Leopold Bloom

Ein Mann lüftet seine schwarze Melone im Vorbeigehen. Seine Augen blinzeln freundlich unter einer runden Goldrandbrille. Die Dame neben ihm, ebenfalls mit Hut und in langem, geblümten Kleid, nickt zum Gruß. Es ist “Bloomsday” in Dublin. Jedes Jahr am 16. Juni ziehen beeindruckend viele Menschen in der Kleidung des frühen 20. Jahrhunderts durch die Straßen der irischen Hauptstadt, um einen Literatur-Helden zu ehren: Leopold Bloom, die von James Joyce erschaffene Kunstfigur, deren Odyssee er im “Ulysses” erzählt.

Ulysses

So irisch wie St. Patrick’s Day

James Joyce gehört zu Irlands wichtigsten Schriftstellern. Er gehört zur Dublin wie wie die Guinness-Brauerei, St. Patrick’s Day und die wilden, grünen Hügel von Connemara. Dennoch hat er kaum auf der grünen Insel gelebt, begraben ist er in Zürich. Man könnte ihn vielleicht als eine Art Exil-Chronisten beschreiben: ein Mann, der nicht in Irland leben mochte, es aber immer zum Thema machte. Zum Beispiel in seinem Kurzerzählungsband „The Dubliners“, zum Beispiel aber auch in „Ulysses“, dem jedes Jahr im besonders gedacht wird.

Dubliners

Ausgangspunkt für einem Spaziergang

Der Ausgangspunkt jeglicher James-Joyce-Verehrung in Dublin ist das charmante James Joyce Center. Hier klicken sich Touristen an Computern durch das Leben des kosmopolitischen Schriftstellers und lassen sich von den Fotos an den Wänden inspirieren. Freitags finden zurzeit Lesezirkel statt. Diskutiert wird, klar, „Ulysses“. Man hofft bis Juni fertig zu werden.

Das Center ist auch Ausgangsort für einen besonderen Spaziergang: Literatur liebende Guides führen Literatur liebende Touristen an die Dubliner Schauplätzen, an denen Joyce seine Werke spielen lässt. Das ist kein Zufall: James Joyce ist in der North Great George's Street in Dublins Norden aufgewachsen, in der Querstraße zur Schule gegangen, nachdem sein Vater das Geld der Familie verloren hatte und sich die Familie in den Lebensumständen beschränken musste. Ende des 19. Jahrhundert wohnten hier die Menschen mit wenig Geld, heute dürfte es das gehobene Bürgertum sein. Ein paar Querstraßen östlich findet man heute die modernen Sozialwohnungen.

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Vor der Kulisse Dublins

Irland beschäftigte den Exilanten James Joyce zeitlebens. Fast sein gesamtes Werk spielt vor der Kulisse Dublins. Deshalb kann ein solcher Spaziergang zu den wichtigsten Orten schon mal zwei bis zweieinhalb Stunden dauern, vor allem, wenn auch noch biografische Sehenswürdigkeiten wie Joyces Alma Mater, das Belvedere College, auf dem Weg liegen, das auch Schauplatz der Kurzgeschichte „Die Pension“ ist.

Weitere Höhepunkte sind zum Beispiel das Gresham Hotel auf Dublins Prachtstraße, der O'Connell Street. Während vor der Tür die Reisebusse vorbeirauschen, erinnern sich die Literaturliebhaber an die letzte Geschichte aus “Dubliner“, die den Titel “Die Toten” trägt und eine Gesellschaft beschreibt, die im Gresham Hotel stattfindet. Die Gruppe Menschen könnte metaphorisch für das Irland stehen, das Joyce kannte, eine Gesellschaft voller Konflikte, aber auch voller Leben, mit dem Willen zum Aufbruch.

Tipp: Wer auf eine Walking Tour lieber verzichten möchte, der kann sich auch einfach Ulysses als Hörbuch einstecken und Joyces Worten lauschen, während man an der unvermeidlichen James-Joyce-Statue auf der North Earl Street (auch bekannt als „Prick with the Stick“) vorbeizieht.

Foto: James Joyce Center