__Hallo Doro, du bist die Hüterin der Betriebsgeheimnisse. Verrätst du uns, was die Fiction Factory ist und wieso sie ins Leben gerufen wurde? __

Dorothea Martin: Ich wurde 2018 mit dem gezielten Auftrag zu Audible geholt, den Original-Hörbuchbereich aufzubauen. Von Anfang an hieß es: Wir brauchen viele Sachen, es muss super Unterhaltung sein und es sollte regelmäßig Nachschub geben! Angesichts dieser drei Prioritäten machten Serien am meisten Sinn.

__Du hast vorher bei einem Start-up kollektives Arbeiten ausprobiert. Und die Erfahrungen dann bei Audible zur Fiction Factory ausgebaut. __

Die Frage war ja, wie man unter großem Zeitdruck Storys erschafft und Manuskripte regelmäßig abliefern kann. Unsere Antwort: Es schreibt nicht mehr nur eine Person, sondern mehrere zusammen. Die denken sich gemeinsam eine Welt aus. Dann gibt’s eine klare Übergabe, wer anschließend welchen Teil ausarbeitet. Im besten Fall entsteht durch die vier oder fünf Köpfe, die dahinterstecken, etwas Besseres, Größeres, Kreativeres, weil mehr Ideen zusammenfließen. Solche schreibenden Teams gibt’s schon seit den 1930er-Jahren. Es ging mit Soap Operas im Radio los. Das hat dann später das Fernsehen übernommen. Da wurden die Regeln entwickelt und perfektioniert, wie ein Writers‘ Room zu funktionieren hat.

Mit was habt ihr angefangen?

Wir sind mit zwei Cosy-Crime-Serien an den Start gegangen: „Maisie, Mord und Meer“ spielt in Cornwall, es geht um eine junge Journalistin, die in die Provinz versetzt wird und dort anfängt, den Ort aufzumischen und zu ermitteln, als sich ein Mord ereignet. Das Komische in solchen kleinen englischen Dörfern ist ja, dass sie nur 500 Einwohner haben, aber es stirbt in jeder Folge mindestens eine Person und trotzdem werden es nie weniger. (lacht) Der zweite Titel, den wir rausgebrach haben, war „Green Haven. Maggie Mirren ermittelt“. Da dreht sich alles um eine Polizistenwitwe, die in den Lake District nach Green Heaven zieht und dort ein Antiquariat aufmacht. Die Gegenstände, die sie bekommt, stammen teils von Ermordeten. Und daraus entwickeln sich dann die Geschichten.

1. Eine Leiche zu viel

Warum habt ihr euch für euere Pionierprojekte für Cosy-Crimes entschieden?

Der Vorteil von Kriminalgeschichten ist, dass von der handwerklichen Seite ganz klar ist, wie sie funktionieren. Gerade im Bereich Cosy weiß man, welche Zutaten wichtig sind: das soziale Umfeld, die Charaktere müssen ein bisschen skurril sein, man muss sie liebgewinnen. Und am Ende siegt immer das Gute. Damit ist von vorherein vorgegeben, wo die Sache hingeht. Bei einem Science Fiction ist das nicht so. Da ist – genau wie im Fantasy-Bereich – das „World Building“ unendlich viel größer und braucht viel mehr Zeit. Bis man da ein Schreibteam hat, bei dem alle am selben Strang ziehen, dauert es. Und das ist schwer, wenn im Hintergrund die Uhr tickt. Da ist als Einstieg ein Kriminal-Plot besser.

Wie unterscheiden sich heutige Hörbücher und Hörspiele von dem, was es früher im Radio gab?

Ich glaube, dass das öffentlich-rechtliche Radio immer noch einen Bildungsauftrag hat – und das ist gut so. Dadurch sind aber die Stoffe andere, und oft ist die Produktionsweise auch anders. Wir orientieren uns mehr am Film, zum Beispiel was die Soundtrack-Gestaltung angeht. Wir orientieren uns auch stark an Entwicklungen im angloamerikanischen Bereich, wo Geschichten mehr Tempo haben. Aber auch stärker gebrochen werden, in unterschiedliche Einzelperspektiven.

1. Der Tod der alten Dame

Gibt es im deutschsprachigen Raum etwas Vergleichbares zu eurer Fiction Factory?

