enführt in die Halbwelt des 1920er Jahre Berlin.

Die juten Sitten