Was ist Shipping?

“Shipping” hat nichts mit Schiffen zu tun. Es geht um glühenden Wunsch der Fans, dass zwei oder mehr fiktionale Figuren (oder die Schauspieler im echten Leben)in einer romantischen Beziehung landen. Vom ersten Moment ihrer Begegnung an bangen Shipper: Küssen sie sich oder küssen sie sich nicht? Shipper sind also Fans von Fernsehserien, Filmen, Romanen und Comics, die mit den Liebesbeziehungen ihrer Helden besonders intensiv mitfiebern.

Das allererste Shipper-Paar: Mulder & Scully

Der Begriff tauchte erstmals in den Neunzigern auf, als im Fernsehen die FBI-Agenten Dana Scully und Fox Mulder aus “Akte X” offensichtlich Gefühle füreinander hegten, aber viele Staffeln brauchten bis zum ersten Kuss (und noch mehr bis zur Beziehung). Fans fieberten darauf hin, analysierten jeden Blick, jede Andeutung, sammelten Beweise – und zitterten gleichzeitig bei der Befürchtung, dass die Skriptautoren den UFO-gläubigen Mulder und die logische Wissenschaftlerin Scully nie zusammenbringen würden. Das erste „Ship“ lichtete seine Anker. 2015 stand „shippen“ sogar im Wettbewerb mit Wörtern wie „merkeln“ und „Alpha-Kevin“ um die Auszeichnung als „Jugendwort des Jahres“ in Deutschland.

Die Frage „Wen shippst du denn?“ ist in der Fankultur inzwischen Alltag geworden – und hat bunteste Blüten getrieben in Fanfiction und Fanart. Shipper lassen „ihre“ Pärchen (oder Trios oder Quartette …) in selbst geschriebenen Geschichten, Zeichnungen, Videos und Fotomontagen gemeinsame Wege gehen - ganz gleich, ob das in der TV-Serie, im Kinofilm oder im Buch tatsächlich so passiert ist.

Schon bei Shakespeare wurde geshippt

Mag der Begriff auch neu sein, geshippt wird schon sehr viel länger. Gerade die guten alten Klassiker brachten viele Romanzen an den Tag, auf deren Happy End die Leser erst lange - und manchmal vergeblich - warten mussten. Schon bei William Shakespeares Romeo & Julia bangte das damalige Publikum, ob die beiden “starcrossed lovers” aus verfeindeten Familien am Schluss gegen alle Widrigkeiten doch noch miteinander glücklich werden, anstatt dass Julia den eingebildeten Grafen Paris heiraten muss.

Jane Austen und die Brontë-Schwestern lieferten uns Schmachtfetzen und Liebesreigen, an deren Ende wir heute seufzend das Buch sinken oder nach dem Hören den Laptop zuklappen. Diese großen Autorinnen der Weltliteratur kreierten eine Hauptvariante des Shippings, den “slow burn”. Auf sprichwörtlich kleiner Flamme entsteht dabei ein Knistern zwischen zwei Figuren, die sich entweder ihre Liebe nicht gegenseitig eingestehen können oder sich derer gar nicht wirklich bewusst sind.

Es braucht viele geheime schmachtende Blicke, gespielte Schroffheit und mindestens ebenso viele verkrampfte Spaziergänge, bis sich in Jane Austens Stolz und Vorurteil Elizabeth und Mr. Darcy endlich in die Arme fallen. Gleiches gilt für Jane Eyre und den grummeligen Mr. Rochester, die auch noch Bigamie und ein verheerendes Feuer überstehen müssen. Ähnlich hin und her geht es bei Jane Austens Überredung zwischen Anne und ihrem Frederick. Selbst die junge Leserschaft hat ein Shipping-Paar: Das rothaarige Waisenmädchen Anne von Green Gables und Klassenkamerad Gilbert Blythe müssen sich erst prügeln und ordentlich “verabscheuen”, bevor aus ihnen als Erwachsene endlich ein Paar wird.

Stolz und Vorurteil
Jane Eyre, die Waise von Lowood
Überredung
Anne of Green Gables

Shipping Fanfiction heute: jede(r) mit jedem

In der modernen Literatur wird inzwischen geshippt, was das Zeug hält. Besonders, wenn es die besagten Bücher Film oder Serie auf den Bildschirm geschafft haben. Dabei handelt es sich häufig nicht um zwei Figuren, die offensichtlich zusammengehören, sondern im Gegenteil um Kombinationen, die unwahrscheinlich bis unmöglich erscheinen.

