Fast einhundertachtzig Jahre ist es bereits her, dass Alexandre Dumas seinen berühmtesten Roman veröffentlichte. Doch bis heute kennt jedes Kind das berühmte Motto der Musketiere. In Frankreich wird gerade die neueste von unzähligen Verfilmungen des Stoffes auf den Weg gebracht. Wie kommt das? Was ist dran an dieser alten Geschichte? Wieso wurden diesen Figuren zu unsterblichen Helden?

Worum geht es in "Die drei Musketiere?"

Fast jeder kennt die grobe Geschichte: Der junge Gascogner d’Artagnan geht nach Paris, um sich dem Regiment der königlichen Musketiere anzuschließen, und er besteht mit seinen drei neuen Kameraden Athos, Porthos und Aramis gefährliche Abenteuer.

Berühmt ist ihre Kennenlern-Szene: Der aufbrausende d’Artagnan handelt sich nämlich erstmal Duelle mit allen dreien nacheinander ein. Bevor sie jedoch die Klingen kreuzen können, tauchen Gardisten des Kardinals auf, um die Duellanten zu verhaften (Duelle waren damals verboten). D’Artagnan schlägt sich sofort auf die Seite der Musketiere. Gemeinsam verpassen sie den verhassten Garden eine saftige Lektion in Sachen Schwertkampf - und besiegeln eine lebenslange Freundschaft. So einfach ging das damals.

Die drei Musketiere

Darüber hinaus ist Die drei Musketiere ein (nicht ganz korrekt) ins 17. Jahrhundert eingebetteter historischer Roman mit drei ineinander verwobenen Handlungssträngen: Erstens d’Artagnans Werdegang zum Musketier inklusive einer zart erblühenden Liebesgeschichte; zweitens eine Intrige von Kardinal Richelieu, um die Königin bei König Louis XIII in Ungnade und damit vom Thron zu stürzen; und drittens die Rachegeschichte einer gewissen Milady de Winter, die d’Artagnan und seinen Freunden aus mehreren Gründen nach dem Leben trachtet.

Das alles geschieht mit Schalk und Dramatik, mit geheimen Botschaften und Gemunkel im Dunkeln. Von d'Artagnan stammen die meist haarsträubenden Pläne, die zur großen Erleichterung und dem ebenso großen Erstaunen der Leser- oder Hörerschaft tatsächlich funktionieren. Die Historie dient Dumas dabei eher als Verhandlungsbasis denn als fester Rahmen. So verschiebt er Daten und Personen in passende Richtungen. Auch die Wahrheit über historische Persönlichkeiten muss sich der Dramatik beugen: Vor allem Kardinal Richelieu, der tatsächlich viel Gutes für Frankreich getan hat, wird zu einem herrlichen Fiesling.

Die drei Musketiere

Auch mit der internen Logik nimmt Dumas es nicht allzu genau. Wege von A nach B können in einem Kapitel schon mal ewig dauern, während in einem anderen die Pferde mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs zu sein scheinen. Tageszeiten ändern sich urplötzlich von strahlendem Sonnenschein zu dunkler Nacht. Und - uups - war diese Nebenfigur, die da wieder auftaucht, nicht ein paar Kapitel zuvor gestorben?

Die drei Musketiere: Ikonische Charaktere mit Hang zum Drama

Macht nichts, denn um penible Genauigkeit geht es bei diesen Geschichten nicht. Es geht um Spaß, um Abenteuer und um große Gefühle. Und die hatte Dumas drauf! Die Geschichte um die Musketiere spielt zwar im 17. Jahrhundert, aber Dumas war ein Kind des 19. Jahrhunderts, der Romantik. Seine Helden sind zu herzergreifenden Gesten fähig, schwören sich ewige Treue und Frauen die große Liebe. Verabschiedungen ziehen sich über mehrere Absätze, im Kummer säuft man schon mal einen kompletten Weinkeller leer, und auch für Tränen sind sich diese starken Männer nicht zu schade. Die Frauen fallen entweder in Ohnmacht oder sind durchtriebene Luder. (Über das Frauenbild schweigen wir ansonsten lieber, denn da hatte die Literatur und vor allem die männlichen Autoren noch viel zu lernen.) Drama konnte Dumas jedenfalls, oder wie man heute sagt: All the feels.

