In Tonstudio mit Mark Benecke

Das Tonstudio ist für Mark Benecke ein Kontrast zu seiner üblichen Arbeitsumgebung. Normalerweise sind da Maden, Fliegen und Leichen an seinem Arbeitsplatz. Jetzt sitzt er in einem großen, leeren Raum hinter einem Mikrofon und vor einem Stapel Papier. Er hat keine Schauspiel- oder Sprecherausbildung durchlaufen, anders als die meisten Menschen, die sich sonst auf diesem Platz befinden. Aber er hat ein Buch geschrieben. Es heißt Mordmethoden. Als der Verlag fragte, ob er es auch selbst einlesen würde, sagte er ja.

Mordmethoden

Mark Benecke befasst sich täglich mit Themen, mit denen sich viele von uns lieber nur fiktional auseinander setzen wollen: Mord und Todschlag. Als Kriminalbiologe untersucht er die biologischen Spuren, die bei Gewaltverbrechen mit Todesfolge entstehen. Da sind verbrannte, zerstückelte und verweste Körperteile, da ist Blut, da ist Sperma, da sind Maden und Insekten, da ist Wirklichkeit.

„Meine Arbeit fängt da an, wo sich andere vor Entsetzen übergeben.“

Bjarne Mädels Spruch in der Serie Tatortreiniger trifft sicher auch auf die Arbeit von Mark Benecke zu. Der selbst findet daran jedoch gar nichts Ekliges.

"Ich finde andere Sachen traurig. Vor allem Dinge, die eigentlich komplett vermeidbar wären. Einer verfaulten Leiche passiert ja nichts mehr. Aber das, was ihr davor passiert ist, das finde ich befremdlich und erschreckend. Gewaltausübung kann ich nicht nachvollziehen."

Maden, Leichen und Verwesung sind etwas ganz Natürliches. Ekelhaft und traurig ist das, was dem Menschen davor passiert ist. „Mord bringt Chaos“, sagt Mark zu der Frage, was ihn an diesem Thema fasziniert. „Der Tod ist ja einfach nur der Abschluss des Lebens. Man stirbt, weil man lebt. Die Störung des Lebens, die vom Täter ausgeht, ist oft leicht durchschaubar. Da sind chaotische Lebensläufe und gestörte Kindheiten. Für das Opfer passiert so etwas oft ganz plötzlich. Es ist für mich angenehm, dieses entstandene Chaos wieder in Ordnung zu bringen.“

Insektenhotels und Fliegenpatenschaften

Faszinierend sind für Mark und seine Kollegen aber auch die Tiere, die mit den Leichen kommen. „Über Leichenfliegen freut sich das Team immer“, erzählt Mark.

„Das sind sehr interessante Tiere. Wenn du mit denen arbeitest, weißt du ja auch viel über die, wie sie leben, was sie so bevorzugen. Diesen Sommer tauchten sie zum Beispiel kaum auf, weil es so heiß war.“

Mark hat Insektenhotels auf dem heimischen Balkon stehen. „Da leben Mauerbienen und Erzwespen.“ Im Berliner Naturkundemuseum ist er Pate für die Markusfliege. „Das ist so eine kleine schwarze „Fliege“, genauer gesagt, eine Haarmücke. Die fand ich schon immer sehr schön.“ An Leichen befindet sich Marks Lieblingsinsekt nicht.

„Aber wir haben mal ein Delikt untersucht, sechs Jahre nachdem die Tochter ihre Mutter in einem geschlossenen Raum mit fünfzig Messerstichen umgebracht haben sollte und da flog die dann im Garten rum.“

Wirklichkeit vs. Fiktion

Mark ist kein Krimifan und hat noch nie Tatort gesehen. Literatur und Fiktion ist für viele ein Ausflug in eine andere Welt.

Klar ist das gemütlich in der Badewanne den Krimi zu lesen. Da kann man es auf Distanz halten. Menschen denken, das passiert nur in dem Buch, und wenn ich das zuklappe ist das weg, aber das stimmt nicht.

Was andere nur aus Krimis kennen ist für Mark real. Berufsbedingt geht er mit anderen Augen durch die Welt. „Wenn man zum Beispiel durch die Straße läuft, ist da unendlich viel Zeugs: Krümel, Fasern, Splitter, Moos, Insektenflügel, Sperma, Kot, Haare, Urin... alles auf so einem kleinen Stückchen Asphalt hier in Berlin.“ Was die meisten Menschen unbeachtet lassen, sind wichtige Informationsträger, die man ebenso lesen kann. Bei Marks Arbeit geht es um naturwissenschaftliche Techniken und darum experimentell zu überprüfen, was stimmt und was nicht. „Was gut und was böse ist, ist völlig egal. Die Frage ist: was ist passiert?“

Marks Arbeit sieht dabei ganz anders aus als Krimifans sie zu kennen glauben.

„Die Probleme bei Fällen sind ganz anders als im Kino oder im Krimi. Es gibt kein gutes Ende. Auch wenn es scheinbar gut ausgeht, es ist trotzdem scheiße, was passiert ist.“ Anders als in Film, Fernsehen und Büchern, kann es in der Wirklichkeit, laut Mark Benecke, kein Happy End geben und Kriminalbiologen sind keine Helden und Weltverbesserer.

"Man kann einen Fall nicht lösen. Das geht nicht. Man kann die soziale Situation lösen, man kann versuchen, die Täter und Täterinnen zu verstehen, aber man kann das nicht zu Ende aufklären, auch wenn die Leute das gerne so hätten. Die wünschen sich, dass da draußen einer rum läuft, der macht die Welt wieder heile und gerecht, aber die Welt ist weder heile noch gerecht, und das wird sie auch nie werden."

Für Mark finden Mord, Totschlag und Ungerechtigkeit nicht zwischen zwei Buchdeckeln statt, trotzdem hat er in Mordmethoden ein paar Fälle aus dem 20. Jahrhundert gesammelt, aus seiner Sicht beschrieben und in ein Buch gepackt. Natürlich ist Mordmethoden keine Fiktion, es handelt sich um reale Geschichten.

Ich finde es einfacher, mich mit der Wirklichkeit zu beschäftigen. Ich weiß nicht, warum andere das so schwierig finden. Vielleicht weil sie Angst vor der Wirklichkeit haben.

Mark Benecke Hörbücher: Mordmethoden

"Mordmethoden" ist Wirklichkeit. Mark Benecke lässt sich bei seiner Arbeit über die Schulter schauen. Es geht um so spektakuläre Fälle wie die Entführung des Lindbergh-Babys, um die Body-Farm in Tennessee oder um den berühmten Fall O.J. Simpson. „Da habe ich mich vor allem mit der Jury-Entscheidung befasst und beantworte die Frage, warum jeder so windschief hätte entscheiden können“, sagt Mark Benecke.

Auch hier im Magazin: True Crime: Faszination echte Verbrechen,

Mordmethoden ist nach Mordspuren das zweite Hörbuch, das Mark für Audible eingelesen hat. Seine Arbeit im Tonstudio beschreibt er so:

Man sitzt da in diesem komplett leeren Raum mitten in Berlin, da ist wirklich nix drin, das ist total clean und still, ziemlich abgefahren.

Bemerkenswert: Übrigens hat Mark Benecke die ca. 350 Seiten seines Buches in zwei Tagen, anstatt in den geplanten fünf, eingelesen und damit vermutlich alle Audible-Rekorde gebrochen.

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