Der Ruhrpott im Jahr 1982: Qualmende Schlote, Punkmusik, politische Unruhen. Die ersten Polizistinnen treten ihren Dienst an - und müssen sich in einer Männerwelt behaupten. Von dieser aufregenden Zeit handelt die neue Krimi-Serie Schichtwechsel. Ein Fall für Anna Mertens. Wir haben Monika Schumann, die tatsächlich 1982 als eine der ersten Frauen in den Polizeidienst einstieg, gefragt: Wie war das denn damals wirklich?

1982 - Schichtwechsel

Frau Schumann, Sie waren eine der ersten Polizistinnen im Ruhrgebiet, die für den Dienst bei der Schutzpolizei ausgebildet wurden. Dabei gab es dort zu diesem Zeitpunkt nur Männer. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Ich wollte nie irgendwo im Büro sitzen, ich wollte mit Menschen zu tun haben. Mein Bruder, der sechs Jahre älter ist, machte seine Ausbildung bei der Polizei. Das fand ich sehr interessant. Dann hatte ich einfach Glück: Genau zum richtigen Zeitpunkt durften sich Frauen in Nordrhein-Westfalen erstmalig zum Dienst bei der Schutzpolizei bewerben. Das war 1982. Bei der Kriminalpolizei gab es zu diesem Zeitpunkt allerdings schon Frauen.

Wie lief die Prüfung ab?

Ich wurde nach Düsseldorf eingeladen und musste zunächst allerlei theoretische Prüfungen bestehen. Dabei wurde kontinuierlich ausgesiebt. Am Ende des ersten Tages war von den 30, 40 Frauen nur noch die Hälfte übrig. Am nächsten Tag kam eine Sportprüfung, die ich eher lächerlich fand. Ich hatte mich darauf groß vorbereitet, mit Dauerlauf und Gymnastik. Im Endeffekt haben wir im Dachgeschoss einer alten Villa ein paar Strecksprünge und Liegestütze machen müssen. Anschließend wurden wir nach Düsseldorf ins Präsidium gekarrt und dort vom Polizeiarzt untersucht. Am Ende wurden von allen Bewerberinnen zwei genommen.

Es muss ein tolles Gefühl gewesen sein, sich gegen so eine große Konkurrenz durchgesetzt zu haben.

Ja, das war es. So richtig bewusst wird einem das ja erst hinterher. Es gab insgesamt 1.500 Bewerberinnen auf 73 Stellen für Frauen.

Wie sah Ihre erste Dienstkleidung aus?

Das war ein Rock mit Kellerfalte, der mir bis zum Knöchel ging. Dazu gab es Collegeschühchen mit so einem feinen goldenen Schnällchen über dem Spann und einem Blockabsatz von gut zehn Zentimetern. Außerdem Blazer im Frauenschnitt. Alles andere war für Herren gemacht. Das heißt, die Hemdsärmel waren 20 Zentimeter zu lang, die Hosen passten nirgends. Darüberhinaus gab es noch einen Badeanzug. Der war gut – die Jungs bekamen damals so Badehosen, bei denen sich der Stoff mit Wasser vollsog, so dass sich die Hose verabschiedete. Dafür bekamen wir eine dieser Gummibadekappen mit Noppen – sehr schön. Die Krönung: lange Herrenunterwäsche. Feinripp mit Eingriff. Was haben wir gelacht! Aber wir waren ja nicht als Mannequin angestellt.

Wie sah Ihre Ausbildung aus? Wurden zwischen Männern und Frauen Unterschiede gemacht?

Es wurde aufgeteilt nach Schulabschlüssen. Die Abiturienten gingen nach Selm-Bork und die mit mittlerer Reife gingen nach Brühl. Für die Abiturienten war die Ausbildung ein halbes Jahr kürzer. Wir waren halbe-halbe Männlein und Weiblein und da wurden grundsätzlich erstmal keine Unterschiede gemacht. Wir hatten zusammen theoretischen Unterricht und Sport und haben auch die gleiche Formalausbildung absolviert. Dazu gehörten Sachen wie im Verband marschieren, Schießtraining – was man halt so machen muss. Nach der Grundausbildung kam ich zur Bereitschaftspolizei. Da fuhren wir Auszubildenden dann auch schon auf Einsätze mit.

Was war Ihr erster Einsatz?

Das war während des heißen Herbstes. Wir sind zu einem Einsatz bei einer Demonstration gegen George Bush senior nach Krefeld gefahren. Der war damals war noch Außenminister. Es gab dort große Auseinandersetzungen. Unsere Ausbilder wollten uns Mädels aus dem Einsatzgeschehen heraushalten: Wir sollten fahren, Suppe ausgeben und Pflaster aufkleben. Dagegen haben wir uns gewehrt. Wir haben gesagt: Wir sind bei der Polizei, weil wir den ganz normalen Dienst machen wollen. Und wenn dazu gehört, dass wir uns anpöbeln lassen müssen, dann ist das eben so. Dazu sind wir ausgebildet. Danach war das nie wieder ein Thema.

Das heißt, Sie konnten sich da ganz gut behaupten.

In der Ausbildung war das noch relativ einfach, wir waren ja zur Hälfte Mädels. Die Jungs, die mit uns ausgebildet wurden, kannten es nicht anders und hatten keinerlei Vorbehalte. Auch die Ausbilder waren eher stolz darauf, die ersten Frauen auszubilden. Schwieriger wurde es hinterher, als ich in den Einzeldienst gekommen bin. Denn dann war ich oft alleine als Frau unter Männern.