Und er hatte ein Händchen für ikonische Figuren. Die besten Helden sind Archetypen mit klar umrissenen Eigenschaften. Sie kämpfen auf der Seite des Guten, sind stark, aber auch menschlich. Und solche Exemplare haben wir hier: D’Artagnan als junger Hitzkopf mit großem Talent, Mut und Herz. Athos als nobler Ehrenmann mit leadership skills und einer tragischen backstory. Porthos als gutmütiger, treuer, bärenstarker Fels in der Brandung. Und Aramis, der enigmatische, ehrgeizige Charmeur. Dann dichte man diesen Männern noch die größte Bromance aller Zeiten an, gebe ihnen Muskete, Degen und ein Cape - fertig sind die Superhelden anno 1625!

Bei allen Hörbüchern ist es ratsam, darauf zu achten, ob man eine gekürzte oder ungekürzte Variante wählt, eine Neuerzählung oder ein Hörspiel. Für jeden Geschmack ist etwas dabei. Und wer Französisch kann, sollte sich die Geschichte unbedingt in der Originalsprache anhören.

Les trois mousquetaires

Der (Groß-)Vater der Musketiere

Ihrem Schöpfer, Alexandre Dumas (1802 - 1870), wurde die Lust am Leben und am Abenteuer offenbar in die Wiege gelegt: Sein Großvater, Marquis Alexandre Davy de la Pailleterie, lebte lange in der französischen Kolonie Saint-Domingue (dem heutigen Haiti), wo die Familie eine Zuckerrohrplantage betrieb. Nach finanzieller Misswirtschaft machte er sich mit einer schwarzen Sklavin aus dem Staub. Sie hieß Marie-Césette - und wurde Alexandre Dumas’ Großmutter.

Aus der Liaison gingen mehrere Kinder hervor, unter anderem Dumas’ Vater, Thomas Alexandre. Der wurde von seinem eigenen Vater zwischendurch als Sklave verkauft, wieder freigekauft und für eine ordentliche Erziehung nach Frankreich gebracht. Dort sollte der ungewöhnlich große und muskulöse junge Mann zu einem der erfolgreichsten Generäle der französischen Armee unter Napoleon aufsteigen - als Schwarzer eine zusätzlich beeindruckende Leistung. Von seinen Kameraden respektiert und verehrt, von der gegnerischen Armee als “schwarzer Teufel” gefürchtet, bezeugen zahlreiche Berichte den Mut, den Kampfgeist und die Führungsqualitäten des beherzten Dragoners.

Eine Anekdote besagt, dass der General stark genug war, um sein Pferd mit seinen Beinen anzuheben, wenn er sich dabei kopfüber an einem Balken festhielt. Nun ja. Belegt dagegen ist seine heroische Verteidigung einer Brücke gegen eine österreichische Übermacht. Mit schier übermenschlichem Durchhaltevermögen stemmte er sich allein gegen die Angreifer und sicherte das Überleben seiner Männer. Na, kommt euch eine solche Figur aus Dumas’ Büchern vielleicht bekannt vor?

Das Ende des Ausnahme-Offiziers kam leider viel zu früh: In Gefangenschaft geraten, kosteten die Haftbedingungen Thomas Alexandre seine Gesundheit. Er starb, als der kleine Alexandre erst wenige Jahre alt war. Wer sich für das Leben und die militärische Karriere von Dumas’ Vater interessiert, dem sei die 2021 erschienene Biografie The Black Count von Tom Reiss wärmstens ans Herz gelegt - es lohnt sich sehr!

The Black Count

Alexandre Dumas: Tänzer, Jäger, Liebhaber

Thomas Alexandre war für seinen Sohn ein Held. Dumas glorifizierte ihn in seinen Memoiren und verewigte ihn in seinen Romanen: Seine körperliche Stärke und imposante Statur finden wir im Musketier Porthos wieder, sein Ehrgefühl und seine Führungsqualitäten in dessen Waffenbruder Athos, seine strategische Cleverness in d’Artagnan. In Der Graf von Monte Christo rächt sich die Hauptfigur für eine qualvolle Gefangenschaft, wie sie Dumas’ Vater ebenfalls erleiden musste. Vielleicht ein weiterer Grund, warum diese Figuren uns so ins Herz treffen.

