Die Ursprünge des Solarpunk Genres
Zum ersten mal erwähnt wird der Begriff “Solarpunk” in einem Beitrag von 2008 auf dem Blog “Republic of the Bees” mit dem Titel “From Steampunk to Solarpunk”. Im Artikel geht es - wie im Steampunk auch - um die Verbindung von alter und neuer Technologie: in diesem Fall um alternative Antriebsmöglichkeiten für die Schifffahrt. Als Inspiration diente das (tatsächlich existierende) deutsche Containerschiff MS Beluga Skysails, das weltweit als erstes durch computergesteuerte Zugdrachen angetrieben wird - im Prinzip eine moderne Anwendung althergebrachter Segeltechnologie. Der Solarpunk war geboren.
Während der Steampunk sich aber als spekulativ und als alternative Wirklichkeit begreift, meint der Solarpunk es ernst: Alte und moderne Ideen verbinden sich darin zu neuen, realistischen Anwendungsmöglichkeiten. Ziel ist neben einer nachhaltigen, umweltschonenden Lebensweise auch soziales und ökonomisches Wohlergehen aller. Wind- und Solartechnik stehen im Zentrum der Erfindungen des Solarpunk, um die Klimakatastrophe abzuwenden und in eine ressourcenschonende und lebenswerte Zukunft zu gehen. Wissenschaft und Fiktion geben sich dabei die Hand, und die Solarpunk-Community pflegt ihre Verbindungen zu Forschern und Naturwissenschaftlern.
Aktivismus, Ästhetik und Allgemeinwohl
Das ist keine Spinnerei - das ist die Absicht, die Zukunft grüner und nachhaltiger zu gestalten. Und das zeigt sich im lebendigen Aktivismus der Szene. Solarpunk ist nämlich nur “nebenher” ein Literaturgenre. Hauptsächlich ist es eine globale Bewegung. Wer sich auf den sozialen Medien umschaut, findet neben reiner Solarpunk-Ästhetik mit futuristischen Entwürfen nämlich auch echte Tatkraft: lokale oder regionale Communities, die sich nicht nur austauschen, sondern im Kleinen ihre Ideen in Projekte umsetzen. Architektur, Begrünung, der Einsatz von Photovoltaik und städtische Infrastruktur-Planung sind ganz konkrete Felder, an denen gearbeitet wird. Selbstversorger-Vereinigungen und gemeinschaftliche, ökologische Nutzung kommunaler Flächen sind Trends, die auch dazu gehören.
Die Ästhetik des Solarpunk ist außerdem ein Spielfeld für die Kunst- und Fashionwelt. Im Look angelehnt an die dekorativen geschwungenen Linien und floralen Merkmale des Jugendstils, fließen vielfache ethnische Einflüsse in die Optik mit ein. Afrikanisches verbindet sich mit südamerikanischer Stilistik, Verspieltes mit Futuristik, Altmodisches mit stromlinienförmiger Modernität. Globalität und Multikultur sind für den Solarpunk keine Fremdwörter, sondern Programm.
Der Solidaritätsgedanke spielt bei allem eine wichtige Rolle. Nur gemeinsam ist der Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen, womit sich Solarpunk auch als soziale Bewegung versteht. Schließlich geht es bei “Punk” um ein Aufbegehren, um eine Rebellion gegen das Etablierte, und das bevorteilt in unserer Gegenwart nunmal einzelne Gruppen statt die Gesamtheit. Wirtschaftlichkeit steht vor Nachhaltigkeit. Kurzfristiges Denken wird vor langfristige Vorteile gestellt. Dagegen begehrt der Solarpunk auf.
Mit Solarpunk gemeinsam in eine lebenswerte Zukunft
Ein ganzheitliches Umdenken braucht keine Stars, sondern eine solidarisch handelnde Mehrheit. Ziel ist nicht nur der Umweltschutz, sondern ganzheitliches Wohlergehen. Dieses Credo schlägt sich im Schriftlichen nieder: Die meiste Solarpunk-Literatur existiert in Form von gemeinschaftlich verfassten Anthologien oder Manifesten anstatt einzelne Autorinnen oder Autoren hervorzuheben. Wichtige Meilensteine sind zum Beispiel die brasilianische Anthologie Solarpunk: Histórias ecológicas e fantásticas em um mundo sustentável und das Solarpunk Manifesto von 2019, das die Grundsätze der Bewegung auflistet.
Ganz deutlich wird hier auch der Unterschied zum Cyberpunk. Der verbindet fiktive, auf die Spitze getriebene Zukunftstechnologie nämlich mit einem negativen, meist zynischen Gesellschaftsbild. Dystopische Szenarien werden dabei entworfen, in denen Einzelne sehen müssen, wie sie klarkommen, und das hat auch viel mit ökonomischer Ausbeutung und sozialer Ungerechtigkeit zu tun - also genau der Gegenpol zum Solarpunk mit seiner utopischen Denkrichtung, die will, dass es allen besser geht. Vereinfacht: Während im Cyberpunk das Glas schon leer ist und im Steampunk das Ganze einfach nur cool aussieht, ist der Solarpunk optimistisch dabei, das Glas wieder ganz zu füllen.
