Herr Buck, wie sind Sie als Sprecher zum Radio gekommen?

Das ist lange her! Ich habe Anfang der 1970er Jahre politisches Kabarett gespielt. Unsere kleine Kabarettshow führte eine Gruppe Kulturinteressierter zusammen und es entstand auch Kontakt zum Radio. So kam ich zum Bayerischen Rundfunk, machte die Mikrofonprüfung und begann, als Sprecher zu arbeiten.

Das klingt so, als ob dieser Quereinstieg sehr einfach war...

Ja, wahrscheinlich wäre das so heute nicht mehr möglich. Damals ging vieles, Rundfunk- und Fernsehsender waren offener und experimentierfreudiger. Nach und nach moderierte ich verschiedene Radiosendungen. Die Schauspielerei verfolgte ich schließlich nicht weiter, aber ich sehe mich als eine Art Zwischenwesen.

Ein Zwischenwesen - das klingt interessant. Was für ein Zwischenwesen sind Sie denn?

Dieter Hildebrand hat mal gesagt, „Jede Neurose findet ihren Beruf“. Da ist was dran! Ich persönlich spreche gern und meine mit Zwischenwesen, eine Mischung zwischen Schauspieler und Journalist. Für die Arbeit im Bayerischen Rundfunk war das immer sehr nützlich. Ich bin sattelfest im Redigieren und mir fällt es leicht, einen Text präzise und kurz zusammenzufassen. Andererseits spiele ich gerne und kann improvisieren. Das machte mich zur Idealbesetzung für so manches Sendeformat.

Ich entwickele mich jetzt noch einmal richtig weiter und traue mich mehr als früher.

Seit 2014 sprechen Sie Hörbücher für Audible. Wie kam es dazu?

Es gab 2014 vom Bayerischen Rundfunk das Projekt 24 Stunden Jerusalem, eine wunderbare Dokumentation über diese Stadt und die Menschen, die dort leben. Ich sprach darin eine der Off-Stimmen und fiel dem Tonstudio Plan 1 in München auf. Als man mich fragte, ob ich Hörbücher lesen wollte, war ich sofort begeistert.

Arbeiten Sie heute noch daran, sich auch stimmlich weiter zu entwickeln?

Oh ja! Ich meine das nicht als Koketterie, aber ich entwickele mich jetzt im Alter noch einmal richtig weiter. Ich traue mich mehr, lasse auch mal zu, ungenau zu sein und erreiche dadurch ganz neue Färbungen. Früher hätte ich diese Zwischentöne gar nicht erreicht. Ich muss als Hörbuchsprecher das Gespür für eine Figur entwickeln und dann diese feinen Nuancen hörbar machen.

Einem Charakter allein durch die Stimme Farbe zu geben, die bei anderen Menschen eine Stimmung erzeugt, das ist für mich die Kunst beim Sprechen.

Welche Fähigkeit ist es, die Sie dafür speziell benötigen?

Ich arbeite mit meinem Instrument, das ist meine Stimme. Während meine Stimme Gefühle darstellt und Figuren zum Leben erweckt, muss ich jedoch Distanz zu mir selbst halten. Das ist eine Fähigkeit, die man erst einmal trainieren muss. Einem Charakter allein durch die Stimme Farbe zu geben, die bei anderen Menschen eine Stimmung erzeugt, das ist für mich die Kunst beim Sprechen.

**Welche Texte sprechen Sie besonders gerne? **

Ich muss zugeben, dass mich der aktuelle Literaturmarkt nicht besonders interessiert hat. Ich mag gerne ältere Literatur, Texte wie Nussknacker und Mausekönig von E.T.A. Hoffmann, oder Das Verhör von Friedrich Glauser, das ist meine Welt. Natürlich öffnet sich jetzt mein Blick. Ich habe zwei Hörbücher von David Baldacci gelesen und den Thriller Der goldene Zug von Miroslaw Bujko. Dabei entdecke ich viel Neues!

Gibt es auch mal Bücher, die Sie nicht gerne sprechen?