Auch von Alexandre Dumas selbst finden wir in seinen Büchern viel wieder. Er stand seinem Vater in Sachen Abenteuerlust wenig nach und “vererbte” seine Eigenschaften an seine Romanfiguren. Als Kind lernte der stattliche Junge mit dem exotischen Aussehen (er hatte blaue Augen, aber seine Haare und seine Hautfarbe verrieten seine Herkunft) Latein und Mathematik, aber auch das Jagen und Wildern. Er verstand sich auf den Umgang mit Schusswaffen genauso gut wie aufs Tanzen. Sein Leben lang liebte er die Frauen und das Theater, genoss gutes Essen und reiste in fremde Länder. Seine haarsträubenden Liebesaffären führten regelmäßig zu Dramen.

Auf einer seiner vielen Reisen konnte ein Freund ihn nur mit Mühe davon abbringen, eine hübsche, exotische Minderjährige zu kaufen und mit nach Hause zu bringen, in die er sich Hals über Kopf verguckt hatte. Auf einer anderen Reise - einer Zugfahrt durch das östliche Europa - übernahm Dumas, der sich eine anständige Mahlzeit wünschte, kurzerhand die Herrschaft über den Küchenwagen und bekochte die ganze Gesellschaft selbst. Während einer Revolte in Paris griff er eigenhändig zu den Waffen und erstürmte völlig allein ein Munitionslager. Dabei stand er in Sachen Unerschrockenheit und körperlicher Statur seinem Vater in nichts nach.

Durch seine Schriftstellerei zu Reichtum gelangt, errichtete Dumas ein extravagantes, opulentes Bauwerk, vollgestopft mit dem feinsten Tand. Auf dessen Fassade waren die Namen von Dumas’ Werken und deren Figuren eingemeißelt: Chateau Monte Christo. Die Einweihungsparty sprengte mit hunderten von Gästen jede Vorstellungskraft und kostete ein Vermögen. Der Lebemann hatte jedoch auch ein Herz für andere: Freunden in Not - und manchmal sogar Fremden - gab er großzügig von seinem Vermögen ab.

Was Dumas hingegen nicht war: ein guter Ehemann und anständiger Vater. Treue fiel ihm schwer, und immer wieder ließ er sich mit Frauen ein, mit denen eine Beziehung zum Scheitern verurteilt war. Sein Sohn, Alexandre Dumas der Jüngere, hatte nicht allzu viel von seinem unsteten Vater. Viele Jahre herrschte Funkstille zwischen den beiden. Trotz seines eigenen schriftstellerischen Erfolgs mit Die Kameliendame stand Dumas junior immer im Schatten seines berühmteren Vaters.

Die Kameliendame

Vom Landei zum Pariser Bestseller-Autor

Dieser Ruhm kam für Alexandre Dumas allerdings nicht über Nacht. Wie der Bauerssohn d’Artagnan in "Die drei Musketiere" machte sich auch Dumas als junger Mann aus seiner Geburtsstadt auf nach Paris. Geld verdiente er sich zunächst als einfacher Schreiber. Seine Leidenschaft jedoch gehörte dem Theater, und manch einen dürfte es überraschen, dass der Schwerpunkt seines Schaffens lange bei Bühnenstücken lag. Der große Erfolg stellte sich erst ein, als Dumas damit begann, Abenteuerromane zu schreiben.

Die schlugen ein wie eine Bombe. Die Veröffentlichung von "Die drei Musketiere" von März bis Juli 1844 in der Zeitschrift "Le Siècle" machte ihn endgültig zum Star. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass bis heute viele vor Dumas’ Geschichten zurückschrecken im Irrglauben, es handele sich um hochtrabende literarische Schwergewichte. Denn damals handelte es sich um nichts anderes als massentaugliche Unterhaltungsliteratur. Ein Fortsetzungsroman. Pulp Fiction. Action, Liebe, Humor, Intrigen und Drama mit reichlich Cliffhängern und Page-Turner-Qualitäten begeisterten die Leserinnen und Leser und ließen sie auf jede Fortsetzung hinfiebern. Und Dumas schrieb wie am Fließband. Er war bekannt dafür, sich tage- und nächtelang in seiner Schreibkammer zu verkriechen und auf verschiedenfarbigem Papier seine Helden in die kühnsten Abenteuer zu verstricken. Schlaf? Für so etwas hatte Dumas keine Zeit.