Wie reagierten Ihre männlichen Kollegen auf eine Frau in Uniform?

Meistens wurde ich erstmal etwas abwartend beäugt. Dann hieß es: Du bist ja ganz okay – aber was machst du denn, wenn wir zu einer Kneipenschlägerei gerufen werden? Das kam ständig. Ich habe in meinem ganzen Berufsleben nicht eine Kneipenschlägerei erlebt, aber vor unserer Zeit muss das wohl täglich der Fall gewesen sein, wenn man die Kollegen so gehört hat. Das ging meist so, bis man den ersten Einsatz zusammen hatte, bei dem wir Hand anlegen mussten. Etwa, weil jemand Widerstand geleistet hat. Wenn die Kollegen gesehen haben, die packt zu und macht sich nicht ins Hemd, dann war das in Ordnung.

Wie reagierten denn die Bürger auf Sie?

Auch da hatte ich oft das Gefühl, dass viele stolz darauf waren, gerade etwas Besonderes zu erleben. Ich hatte selbst mit den schweren Jungs nie Probleme. Ich hatte sogar das Gefühl, dass bei denen plötzlich der Kavalier durchkam. Das hat manches Mal dazu geführt, dass eine Situation gar nicht erst eskaliert ist.

Hatten Sie teilweise andere Aufgaben als Ihre männlichen Kollegen?

Keine anderen, aber teilweise zusätzliche. 1985 waren wir in Essen vier Frauen im selben Schutzbereich. Da wurden wir ständig zu anderen Schutzbereichen gerufen. Nämlich immer dann, wenn Frauen durchsucht oder bei bestimmten Delikten befragt werden mussten.

Sie sind 1988 zur Fachhochschule gegangen und wurden dort für den gehobenen Dienst ausgebildet. Danach wurden Sie Wachdienstführerin und später Dienstgruppenleiterin, also Vorgesetzte. Konnten Ihre Mitarbeiter mit einer Frau als Chefin gut umgehen?

Bei der Schutzpolizei habe ich weniger Vorbehalte erlebt als bei der Kriminalpolizei. Schon während der Ausbildung bei der Schutzpolizei habe ich Praktika bei der Kriminalpolizei gemacht und immer wieder erlebt, dass bei der Kripo die Vorbehalte gegen Frauen viel größer waren als bei der Schutzpolizei.

Wie erklären Sie sich das?

Vielleicht liegt es daran, dass man bei der Schutzpolizei viel mehr im Team arbeitet. Bei der Kripo waren mehr Einzelkämpfer. Bei der Schutzpolizei musste man als Frau beweisen, dass man es draufhat – also es mindestens genauso gut oder besser kann als die Jungs. Wer dann noch menschlich in Ordnung war und sich gut integriert hat, gehörte dazu. Bei der Kripo wurden die Kolleginnen teilweise richtig isoliert. Vielleicht liegt es an der unterschiedlichen Ausbildung: Bei der Schutzpolizei war es ja früher fast wie beim Militär. Wir waren ständig zusammen, hatten zusammen Unterricht, haben zusammen gewohnt. Da entsteht eine andere Bindung.

Wann sind Sie zur Kripo gekommen?

Ich bin 1998 zum ersten Mal zur Kripo gewechselt, zur sogenannten Sitte. Danach bin ich wieder in meine Polizeiinspektion zurückgegangen, allerdings auf die „Führungsetage“. Drei Jahre später kam mal wieder eine große Umorganisation und ich bin wieder auf das Kommissariat in der Polizeiinspektion gewechselt. Dort blieb ich dann bis zu meiner Pensionierung.

Im Laufe der Zeit wurde es immer normaler, dass Frauen bei der Polizei arbeiten. Haben Sie die jüngeren Kolleginnen manchmal beneidet, weil sie es vielleicht leichter hatten als Sie damals?

Ich bin nicht sicher, ob die Polizistinnen es heute leichter haben als wir damals. Wir hatten noch den Exotenstatus. Heute gibt es eine höhere Quote an Frauen auf den einzelnen Dienstgruppen, aber ob das ein Vorteil ist? Ich habe – bevor ich zur Polizei gegangen bin – mal ein Praktikum in einer Bekleidungsfabrik gemacht. Da waren bis auf den Betriebsführer und die Techniker nur Frauen. Das fand ich grausam. Die gönnten sich gegenseitig nichts und machten sich untereinander fertig. Da fand ich es erholsamer, mit Männern zusammenzuarbeiten. Die sind nicht so kompliziert und hintenherum. Ich bin mit den Kollegen immer gut klargekommen. Allerdings habe ich auch bei der Polizei sehr nette Kolleginnen kennengelernt, mit denen ich sehr gut zusammengearbeitet habe. Vermutlich haben Frauen, die sich entschließen, zur Polizei zu gehen, eine spezielle Mentalität. Die Männer übrigens auch. Vielleicht liegt es eher daran, als am Geschlecht, wie man miteinander klar kommt.

Haben Sie auch sexuelle Belästigung erlebt?

Ja, aber das ist mir oft erst hinterher klargeworden. Wenn einem so ein väterlicher Kollege im Vorbeigehen den Po getätschelt hat – das kam vor. So richtig blöde Anmachen sind mir zum Glück erspart geblieben.

Haben Sie Ihre Berufswahl jemals bereut?

Nein. Das war immer mein Traumjob. Immer abwechslungsreich, nie langweilig. Die einzigen Situationen, auf die ich gerne verzichtet hätte, habe ich als Vorgesetzte erlebt. Aber draußen war es immer herausfordernd. Jeder Tag war anders und auf seine Art schön.