Solarpunk-Romane
Als literarisches Genre entwickelt sich der Solarpunk gerade erst. Als Vorläufer gilt der Roman “Ecotopia” des amerikanischen Schriftstellers, Journalisten und ökologischen Vordenkers Ernst Callenbach, der in einer ökologisch gesunden Zukunftsgesellschaft spielt. Einer ähnlichen Vision folgt Eiland von Aldous Huxley, veröffentlicht 1962, das - ganz anders als seine berühmte Dystopie Schöne neue Welt- das Bild einer pazifischen Insel mit einer von der ganzen Welt beneideten, idealen und florierenden Gemeinschaft entwirft. Auch Ursula K. Le Guin, die große Dame der Fantastik, spielte schon 1974 in “The Dispossessed” mit dem Gedanken einer bestens funktionierenden, anarchistischen Utopie auf einem fernen Planeten.
The Complete Ecotopia
The Dispossessed
Als bekanntester Solarpunk-Vertreter gilt derzeit Kim Stanley Robinson. In seiner Mars-Trilogie lässt er aus dem Staub des roten Planeten eine lebenswerte, grüne Zukunft für die Menschheit entstehen. Ganz neu und auch auf Deutsch erhältlich ist von ihm “Das Ministerium für die Zukunft”. Zwischen mahnender Climate Fiction und dem hoffnungsvollen Ansatz des Solarpunk angesiedelt, berichten in diesem Roman “Augenzeugen” von den Folgen des Klimawandels. Große Vorwürfe gehen dabei an das 2025 gegründete Ministerium, das eigentlich die Klimakatastrophe hätte abwenden sollen, aber versagt hat. Dennoch setzt der Roman auf Optimismus, denn es finden sich Verbündete, und es gibt immer noch Hoffnung.
Red Mars
Das Ministerium für die Zukunft
Ganz neu, aber erstmal nur auf Englisch zu haben, ist der Auftakt zu einer Trilogie von Becky Chambers, “A Psalm for the Wild-Built”. Nachdem Menschen und Roboter getrennte Wege gingen, lebt die Menschheit in einer nachhaltigen, friedlichen, von Spiritualität getragenen Welt, die das Industriezeitalter weit hinter sich gelassen hat. Mönche ziehen mit Pop-Up Tee Shops umher und hören sich den (auch in einer idealen Welt existierenden) Kummer der Leute an. Bei einem dieser Mönche taucht plötzlich ein Roboter von damals auf, und die beiden beginnen eine philosophische Diskussion - und eine Freundschaft.
A Psalm for the Wild-Built
In Deutschland tut sich der Solarpunk noch schwer. Liegt das vielleicht an der eher pessimistischen Natur unsere Volkes? An dem Schatten der Pandemie, der über allem liegt? Während Öko-Thriller, die den Weltuntergang heraufbeschwören, aus dem Boden schießen wie Pilze, wird uns in der deutschen Literatur wenig Hoffnung auf eine bessere Welt gemacht.
Anklänge finden sich - allerdings eingebettet in eine Dystopie - gerade in Marie Graßhoffs New Adult Trilogie “Neon Birds”. In einer neonfarbenen Zukunftswelt leben die Menschen weitgehend vegan, vereint und regiert von einem Weltrat. Umweltveränderungen haben das Leben in die Tundra oder Arktis verschoben. Nanoroboter, eigentlich als hilfreiches Optimierungstool erschaffen, verwandeln durch ein Virus allerdings Menschen in gefährliche Cyborgs. Hier endet der interessante und ziemlich detailreiche Entwurf einer utopischen, nachhaltigen Welt und kippt in den Kampf zwischen Menschheit und Technologie.
Wie man sieht: Es ist noch Entwicklungspotential vorhanden beim Solarpunk. Während weltweit kleine, aktive Communities dabei sind, die Ideen aus der Theorie in die Praxis zu holen, existieren Solarpunk-Ästhetik und -Literatur als junges, zartes Pflänzchen, das sich mit anderen Genres überschneidet, mischt und dabei weiterentwickelt. Es lohnt sich, dieses Pflänzchen zu nähren, denn gerade in so schwierigen Zeiten wie unseren, bestimmt von Zukunftsangst und Katastrophenszenarien, bietet der Solarpunk so wichtige Zutaten wie Optimismus und den Glauben an eine lebenswerte, nachhaltige, solidarische, von Innovation und Wissenschaft getragene Zukunft. Und genau da wollen wir doch eigentlich hin.
Weitere Hörbücher mit Solarpunk-Elementen:
The Summer Prince
Solarpunk: Narrativ & Meme
In diesem Video untersucht Jay Sprigett Solarpunk als einen Ansatz für spekulative Fiktion und Kunst, der versucht, „die Frage zu beantworten, wie eine nachhaltige Zivilisation aussieht und wie wir dorthin gelangen können“. Dem Vortrag folgt eine Diskussion mit mehreren Befürwortern der Bewegung: