Donald Trumps Präsidentschaft hat die Welt bis zuletzt in Atem gehalten. Nun ist sie Geschichte. Wie ist die Stimmung in Washington?

Die Stimmung in Washington, Maryland, New York, Boston, Kalifornien und so weiter ist wunderbar. Im liberalen Teil der USA war nach der Vereidigung Joe Bidens ein deutliches Aufatmen zu spüren. In vielen anderen Teilen des Landes sieht das anders aus.

Was hat sich seit Bidens Wahlsieg verändert? Begegnen sich die Menschen jetzt anders als zuvor?

Physische Begegnungen sind nach zwölf Monaten Pandemie außerordentlich selten geworden. Die Polarisierung des Landes ist aber so weit fortgeschritten, dass schon vor der Wahl demokratisch gestimmte Amerikaner sich primär mit anderen Demokraten ausgetauscht haben. Ebenso sind die Republikaner unter sich geblieben. Auch nach der Wahl werden die Lager nicht zueinander finden.

Joe Biden. Ein Porträt

Joe Biden. Ein Porträt

Gesprochen von Steffen Groth

Joe Biden. Ein Porträt

Sie leben in Washington. Wie haben Sie den 6. Januar erlebt, an dem ein aufgebrachter Mob das Kapitol stürmte?

Ich saß in meinem Homeoffice, wie jetzt auch. Gegen drei Uhr bekam ich die News Alerts – in meinem Fall von der Washington Post – auf meinen Desktop. Ich habe den Fernseher angeschaltet und fassungslos diese unglaublichen Szenen verfolgt, die man mit einer westlichen Demokratie einfach nicht assoziiert hätte. Schockiert hat mich, dass so etwas überhaupt möglich ist. Denn die Polizeipräsenz ist in Washington ja enorm. Dass da so wenig Widerstand seitens der Sicherheitskräfte kam, hat mich nachdenklich gestimmt. Es gab eine Reihe von Stimmen, die sagten: Hätte da die „Black lives matter“-Bewegung protestiert, wäre das Ganze anders ausgegangen. Sicher war es für die Sicherheitskräfte psychologisch schwierig, die Dienstwaffe auf Angreifer zu richten, die die amerikanische Flagge schwenken. In einem Land, in dem der Patriotismus einen so hohen Stellenwert hat, muss man das mitbedenken.

Was hier in Europa viele überrascht hat, war, dass der Sturm nicht spontan geschah, sondern im Vorfeld organisiert wurde.

Die Luftbildaufnahmen zeigen, dass sich etwa 10.000 Leute versammelt hatten. Die meisten davon haben bei diesem Sturm nicht mitgemacht, sondern das ebenfalls erstaunt beobachtet. Aber es gab eben einen harten Kern von einigen hundert - vielleicht auch mehr als eintausend – Leuten, die zu diesem Angriff willens und in der Lage waren.

Die US-Behörden haben gerade eine Terrorwarnung ausgesprochen. Haben Sie Angst?

Vieles hat sich durch die Pandemie sowieso geändert. Es gibt keine großen Menschenansammlungen, die häufig das Ziel von Terrorattacken waren. Insofern hat mich die Terrorwarnung nicht mehr groß erschüttert. Allerdings hat die Angst vor dem Terror ein neues Gesicht. Vor einem Jahr hätte ich bei dem Begriff „Terror“ noch an radikale Islamisten gedacht. Jetzt denke ich an bärtige Amerikaner mit Flagge in der Hand.

Donald Trump ließ streuen, er denke über die Gründung einer eigenen Partei nach. Was würde das für das konservative Lager Amerikas bedeuten?

Es gab immer wieder Versuche, neben den beiden großen Parteien eine weitere zu gründen. Die sind aber immer fehlgeschlagen. Neben Demokraten und Republikanern hat sich nie jemand mit großer Wählerwirksamkeit etablieren können. Wenn es Trump tatsächlich gelänge, wäre das für die Republikaner allerdings ein herber Rückschlag. Denn mit den Trump-Fans ginge ihnen ein guter Teil ihrer aktuellen Wähler verloren. Ich denke daher, dass die Republikaner voll auf Trump-Linie bleiben werden, um dieses Wählerpotenzial nicht zu verlieren.

Amerika verstehen

Amerika verstehen

Gesprochen von Olaf Pessler

Amerika verstehen

Donald Trumps Sohn, Donald Jr., drohte den Republikanern: „Das ist nicht mehr eure Partei, das ist Donald Trumps Partei.“ Hat er recht?

Damit hat er sicherlich recht. Donald Trump hat ja mal gesagt, dass er auf der 5th Avenue jemanden erschießen könnte und die Leute würden ihn weiterhin wählen. Die meisten der republikanischen Senatoren haben dem Impeachment nicht zugestimmt – das zeigt bereits, wie groß die Rücksicht auf Trumps Wählerbasis ist.