J.K. Rowling machte in Harry Potter früh klar, dass Hermine und Ron - trotz aller Unterschiede – irgendwann ihre gemeinsamen Kinder in Hogwarts einschulen werden. Damit waren nicht alle Fans glücklich. Viele hätten die kluge Hermine lieber mit Harry Potter zusammen gesehen als mit dem heroischen, aber oft tollpatschigen Ron. Das haben sie iin Fanfiction-Geschichten auch tausendfach so verwirklicht. Andere entwickelten extreme Versionen von „Gegensätze ziehen sich an“ und verstrickten Harry mit Draco Malfoy, Hermine mit Snape und Harry mit Lord Voldemort in komplizierte Liebesgeschichten.

Einen Reigen an “Ships” findet man im Game of Thrones-Universum: Jon Snow mit Daenerys, Daenerys mit Sir Jorah, Aria mit dem Hound, Tyrion mit Sansa, Jamie mit Brienne … Die Möglichkeiten sind endlos und die Fans jederzeit bereit, auf Blogs und in den sozialen Medien ihre Ships glühend zu verteidigen.

GGerade das Fantasy-Genre bietet viel Nahrung für die wildesten Paarungen. Der Fantasie hier sind hier offensichtlich keine Grenzen gesetzt: Bei Der Herr der Ringe verbandeln Fans mit Begeisterung alles miteinander, ob Mensch, Zwerg, Hobbit oder Elf - und egal welchen Geschlechts. Das beliebteste „Ship“ entstand durch anrührende Szenen der bildgewaltigen Kino-Verfilmung: Der Hobbit Bilbo und Zwergenkönig Thorin wurden von Shippern liebevoll zu „Bagginshield“ oder „Thilbo“ verknüpft.

Bei einem weiteren Klassiker lieferte eine moderne Verfilmung alten Gerüchten neue Nahrung: Sherlock, der Sensationserfolg der BBC, hat die “Johnlocker” darauf hoffen lassen, dass sich Sherlock Holmes und Doktor Watson am Ende der upgedateten Detektivserie als schwules Paar outen. Die Wellen schlugen hoch unter den Shippern, als das auf dem Bildschirm nicht geschah. Doch auch diese Wunschbeziehung lebt in Fanfiction, Fanart, Cosplay und Podcasts weiter. Dass neben John und Sherlock etliche weitere Charaktere miteinander ins Bett geschickt werden (Mystrade gefällig? Oder vielleicht lieber Sherlolly oder Sheriarty?), versteht sich von selbst ...

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Eine strittige Unterart des Shippings geht noch weiter: Seit der Serien-Verfilmung der Outlander-Bücher von Diana Gabaldon shippen Fans von Jamie und Claire auch die Schauspieler, die dem Zeitreise-Paar ihre Gesichter leihen. Da wird jeder flirtende Blick in Interviews, jede Andeutung gemeinsamer Aktivitäten hinter den Kameras als Beweis dafür angesehen, dass die Akteure wirklich ein Paar sind - obwohl beide, samt der jeweiligen Partner, das ganz offiziell verneinen. In der Shipping-Fanfiction nennt sich dies “RPF”, Real Person Fic. Die zwiespältige Vermischung von Fiktion und Realität artet in den sozialen Netzwerken leider manchmal in üble Shipper-Kriege aus.

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Feuer und Stein

Krimi-Ships: Küss' mich, Kommissar

Dass sich Pärchen oft am Arbeitsplatz finden, gilt im Leben wie in der Literatur. Besonders Krimis und Thriller mit Ermittler-Duos sind wie geschaffen für die knisternde Zusammenarbeit. Muss der Partner dabei regelmäßig heroisch aus lebensgefährlichen Situationen gerettet werden, verschärft dies die Gefühle füreinander nur noch. Der Fortsetzungscharakter und die Möglichkeit, eine Beziehung über viele Bände zu entwickeln, machen Krimi-Ships zum perfekten slow burn. Dabei liebt sich oft, was sich erstmal neckt oder scheinbar nichts voneinander wissen will.