Und er schrieb nicht allein. Eine solcher Output war als Einzelner auch nicht zu bewältigen. Während Dumas die Ideen und später den Feinschliff lieferte, waren an seinen Romanentwürfen etliche weitere Autoren beteiligt. Der wichtigste von ihnen war Auguste Maquet, Co-Autor der Musketier-Saga. Später gingen er und Dumas im Zorn auseinander. Bis heute diskutieren die Literaturwissenschaftler, welchen Anteil Dumas’ Ghostwriter und welchen der Meister selbst an den berühmten Werken hatte. In einem ist man sich jedoch einig: Alexandre Dumas war es, der den Geschichten das “gewisse Etwas” verlieh, ihren Spirit, ihr Herz. Sein goldenes Händchen machte die Romane - mit welchem Kollaborateur auch immer an seiner Seite - zu dem, was sie bis heute sind. Trotz großer Konkurrenz durch literarische Größen wie etwa Victor Hugo und trotz immer wieder rassistischer Anfeindungen schaffte Dumas etwas Gewaltiges: Bis heute ist er der zu Lebzeiten erfolgreichste französische Schriftsteller überhaupt.

Der Mann mit der eisernen Maske

Die Fortsetzung der drei Musketiere

Was viele dabei gar nicht auf dem Schirm haben: Es blieb nicht bei “Die drei Musketiere”. D’Artagnan und seine drei Freunde kämpften sich noch durch mehrere Fortsetzungen. Bis 1847 veröffentlichte Dumas die Fortsetzungsromane Zwanzig Jahre danach und "Zehn Jahre später", bestehend aus den drei Teilen "Der Vicomte von Bragelonne", "Louise de la Vallière" und Der Mann mit der eisernen Maske. Wie man den Titeln schon anmerkt, haben wir es mit erheblichen Zeitsprüngen zu tun. Ein anderer König regiert, mit einem anderen Kardinal. Die Musketiere befinden sich im fortgeschrittenen Alter und haben sich in alle Winde zerstreut. In jedem der Folgebände ist es d’Artagnan, der die sogenannten “Unzertrennlichen” für eine Mission wieder zusammentrommelt. Und sie müssen sich zusammenraufen, über verschiedene politische Loyalitäten und persönliche Ziele hinweg.

Wieder sind ihre Abenteuer eingebettet in Ereignisse des Zeitgeschehens. So sind wir bei der Hinrichtung von Charles I zugegeben, die auch unsere tapferen Freunde nicht verhindern können, sowie bei der Verhaftung von König Louis’ betrügerischer Finanzminister Fouquet. Bei einem rauschenden Fest, das Dumas fröhlich ausmalt und aufbauscht, führt ihn D’Artagnan mit einem ausgeklügelten Plan aufs Glatteis.

Die Folgebände werden oft als schwächer eingestuft, doch damit tut man ihnen Unrecht. Sie sind ernster und weniger humorvoll. Aufgrund des Alters unserer Helden sinkt der Action-Anteil. Vor allem in "Louise de la Vallière" muss man auch mal hundert Seiten ohne das Auftauchen eines einzigen Musketiers auskommen. Dafür aber wird die Erzählung komplexer, mit mehr Grauzonen, und wir begleiten die Entwicklung der vier Freunde über Jahrzehnte hinweg, bis zum Schluss. Dumas arbeitet die Feinheiten der Figuren heraus, bringt Überraschendes, Berührendes und Bestürzendes in ihnen zu Tage. Das gibt der ganzen Geschichte erst richtige Tiefe.

Das große Finale: Der Mann in der eisernen Maske

Gerade der letzte Teil, "Der Mann in der eisernen Maske", schwingt sich nochmal zu großem Kino auf. Nicht nur der Plot ist abenteuerlich: Aramis beteiligt sich an einem Plan, den König gegen seinen geheim gehaltenen Zwillingsbruder auszutauschen und zieht den unwissenden Porthos mit hinein. Indes ist ein frustrierter d’Artagnan am Königshof mit den Machenschaften der Minister Fouquet und Colbert beschäftigt, während Athos alle Hände voll zu tun hat mit seinem Sohn Raoul. Die Wege aller vier kreuzen sich in einem hochdramatischen Finale.

Nur d’Artagnan ist zu diesem Zeitpunkt noch ein Musketier, und der Roman liest sich wie ein Abgesang auf die alte Garde, auf echte Werte und richtige Helden. Selbst die Bösewichte erweisen sich als rückgratlose Schwächlinge. Auf Loyalität, Ehre und Treue ist kein Verlass mehr. Auch d’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis müssen tiefe persönliche Differenzen überbrücken, und das gelingt den “Unzertrennlichen” nur zum Teil. Am Ende lauert auf mehr als einen von ihnen der Tod. Das ist ebenso spannend wie bitter und am Schluss so herzzerreißend, dass man die Tränen nur schwer zurückhalten kann.

Die wahren Musketiere

Dumas hat seine vier Helden nicht aus der Luft gegriffen. Athos, Aramis, Porthos und d’Artagnan - es gab sie wirklich, alle vier. Oder zumindest vier Männer mit ähnlichen Namen, die Pate für die fiktionalen Figuren standen. Alle vier stammten aus der Gascogne und waren im etwa gleichen Zeitraum tatsächlich Musketiere; sie kannten sich also vermutlich. Fakt und Fiktion sind allerdings schwierig voneinander zu trennen, da nur wenige historische Belege vorhanden sind und Dumas’ fiktionalisierte Version der Musketiere sich wiederum auf die “Memoiren des M. D’Artagnan”, um 1700 geschrieben von Gatien de Courtilz de Sandras, stützen - und in wie fern diese auf Tatsachen fußen, ist nur teilweise nachvollziehbar.

Was wir definitiv wissen, ist Folgendes:

D’Artagnan hieß mit vollem Namen Charles de Batz de Castelmore d’Artagnan und stammte aus Lupiac in der Gascogne im Südwesten Frankreichs. Sein genaues Geburtsjahr ist nicht bekannt und wird auf 1611 bis 1615 geschätzt. Seine Familie, der das heute noch zu besichtigende Chateau de Castelmore gehörte, war Teil des Kleinadels, aber nicht wirklich wohlhabend.

Wie im Roman, machte sich der junge Charles tatsächlich auf nach Paris um - wie bereits zuvor schon sein Bruder Paul - ein Musketier zu werden und damit Teil eines Elite-Regiments des Königs, bekannt für das Liliensymbol auf ihrer Uniform und für ihre himmelblauen Capes. Und tatsächlich halfen dabei die Beziehungen zum Befehlshaber der Musketiere, der auch im Buch vorkommt: Jean-Armand du Peyrer de Treville. Er gehörte zur Verwandtschaft und war Charles’ Onkel. (Überhaupt bestanden die Musketiere zum großen Teil aus einem eingeschworenen, eng miteinander verknüpften “Club”: Die meisten - wie auch Athos, Aramis und Porthos - entstammten der Gascogne und waren auf die ein oder andere Weise miteinander verwandt.)

Da der Jungspund als waschechter Gascogner zwar gelernt hatte, mit dem Degen umzugehen, aber dennoch keine militärische Ausbildung vorweisen konnte, erging es ihm wie von Dumas beschrieben: Er musste seinen Traum, Musketier zu werden, erstmal vertagen und als Kadett in der Kompanie de les Essarts Dienst schieben. Er bewährte sich in ersten Feldzügen und erlangte 1644 schließlich eine Kommission, um den Musketieren beizutreten.

Während die Bücher d’Artagnan zunächst unter Louis XIII und Kardinal Richelieu dienen lassen, versah der echte Charles d’Artagnan seinen Dienst vor allem unter deren Nachfolgern, dem “Sonnengott” Louis XIV und Kardinal Mazarin. Louis XIV war noch ein kleines Kind, als d’Artagnan höchstpersönlich ihn und seine Mutter während einer Revolte aus dem Louvre (dem damaligen Königssitz) schleuste, in Sicherheit brachte und beschützte, bis die Aufregung ausgestanden war - womöglich entstand dort ein enges Band zwischen den beiden. Denn Louis betraute von seiner Krönung an den erfahrenen Musketier mit geheimen Missionen und wichtigen Aufträgen.

Über d’Artagnans Schicksal im Roman soll hier aus Spoiler-Gründen geschwiegen werden (ja, auch 180 Jahre nach Erstveröffentlichung gilt hier noch die Spoiler-Regel!). Im wahren Leben wurde der kompetente Offizier schließlich Kompaniechef der Musketiere und starb in Ausübung seiner Pflicht: Bei der Belagerung von Maastricht, am 25. Juni 1673, als ihm bei einem Angriff auf eine Bastion eine Musketenkugel die Kehle zerriss.

Und die anderen drei Musketiere?

Am wenigsten wissen wir über den Mann, der für den kräftigen Musketier Porthos Pate stand. Sein eigentlicher Name lautete Isaac de Portau. Geboren am 2. Februar 1617 in der Gascogne, diente er vor seiner Zeit als Musketier als Kadett in der Kompanie des Essarts, als d’Artagnan 1640 beitrat; sie dienten also zusammen. Sein Vater war als Sekretär für den König tätig und wohl in der Lage, seiner Familie einen Adelstitel zu erkaufen. Zum Musketier wurde “Porthos” 1643 und später ebenfalls politischer Sekretär. Wann und wie er starb ist unbekannt.

Das Vorbild für Athos hieß Armand de Sillegue d’Athos d’Auteville. Er lebte von etwa 1615 bis 1643. Laut der Memoiren von de Sandras rettete er d’Artagnan während einer Schlacht das Leben. Andere Quellen erzählen es genau andersherum, aber offenbar war das Ereignis der Grund dafür, dass die beiden Männer in den drei Jahren, die sich ihre Dienstzeit bei den Musketieren überschnitt, enge Freunde wurden. Wie sich das gehört, starb “Athos” standesgemäß bei einem Duell am 21. Dezember 1643 und wurde in Pré aux Clercs bei Paris begraben.

Die Figur des Aramis basiert auf Henri d’Aramitz, geboren um 1620 herum. Sein Onkel, Monsieur Treville, berief den talentierten Schwertkämpfer nach Paris zu den Musketieren, wo sein Vater ebenfalls zeitweise diente. Sein Großvater hatte eine kleine Abtei in der Gascogne, die “Aramis” als protestantischer Laienpriester nach dessen Tod übernahm. 1650 heiratete er eine hochgestellte katholische Adlige und wurde Vater von drei Kindern. Über das genaue Jahr und die Umstände seines Todes ist nichts bekannt.

So wenig das auch ist – und so viel Dumas auch hinzugedichtet haben mag – fest steht: Mit seinen Geschichten machte Dumas vier Männern aus einfachem Adel, deren Wege sich als Waffenbrüder kreuzten, zu unsterblichen Legenden und setzte dem gesamten Regiment der Musketiere ein Denkmal.

Die Geschichte wird nicht alt

Die drei Musketiere sind aus unserer Pop-Kultur bis heute nicht mehr wegzudenken. Etliche Sportmannschaften liehen sich den Namen für ihr Team, es gibt einen "3 Musketeers"-Schokoriegel, und unter dem entsprechenden Hashtag finden sich auf Instagram unzählige Bilder von Freundschafts-Trios, die Arme über die Schultern gelegt oder beim gemeinsamen Handschlag. "Alle für einen und einer für alle" ist längst ins Repertoire jeder Teambuilding-Übung eingegangen, als Pop-Song von Bryan Adams besungen worden, und in Fanfiction-Foren leben Dumas’ Helden in den abenteuerlichsten Varianten von möglichst dicht am Original bis hin zur queeren Vierfach-Lovestory weiter.

Dass der Stoff, aus dem Dumas’ Geschichten sind, nicht alt wird, beweist auch eine unendliche Anzahl an Adaptionen. Vom alten Schwarz-Weiß-Film mit Gene Kelly als d’Artagnan über eine Tom-und-Jerry-Variante von Disney ("The Mousketeer"), ein “Brat Pack Movie” mit Jungstars wie Kiefer Sutherland und Charlie Sheen aus den 90ern bis hin zu einer überzeichneten, an Steam Punk grenzenden Version mit Orlando Bloom von 2011 reichen die Verfilmungen. Auch ins Fernsehen schafften es die Musketiere: Die bislang erfolgreichste Variante, "The Musketeers", kommt von der BBC, wurde 2014-2016 gesendet und besetzte als Hommage an Dumas und seinen Vater die Rolle des Porthos mit dem mixed-race Schauspieler Howard Charles.

Und es geht weiter: In Produktion befindet sich derzeit eine neue, französische Kino-Verfilmung mit zwei geplanten Teilen "(Die drei Musketiere - d’Artagnan"; "Die drei Musketiere - Milady") mit Francois Civil als d’Artagnan, Eva Green als Milady und Vincent Cassel als Athos. Der Film mit einem Budget von 73 Millionen Dollar führt auch eine neue Figur namens Hannibal ein, basierend auf dem ersten bekannten Schwarzen Musketier der Geschichte - ebenfalls eine späte Verbeugung vor Dumas.

Musketier-Pastiches

Man sollte meinen, dass ein so erfolgreicher Stoff auch zahllose Pastiches nach sich zieht - also Romane, die die Geschichte der drei Musketiere aufgreifen, neu interpretieren, fortschreiben oder nachzuahmen versuchen. Bei anderen Kult-Klassikern wie zum Beispiel Sherlock Holmes ist das schließlich auch so. Und ja: Es gibt sie, die Möchtegern-Musketier-Romane. Es spricht allerdings für die unerreichte Qualität des Originals, dass nur wenige Schreibende sich an die Musketiere heran gewagt haben. Das Ergebnis hat mit der Vorlage letztlich nicht viel gemeinsam. Die meisten “Nachahmer” sortieren sich in die Kinder- und Jugendecke unter den Hörbüchern ein oder in die Fantasy-Gattung.

The Three Musketeers

Ein richtig tolles, neues englisches Hörspiel, das der Original-Geschichte einen Twist verleiht, ist The Three Musketeers von Marty Ross. Die Erzählerin ist hier niemand anderes als Milady de Winter. Ihre Perspektive eröffnet einen anderen Blick auf die mörderische femme fatale. Ansonsten bleibt das Hörspiel dem Spirit der Vorlage treu und konzentriert sich mit tollem Sound und klasse Sprechern auf das abenteuerliche, gewitzte und fesselnde Herz des Romans. Sehr gut für Einsteiger und für Fans, die die alte Geschichte mit neuem Schwung noch einmal erleben möchten.

Das Buch der Nacht

Im Bereich Jugendbuch hat der deutsche Autor Oliver Pötzsch mit Die schwarzen Musketiere einen hörenswerten Zweiteiler geschrieben, bei dem er das Konzept der drei Musketiere auf einen Grafensohn im 17. Jahrhundert in Deutschland übertragen hat, dessen Familie der Inquisition zum Opfer fällt. Der jugendliche Schwertkämpfer schließt sich erst einer Bande Waisenkinder und dann dem Regiment der schwarzen Musketiere (so benannt nach ihren Pferden) an und findet dort - natürlich - drei beste Freunde. Götz Otto liest beide Teile unterhaltsam und spannend vor.

Traitor's Blade

Die Greatcoats-Reihe des Kanadiers Sebastien de Castell überträgt das Konzept dreier “Waffenbrüder” auf eine königliche Gardetruppe, die statt der blauen Musketier-Capes multifunktionale Umhänge tragen. Nach dem Sturz ihres Königs durch die Aristokratie kämpfen Falcio, Kest und Brasti an der Seite der einfachen Leute in einem feudalistischen Fantasieland für Gerechtigkeit und um das Leben der geheimen Thronerbin. Heilige mit übernatürlichen Fähigkeiten, Giftmischer und Magie kommen mit ins Spiel. Alles in allem unterhaltsame Fantasy mit sympathischen Figuren und reichlich Schwertkämpfen, die mit den Original-Musketieren eigentlich nur noch das Grundgerüst der ehrenhaften Dreier-Truppe teilt.

Sword & Blood

Sword & Blood von Sarah Marques dagegen ist mit einer etwas klischeehaften Fanfiction vergleichbar. Die Idee ist gar nicht schlecht: Die Autorin versetzt Athos, Aramis, Porthos und d’Artagnan in eine alternative Welt, in der Vampire ihr Unwesen treiben. Athos, der auch im Original mit seinen Dämonen zu kämpfen hatte, wird von der Vampirin Milady gebissen, und das Hörbuch wird zu einem Kampf um seine Seele. Allerdings gerät die Story etwas zu dramatisch. Wer Fanfiction dieser Art mag, wird das dennoch gerne hören.