Amerika wird sich also weiter mit dem Trumpismus auseinandersetzen müssen.

Mit dem Trumpismus sicherlich. Ob mit ihm selber, das sei jetzt mal dahingestellt. Er wird ja erstmal eine Menge juristischer und finanzieller Schwierigkeiten haben. Und dann ist er auch schon 74. Man weiß nicht, ob er auch in Zukunft die bislang bekannte Vitalität ausstrahlen wird.

Als Mediziner und Historiker interessiert Sie, wie Krankheiten den Verlauf der Geschichte beeinflussen. Ganz aktuell ist auch ein Buch von Ihnen zu dem Thema erschienen, „Die Heilung der Welt“. Was meinen Sie: Wäre Trump ohne Corona Präsident geblieben?

Ich glaube, dass seine schlechte Reaktion auf die Pandemie eine Rolle gespielt und einige nachdenklich gestimmt hat. Aber ob der Einfluss so entscheidend war, ist schwer zu sagen. Die konservativeren Amerikaner, die ihn 2016 noch gewählt haben, waren wohl eher abgeschreckt durch seine Rhetorik. Diese Ausfälle und Beleidigungen haben alle, die ein bisschen Manieren haben, geschockt.

Schlimmer als seine Reaktion auf die Pandemie fanden viele, dass er schon vor der Wahl gesagt hat: Entweder, ich gewinne, oder die Wahl ist gestohlen. In so einer Attitüde kann man schon einen Anschlag auf die Verfassung sehen. 2016 hatten die Demokraten eine Kandidatin, die für viele Wähler unannehmbar waren. Das haben sie 2020 besser gemacht mit einem relativ fairen Vorwahlkampf und einem Kandidaten, der in der Mitte steht und auch persönlich eine angenehme Ausstrahlung hat. Die Alternative zu Trump war also wesentlich günstiger als 2016.

Die Heilung der Welt

Die Heilung der Welt

Gesprochen von Gert Heidenreich

Die Heilung der Welt

Für Europäer war die Wahl Donald Trumps mehrheitlich ein Schock. Sie zeigen in Ihrem Buch „Trinker, Cowboys, Sonderlinge“, dass es in der Geschichte Amerikas mehr als einen exzentrischen Amtsinhaber gab. In aller Kürze: Wie erklären Sie sich das?

Damit hat sicher die traditionelle amerikanische Vorstellung etwas zu tun, dass hier jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann. Aufsteigen, quer einsteigen – das ist hier nicht so ungewöhnlich wie woanders. Berühmtheit, viel Geld oder reiche Förderer braucht man allerdings. Das beste Beispiel ist der ehemalige Schauspieler Ronald Reagan. Auch ehemalige Militärhelden hatten in der Vergangenheit gute Karten beim Rennen um die Präsidentschaft.

Auch in dieser Hinsicht war Donald Trump eine Ausnahme.

Keine Politkarriere, keine Militärlaufbahn, kein Jurastudium – das ist wirklich ungewöhnlich, ja. Die Mainstream-Medien haben Trump groß gemacht, dann aber ist er ihnen entglitten. Er wurde vom Medienliebling zum Gegner der Medien, die daraufhin aus allen Rohren auf ihn gefeuert haben. Nixon war in dieser Hinsicht ein Vorläufer. Auch er wurde mit seinem Aufstieg zu nationaler Prominenz – seit dem Einzug in den Senat – von vielen Medien massiv angegriffen. Trump hat seine Anhänger über Twitter allerdings direkt mit seiner eigenen Weltsicht versorgt. Diese Möglichkeit hatte Nixon noch nicht.

Gewählt wurde Trump für das Versprechen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Und es sieht ja auf den ersten Blick auch so aus, als wäre ihm das gelungen – tatsächlich aber sind das wohl größtenteils die Nachwirkungen von Obamas Präsidentschaft.

Ausgeträumt, Amerika?

Ausgeträumt, Amerika?

Gesprochen von Josef Vossenkuhl

Ausgeträumt, Amerika?

Trump hat eine Summe von geschätzt 250 Millionen US-Dollar an Wahlkampfgeldern eingesammelt. Was heißt das, was hat er damit vor?

Das würde ihm sicher helfen, falls er wirklich eine eigene Partei gründen will. Soweit ich weiß, ist dieses Geld aber nicht zweckgebunden. Das heißt, er kann frei darüber verfügen. Darum wird er wohl erstmal einen Teil seiner Schulden abbezahlen.

Er könnte damit aber auch zum Königsmacher werden, wenn er durch ein Impeachment selber nicht mehr antreten kann.

Ich bin gespannt, ob er auch außerhalb des Amtes so eine gewaltige Ausstrahlung auf einen Teil der Amerikaner haben wird – oder ob er doch abdriftet in eine Außenseiterrolle.

Biden will Amerikas politische Lager vereinen und versöhnen. Aber welche Gemeinsamkeiten gibt es überhaupt noch zwischen den Anhängern der politischen Lager?