So findet es die anthropologische Gerichtsmedizinerin Temperance Brennan zunächst nur irritierend, als ihr Andrew Ryan, Ermittler der kanadischen Kriminalpolizei in Québec, mit seinen laserblauen Augen in die Quere kommt und mit seinem Charme kokettiert. Daraus entwickelt sich ein Hin und Her, das ebenso spannend ist wie die Mordfälle - und in einer erfolgreichen TV-Serie (Bones - Die Knochenjägerin) resultierte, welche die Beziehung der beiden Sturköpfe noch mehr in den Mittelpunkt rückt.

In den süßen Wahnsinn treibt Robert Galbraith, alias J.K. Rowling, die Fans ihrer Buch- und TV-Serie um Privatdetektiv Cormoran Strike und seine Assistentin Robin. Was mit einem Beinahe-Treppensturz in Der Ruf des Kuckucks begann, hat sich in Band 4, Weißer Tod zu einem versehentlich verrutschten Wangenkuss vorgearbeitet. Die Story fesselt inzwischen sogar Leser, die eigentlich keine Krimis mögen: Viele fragten sich bange, was wohl eher eintreffen würde: Der Weltuntergang durch den Klimawandel oder ein Liebesgeständnis zwischen Strike und Robin. Nun, im fünften Band Böses Blut kommen sich die beiden endlich näher ...

Tote lügen nicht
Der Ruf des Kuckucks

Shippen im Dreieck - zwischen Himmel und Hölle

Auch beliebt bei Shipping Fanfiction: Dreiecksgeschichten. Wenn ein Mädchen im Buch zwei Kerle zur Auswahl hat, bilden sich unter den Fans schon mal erbitterte Fronten. So gab es während des Booms der Twilight-Saga natürlich viele, die Bella endlich und für immer mit dem Vampir Edward zusammen sehen wollten. Der bekam aber rasch Konkurrenz vom kraftvollen und weniger ätherischen Werwolf Jacob. Für Shipper lautete in den sozialen Medien die Frage untereinander deshalb: #TeamEdward oder #TeamJacob?

Ähnliches geschah während des Hypes um Die Tribute von Panem. Für wen sollte sich die tapfer durch die „Hunger Games“ kämpfende Katniss am Schluss entscheiden? Für ihren unfreiwilligen, sanftmütigen Mitstreiter Peeta oder für ihren stürmischen Jugendfreund Gale? Obwohl inzwischen klar ist, wer die Nase vorne hat: Die Meinungen, ob Autorin Suzanne Collins das richtig entschieden hat, gehen sehr auseinander.

Manche Ships segeln übrigens nicht nur einmal. Wir erinnern uns an Elizabeth Bennet und ihren Mister Darcy. Helen Fielding schuf mit ihren Bridget-Jones-Romanen eine moderne Hommage - und machte daraus eine spannende Dreiecksgeschichte: Die tolpatschige und vorlaute Bridget ist darin immer wieder hin- und hergerissen zwischen dem steiflippigen, gebildeten und aus reichem Hause stammenden Anwalt Mark Darcy und einem eher relaxten, extrovertierten Konkurrenten. In wessen Armen wir sie uns am Ende wünschen? Siehe oben.

Ein ganz und gar ungewöhnliches Shipping-Paar hat es vom Buch auf die Bildschirme gebracht - und die Herzen vieler erobert: In Good Omens von Neil Gaiman und dem verstorbenen Terry Pratchett retten ein Engel und ein Teufel die Erde vor dem Weltuntergang. Was Shipper in die geistreiche, anrührende und bizarr-witzige Beziehung der beiden übernatürlichen Wesen hineingelesen haben, wurde schließlich von Neil Gaiman bestätigt: Ja, es ist eine Liebesgeschichte.

Bis(s) zum Morgengrauen
Tödliche Spiele
Bridget Jones' Baby
Ein gutes Omen

Wir sind also weit gekommen von den verstohlenen viktorianischen Romanzen bis zu den non-binären und gleichgeschlechtlichen Ships der aktuellen Literatur- und TV-Szene. Was gleich bleibt: Zwei Menschen dabei zuzusehen, wie sie Gefühle füreinander entwickeln, hat nichts von seinem Reiz verloren. Wir leiden mit ihnen mit, wir lieben mit ihnen mit und werfen uns für „unsere“ Wunschpaare ins Feuer. Und wenn die Autoren nicht für ein Happy End sorgen, dann nehmen Fans das eben selber in die Hand. Wie heißt es doch in dieser Shipper-Hymne von Sängerin Dido? „I will go down with this ship“ – zur Not gehen Fans mit ihrem Ship sogar mit wehenden Fahnen unter.