Natürlich gibt’s in Deutschland verschiedene Serien, die mit Writers‘ Rooms arbeiten. Aber auf dem Audiomarkt sind wie meines Wissens die einzigen. Das wird sich aber bestimmt ändern, weil der Bedarf so groß ist. Das ist auch super, weil sich dadurch Dinge weiterentwickeln. Auch die Autorinnen und Autoren, mit denen wir arbeiten, lernen ständig dazu.

Wie kommt bei solch einer „Fließbandproduktion“ der genialische Funken rein?

Das ist das, was am Anfang passieren muss, wenn man eine Idee ausarbeitet! Und damit fangen wir ja tatsächlich an. Wir gucken genau, wo bei uns im Programm Lücken sind: also in welche Sparte wollen wir genau rein und wo wissen wir, dass auf dem Markt etwas fehlt? Ein Beispiel ist die Cosy-Crime-Sparte. Da gibt’s zur Zeit nicht viel auf dem Markt, aber viele Leute wollen das hören, weil es totaler Wohlfühl-Content ist. Es ist super zum Nebenbeihören, es ist ein bisschen zum Lachen, und es lädt zum Miträtseln ein. Das funktioniert beim Lesen nicht so gut. Es ist ein Genre, das höraffiner ist. Das war für uns der Startpunkt.

Das britische Erbe

Das heißt, eure Autoren sitzen dann Joint rauchend am Lagerfeuer und brainstormen, bis die genialen Ideen kommen?

Genau. (lacht) Nein, natürlich nicht. Da ich aus dem Start-up-Bereich komme, arbeite ich mit agilen Methoden und mit „Time Boxing“. Das heißt, man hat beim Ideenentwickeln einen leichten Zeitstress. Man wirft Ideen nach einer gewissen Zeit zusammen und muss sich dann entscheiden, im Vertrauen darauf, dass man tatsächlich mit der besten Idee weiterarbeitet. Zwischendurch holen wir uns auch Feedback von unseren Hörern. Also: Wir testen Ideen und bekommen Rückmeldung von der zukünftigen Hörerschaft. Dieses Feedback geben wir dann an den Writers‘ Room weiter.

Wie lange ist der Zeitraum von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt?

Das Schnellste, was wir bislang geschafft haben, waren sechs Monate.

1. Die Tote in der Wand

Haben sich während des Lockdowns die Geschichten verändert?

Man hat schon bei einigen „Pitches“ gemerkt, dass Leute versucht haben, die Themen Corona und Lockdown aufzugreifen und zu thematisieren. Ansonsten haben wir eher bemerkt, dass durch Homeoffice – wo viele gleichzeitig Homeschooling mit den Kindern erledigen mussten oder sich den einzigen Schreibtisch in der Wohnung mit dem Partner teilen mussten – manchmal die Schreibzeit ein bisschen litt. Dass also manche Dinge schlichtweg länger dauern als früher.

__Träumen eure Teams in den Writers‘ Rooms davon, dass ihre Stoffe auch verfilmt werden? __

Wir sind natürlich interessiert, dass unsere Serien auch in anderen Medienformaten erscheinen. Sei es als Buch, E-Book oder Theaterstück, aber natürlich auch verfilmt. Ich glaube, dass sich da vieles gut eignen würde. Also mal gucken. (lacht)

Aeternum

Du sagtest in Deutschland werden Geschichten anders erzählt als in den USA. Was genau ist anders, außer dem Tempo?

Ich merke, dass der Stellenwert von Entertainment bei uns ein anderer ist. Die U und E Unterteilung – also „Unterhaltung“ vs. „Ernst“ – gibt es leider hierzulande immer noch sehr stark. Was ich nervig finde. Was in Amerika sowie im angloamerikanischen Bereich viel verbreiteter ist: Da machen alle schon in der Schule Creative-Writing-Kurse. So lernen sie früh das Handwerkszeug, wie eine Story im Idealfall aufgebaut sein muss, damit sie den Standard erfüllt, den alle von einer guten Geschichte erwarten. Bei uns ist der Ansatz noch oft: „Ich will Kunst machen! Ich will etwas aussagen!“ Das ist völlig legitim. Nur wird darüber gern die Unterhaltung vergessen. Das hört man am Ende leider auch.

Kommen auch prominente Autoren zu euch, um Stoffe zu entwickeln?

Wir haben in der Tat ein Fiction-Factory-Modell, wo wir mit einem prominenten Head-Autor arbeiten. Da kommt nächstes Jahr ein Titel raus, für den wir Tibor Rode als deutschen Bestseller-Autoren gewinnen konnten.