Die Polarisierung der Wähler gab es schon zu John F. Kennedys Zeiten. Daher glaube ich schon, dass eine Wiederannäherung möglich ist. Dazu müssten in einem Bereich sichtbare Erfolge erzielt werden, der alle Amerikaner etwas angeht. Etwa bei der Pandemiebekämpfung: Wenn es mit den Impfungen vorangehen würde, die Einschränkungen aufhören, das Leben sich wieder normalisiert, würden diese Erfolge sicher auch an Biden hängenbleiben. Der Klimawandel dagegen geht vielen Anhängern der Republikaner nicht so sehr unter die Haut. Auch die Außenpolitik hat im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt.

Im Wahn

Im Wahn

Gesprochen von Olaf Pessler

Im Wahn

Auch unter Biden gilt also im Zweifelsfall „America first“?

Ja, das galt eigentlich für alle US-Präsidenten. Sie haben es nur mit unterschiedlich viel Charme vorgebracht.

Was bleibt von Barack Obamas Präsidentschaft, was ist sein Vermächtnis und inwiefern wird Joe Biden hier anknüpfen?

Da ist einmal das Personelle. Er holt sich kompetente Leute in die Ministerien, die auf ihrem Gebiet schon einiges geleistet haben. Sein historisches Verdienst ist sicher, dass er als erster nicht-weißer Präsident Politik für jene Bevölkerungsschichten interessant gemacht hat, die sonst eher nicht gewählt haben. Das hat immense Nachwirkungen. Ohne den Push, den Obamas Präsidentschaft den afroamerikanischen Wählern gegeben hat, wäre Trump vielleicht noch Präsident. Wären die Afroamerikaner in Georgia nicht in dieser großen Zahl zur Wahl gegangen, wäre dieser Staat an Trump gegangen. Auch was das Verhältnis zu Europa anbelangt, wird Biden wohl an Obama anknüpfen, so dass nach vier Jahren voller Beleidigungen wieder ein partnerschaftliches Verhältnis entstehen kann.

Ein verheißenes Land

Ein verheißenes Land

Gesprochen von Andreas Fröhlich

Ein verheißenes Land

Wohl nie zuvor hat ein US-Vize weltweit so viel Aufmerksamkeit bekommen, wie die erste Vizepräsidentin Kamala Harris. Doch wofür steht sie eigentlich politisch?

Kamala Harris kommt aus Kalifornien und steht für ein modernes, zugewandtes und diverses Amerika. Politisch steht sie in der Mitte. In Kalifornien gelten besondere Umweltgesetze; erneuerbare Energien werden hier massiv vorangetrieben. Diese afroamerican experience – dagegen – aufzuwachsen und diskriminiert zu werden – hat sie nicht gekannt. Sie ist in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen. Auch dass ihr Gatte seinen Beruf aufgegeben hat und jetzt die Patchwork-Familie zusammenhält, wird sehr stark wahrgenommen.

Kamala Harris

Kamala Harris

Gesprochen von Sabina Godec

Kamala Harris

Das scheint in Amerika deutlich wichtiger zu sein als in Deutschland – hier interessiert sich ja niemand sonderlich dafür, was Joachim Sauer macht.

Ja, das ist für die Amerikaner wichtig. Auch dass Melania sich in der Rolle der First Lady offenbar nie so ganz wohlgefühlt hat, wurde hier viel kommentiert.

Anders als Michelle Obama.

Die in diese Rolle aber auch erst hineingewachsen ist. Als Top-Juristin war sie es nicht gewöhnt, im Schatten ihres Mannes zu stehen. Aber sie hat das toll hingekriegt und hat Obamas Präsidentschaft genau die emotionalen Kanten verliehen, die ihm abgingen. Er ist ja sehr brainy.

BECOMING

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Gesprochen von Katrin Fröhlich

BECOMING

Was fehlt Ihnen in Amerika?

Auch wenn die Deutschen immer darüber motzen: Im ICE durch Deutschland zu fahren ist traumhaft! Das ist super organisiert, pünktlich, sauber. In diesem Riesenland hier können Sie fliegen – kein Vergnügen – oder Auto fahren. Bei diesen Distanzen würde man sich wünschen, dass der öffentliche Nahverkehr zeitgemäßer wäre. Die Eisenbahn, die Amerika einst groß gemacht hat, ist leider ziemlich heruntergekommen. Außerdem sind zwei Dinge, die wir Europäer als Menschenrechte betrachten, hier big business: Gesundheit und Bildung. Wenn dann einer kommt wie Bernie Sanders und sagt: „Schaut doch mal nach Dänemark, Schweden oder Deutschland, da kostet die Universität nichts“, dann schreien alle „Sozialismus!“. Wer hier krank wird, der sorgt sich nicht darum, ob er wieder gesund wird, sondern darum, was die Behandlung kostet. Das ist in Europa besser geregelt.

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