Aber manchmal haben auch Helden einen schlechten Tag.

An solchen Tagen runzelst du verdutzt die Stirn, weil sich dein Lieblingssprecher plötzlich so anhört, als hätte er zu wenig geschlafen. Du machst das Hörbuch an, und auf das erste Ohr klingt ein bisschen emotionslos, ein bisschen unmotiviert. Kommt vor, auch bei den Besten. Du bist versucht, in die Küche zu gehen und deinem Sprecher einen Kaffee zu kochen, ihn neben das Hörbuch zu stellen und ihm liebevoll zuzuflüstern: “Hier. Ich komme wieder, wenn das Koffein gewirkt hat.” Verständlich. Geht uns ja allen mal so.

An Tagen, wo deine Hörbuch-Helden nicht ganz beeinander sind, zuckst du auch mal zusammen, weil sie Namen oder Orte falsch aussprechen. Dann wundert es dich, wenn aus einem “Sean” ein “Siiien” wird, und du beschwerst dich auch heimlich oder fluchst beim Hören leise rum. Aber schließlich bist du mit einer ganzen Generation von Großeltern aufgewachsen, die Ur-James Bond Sean Connerys Namen verunstaltet haben, also stehst du da drüber. Und kniest andersrum vor Bewunderung nieder, wenn sich dein Sprecher durch walisische Unaussprechlichkeiten oder Generationen von russischen Adelsgeschlechtern kämpft, ohne dabei einen Fehler zu machen.

An schlechten Sprechertagen wird es auch mal unfreiwillig komisch. Das passiert gerne bei dem rührenden Versuch, einen Akzent zu faken, mit dem dein Sprecher nicht aufgewachsen ist. Da rollen Rs in die verkehrte Richtung oder geraten regionale Dialekte zur Parodie. Da musst du manchmal kichern und denkst im Stillen an den guten Ratschlag, dass Schuster besser bei ihren Leisten bleiben sollten. Oder Sachsen beim Sächseln und Bayern beim Rumgranteln.

Ein bisschen schwierig zu akzeptieren ist manchmal, dass deine Helden atmen müssen. Geht ja nicht anders. Die sollen ja nicht ohnmächtig werden vorm Mikro. Normalerweise hört man das auch nicht in einer Aufnahme. Aber es gibt da so Tage, da machst du dir ein bisschen Sorgen. Da hörst du nach jedem zweiten Satz ein Luftschnappen. Geht es deinem Sprecherhelden nicht gut? Eine Erkältung? Ist Heuschnupfensaison? Innerlich reißt du das Fenster auf und fächelst ihm (oder ihr) ein bisschen Luft ins Studio oder reichst Nasenspray und hoffst, dass das beim nächsten Mal wieder weg ist. (Gute Besserung!)

Manchmal geht es mit Deinen Helden auch durch. Ein Hörbuch mit Action verlangt natürlich nach mehr Tempo. Aber es gibt Tage, da hast du echt Mühe mitzukommen, weil dein Sprecher sich überschlägt. “Halt! Moment!” möchtest du da rufen. “Jetzt chill mal!” Gut, dass deine App einen Tempomat hat (aka “Abspielgeschwindigkeit”). Da kannst du ein bisschen einbremsen. Und umgekehrt - an oben genannten, unterkoffeinierten Tagen, auch mal ein bisschen mehr Gas in die Sache geben. Das ist so eine Sache mit dem Rausch der Geschwindigkeit oder der Entdeckung der Langsamkeit. Aber da hat ja auch jeder sein eigenes Tempo.

Was du insgeheim ein bisschen liebst: Die Dramaqueens unter den Hörbuchsprechern. Diejenigen, die sich mit überschäumendem Enthusiasmus in eine Lesung werfen und dabei manchmal vergessen, dass das keine Zirkusvorstellung ist. Du schmunzelst über theatralisches Schmachten, über testosterongeschwängerte Sexgötter oder hysterisch kreischende Fantasyfiguren. Dick auftragen ist in manchen Genres angesagt - bei Kinderbüchern zum Beispiel. Fantasievolle Geschichten. Zu dick aufgetragen gerät sprechertechnisch allerdings manchmal zu einer Hör-Mischung aus “Let’s dance” und einem mit Raketentreibstoff betankten Comic-Spektakel. Was dir dann bleibt: Liebevoll mit den Augen rollen und deine Dramaqueen zu ihrem leidenschaftlichen Einsatz beglückwünschen.

Du kennst das von dir selbst: Es gibt Tage, die überstehst du nur mit unzähligen Pausen. Warum sollte es deinen Sprecherhelden anders gehen? Klar, das ist irritierend, wenn du dir zwischen zwei Sätzen einen Cappucchino aufbrühen kannst. Wenn du denkst, der Satz war zu Ende, oder das Kapitel, aber dann geht’s doch noch weiter. Aber hey. Hörbücher einsprechen ist anstrengend. Deine Helden sitzen stunden- und tagelang in kleinen Kabinen und geben ihr Bestes. Das könntest du auch nicht ohne Luftholen und Pausen überstehen.

Hohe Kunst, die an schlechten Tagen ein bisschen verrutscht: Männerstimmen, die Frauen sprechen und umgekehrt. Da presst ein gestandener Kerl schon mal eine Fistelstimme hervor oder eine zarte Frau einen Gurkenbariton in dem eifrigen Bemühen, den richtigen Ton zu treffen. Aber du weißt ja: Meistens können die Damen und Herren das, spielen mit subtilen Nuancen, Weiche und Härte und treffen ohne Verrenkungen den passenden Punkt auf der Geschlechterskala. Und wenn du jemals unter der Dusche versucht hast, einen auf Whitney Houston oder Disturbed zu machen, weißt du genau, wie schwer das ist.

Keine Frage von schlechten Tagen, sondern von ganz persönlichem Geschmack: Wenn du findest, dass Sprecher und Hörbuch partout nicht zueinander passen. Wenn du dir den Ermittler als 1,95 großen Kerl mit Bass-Brummelstimme vorgestellt hast, und jetzt schwingt dir ein tänzelnder Tenor entgegen. Oder die kecke, junge Heldin in deinem Kopf hört sich an wie eine in sich ruhende Dame. Für diese Diskrepanz kann dein Sprecher wirklich nichts! Da steht dir das eigene Kopfkino zur Abwechslung mal im Weg.

Überhaupt: Wenn du ehrlich bist, sind Beschwerden über Hörbuchsprecher Jammern auf hohem Niveau. Die meisten Sprecher legen - Hörbuch für Hörbuch, Stunde um Stunde - einen großartigen Job hin, und wie die das anstellen, sich so konstant gut anzuhören, ist dir doch eigentlich ein Rätsel. Wenn dir das also mal passiert, dass ein Sprecher deinen individuellen Vorlesegeschmack verfehlt oder einer, der sonst immer großartig performed, einen hörbar miesen Tag erwischt hat - sei gnädig. Ausnahmen bestätigen die Regel, und auch dein Lieblingssprecher ist nur ein Mensch. Gottseidank! Stell’ dir mal vor, da säßen nur noch Roboter am Mikrofon…

Nein. Da stellst du deinem "Murmeltier" doch lieber einen virtuellen Kaffee hin oder deiner Dramaqueen einen Kräutertee und freust dich auf die nächste tadellose Performance, oder?