The Mage Queen

Ebenfalls wie Fanfiction liest sich The Mage Queen von R.A. Dodson. Auch das ist eine Fantasy-Version mit den Musketieren samt Milady und Constance. Bei einem Katz-und-Maus-Spiel mit den herrschenden bösen Mächten versuchen die Musketiere, die Königin zu schützen. Die Magie bleibt vage und die Story vergleichsweise handlungsarm. Gespickt ist das Ganze mit expliziten Sexszenen.

Mantel-und-Degen-Romane

Den Spirit der drei Musketiere - diese Mischung aus Abenteuer, Action, Humor, Drama und Geschichte - und dieselbe schriftstellerische Qualität findet man allerdings am besten in anderen Abenteuerromanen und Klassikern wieder.

Als erstes zu nennen ist Dumas’ abenteuerliche Rachegeschichte Der Graf von Monte Christo. Der 19-jährige Seemann Edmond Dantès wird am Vorabend seiner Hochzeit fälschlich des Landesverrats angeklagt und für Jahre ins Verlies geworfen. Dort erfährt er nicht nur die Namen seiner Verräter, sondern auch von einem versteckten Schatz. Aus dem Gefängnis entflohen, gibt es für ihn nur einen Gedanken: Rache. Und wie bei den Musketieren schlagen wir uns mit ganzem Herzen auf die Seite des tapferen Edmond und auf die Seite der Gerechtigkeit und fiebern bis zum Ende mit.

Der Graf von Monte Christo

Mit tollen Settings und mutigen Männern versprüht Robert Louis Stevensons Klassiker Die Schatzinsel Abenteuerromantik, diesmal allerdings auf hoher See. Ein ums andere Mal befreit sich der clevere Jim Hawkins auf seiner Schatzsuche aus der Bredouille, trotzt Piraten und sonstigen Gefahren mit Herz, Degen und Hirn. In der Hörbuchversion, gelesen vom unvergleichlichen Harry Rowohlt, besonders unterhaltsam – und zwar für Groß und Klein gleichermaßen.

Die Schatzinsel

Ähnliches Seemannsflair durchsetzt mit Heldentum finden wir in der Jack-Aubrey-Serie von Patrick O’Brian über einen englischen Kapitänleutnant, in der Kidnapping-Geschichte des Jungen David Balfour Ein Junge wird entführt von Robert Louis Stevenson sowie in Rafael Sabatinis Piratenabenteuer Captain Blood.

Kurs auf Spaniens Küste
Ein Junge wird entführt
Captain Blood

Neuere “swashbuckling” Romane, in denen sich Abenteuer, Romantik und klassisches Flair die Hand reichen, sind zum Beispiel On Stranger Tides von Tim Powers, der Gauner-Roman Die Lügen des Locke Lamora und - ausnahmsweise mal von einer Frau geschrieben - Swordspoint von Ellen Kushner, eine Art Jane-Austen-Fantasy mit einem Schwertkämpfer im Mittelpunkt des Geschehens.

On Stranger Tides
Die Lügen des Locke Lamora
Swordspoint

All diese Beispiele transportieren auf ihre Art und Weise - mal mehr, mal weniger gelungen - das Gefühl und den Schmiss der Musketier-Saga von Alexandre Dumas. Die einen trumpfen mit Atmosphäre auf, die anderen mit erinnerungswürdigen Charakteren, die nächsten mit saftiger Action oder einer spannenden Verknüpfung von Historie und erdachten Abenteuern.

Bezeichnend ist aber, dass keiner von ihnen das gesamte “Paket” abliefern kann. Ob es an Dumas’ goldenem Händchen für mitreißende Geschichten lag, an den drei “Unzertrennlichen”, am realen Hintergrund des Stoffes oder an der zeitlosen Gültigkeit der Werte, die d’Artagnan, Athos, Aramis und Porthos verkörpern - den drei Musketieren macht es in Sachen Bekanntheitsgrad und Unsterblichkeit keiner so schnell nach. Wen wundert es da, dass bis heute zu jedem echten Helden ein Cape gehört.

Abenteuerromane: Die drei Musketiere und ihre Erben

Alle Musketier-Romane durchgehört? Auch in diesen Hörbüchern erleben charismatische Helden actionreiche Abenteuer.