Wir sind Profis. Wir sind dafür da, Stoffe zu transportieren, vollkommen unabhängig unserer persönlichen Präferenzen. Eine große Herausforderung war für mich zum Beispiel Undine von Friedrich de la Motte Fouqué. Diese alten Satzkonstruktionen sind übel! Obwohl der Text so altmodisch ist, konnte ich ihn mit großem Vergnügen sprechen und habe viel dabei gelernt.

Was ist es, was sie dann lernen?

Ich lerne unsere Sprache immer besser kennen. Das Deutsche hat unglaubliche Möglichkeiten, Dinge differenziert auszudrücken. Durch die Arbeit an De la Motte Fouqués Undine lernte ich Begriffe aus der Romantik vor 200 Jahren, die ich zuvor noch nie gehört hatte. Sprache ist etwas so Lebendiges. Je reichhaltiger meine Muttersprache ist, desto reichhaltiger ist mein Leben.

Es gibt dieses Bild von Ihnen, am Grab von De la Motte Fouqués. Was hat es damit auf sich?

Das ist eine dieser zauberhaften Geschichten, die man mit Literatur erleben kann. Mein Sohn lebt in Berlin gegenüber des Garnisonfriedhofs. Ich ging letzten Sommer dort spazieren, da entdeckte ich zufällig das Grab von Friedrich de la Motte Fouqué. Ich hatte gerade erst sein Buch Undine eingesprochen. Ich bin gar kein Fouqué-Fan, aber das war ein ganz besonderer unbeschreiblich schöner Augenblick für mich. Ich fühlte mich plötzlich sehr reich. Mit Literatur längst versunkene Geschichten zu erwecken und in unserer heutigen Zeit neues Leben darin zu finden, dieses Erlebnis wünsche ich allen Menschen.

Ist ältere Literatur aus Ihrer Sicht wertvoller als zeitgenössische Literatur?

Ältere Literatur führt uns unsere kulturelle Vergangenheit lebendig vor. Das ist es, was ich an Literatur sehr schätze. Moderner Lesestoff ist im Allgemeinen zwar leichter zu lesen, aber die Strickmuster sind schnell durchschaubar: Viel Action, ein bisschen Erotik, das war’s auch schon. Mich fasziniert es, wenn Buchstaben plötzlich Leben hervor zaubern.

Ich bin als Sprecher nur Vermittler. Wenn ich mich zu sehr auf den Text setze, dann bevormunde ich den Zuhörer.

Welche Genre liegen Ihnen als Sprecher am meisten?

Ich mag sehr gerne unseriöse Sachbücher, wie ich sie nenne. Keine Macht den Doofen von Michael Schmidt-Salomon ist zum Beispiel eine absolute Empfehlung von mir! So ein Buch würde ich sehr gerne selbst sprechen, das liegt mir sehr gut. Aber Ich würde auch gerne Tucholsky lesen, Heinrich Heine oder Jean Paul. Das sind Werke mit wunderbaren Bildern und einer traumhaften Sprache. Das ist doch Leben pur!

Wo spüren Sie ganz persönlich diese Lebendigkeit?

Verallgemeinert gesprochen würde ich es so ausdrücken: Was macht ein gutes Buch mit dir? Es täuscht dir vor, dass du etwas erlebst. Es evoziert in dir Emotionen und Mitgefühl. Du lebst ja geradezu in einem guten Buch. Gute Bücher bereichern mein Leben, denn durch die Erfahrung, die ich in der Fiktion durchlebe, lerne ich auch in der Realität Gefühle zulassen und mit ihnen umzugehen. Auch dafür ist Literatur da, das ist eine enorme Kulturleistung.

Und was ist Ihre Rolle als Sprecher dabei?

Ich bin als Sprecher nur Vermittler. Wenn ich mich zu sehr auf den Text setze, dann bevormunde ich den Zuhörer. Scheinbar nachlässig Gelesenes kann beim Zuhörer einen Reichtum aufmachen, doch fantastisch Gesprochenes kann vom Inhalt ablenken. Es geht meiner Meinung nach nicht darum, ein guter Schauspieler zu sein, wenn man einen Text für die Hörer liest, sondern darum ein sehr guter Vermittler zu sein.

Alle Hörbücher mit Rainer Buck findet ihr hier.