Science Fiction - eine Männerdomäne?

Fangen wir mal mit einem Genre an, in dem es überhaupt keine weiblichen Verfasserinnen zu geben scheint: Science Fiction. Scrollt man sich durch die Bestsellerlisten und Neuerscheinungen, wirkt das tatsächlich wie eine reine Männerdomäne. Von Klassikern wie Der Krieg der Welten oder Die Zeitmaschine bis hin zu den modernen Sci-Fi-Autoren wie Denis E. Taylor, Andreas Eschbach oder Andy Weir mit seinem Marsianer hat das Testosteron das Weltall und die Zukunft fest im Griff. Einzige ins Auge fallende Amazone: Ann Leckie, die mit ihren Space Operas bereits alles an Preisen abräumte, was das Genre hergibt - doch auch die gibt es nur als englische Hörbücher.

Etwas Erstaunliches passiert, wenn man das Genre der Science Fiction ausdehnt auf spekulative Romane und Dystopien. Auch die sind ja schließlich Zukunftsvisionen, nur, dass sie sich von harter Raumfahrtstechnik und Weltraumkriegen wegdrehen zu imaginären Szenarien, in denen es eher um die Entwicklung unserer Gesellschaft geht und um Katastrophen, die nicht zwingend mit Außerirdischen zu tun haben.

Und da haben wir sie plötzlich, die Autorinnen: Von Margaret Atwoods Der Report der Magd über Emily St. John Mandels Das Licht der letzten Tage bis hin zur Schatten-Trilogie von Nora Roberts und Suzanne Collins’ Hunger Games. Ja: Die passen nicht zum klassischen, wissenschafts- und technikbezogenen Science-Fiction-Begriff - vor allem nicht zur sogenannten “harten” Science Fiction. Aber auch in Klassikern wie Die Zeitmaschine oder Ray Bradburys Die Mars Chroniken ging es schon um wesentlich mehr: um die Menschen und wie sie sich in verschiedenen Zukunftsvisionen verhalten. Und in der Beziehung stehen Frauen den schreibenden Männern in Sachen Ideenreichtum in nichts nach.

Der Report der Magd
Ancillary Justice
Das Licht der letzten Tage
Schattenmond

Liebe ist Frauensache. Oder doch nicht?

Liegt es also vielleicht an der Kategorisierung? An der - nicht unbedingt gerechten - Zuordnung zu einem Genre? Gucken wir mal auf eine “typisch” weibliche Domäne: den Liebesroman. Wie sieht es denn da mit den männlichen Autoren aus?

Auch hier kommt es interessanterweise auf die Sub-Genres an: Alles, was mit Romantik und Erotik zu tun hat, ist offenbar Frauensache. So wird New Adult mit seinen pastellfarbenen Covern und denglischen Titeln dominiert von Autorinnen wie Bianca Iosivoni, oder Laura Kneidl; und in Sachen Erotik fällt uns sofort Fifty Shades Of Grey mit den Artverwandten von Sylvia Day bis Kresley Cole und Clannon Miller ein. Wenn man noch die ins Fantasy-Genre hineinragende Vampir-Romance dazu nimmt (die Midnight Breed oder die Gestaltwandler-Reihen sind gute Beispiele), drängt sich der Eindruck auf, Liebe und Sex könnten wirklich nur von Frauen geschrieben werden. Und von “Frauenromanen” wie denen von Jojo Moyes, Lucinda Riley und Co wollen wir erst gar nicht reden.

Aber Moment mal! Was ist denn mit den größten Liebesromanen aller Zeiten? Wenn man die googelt, dann erscheinen in den Suchergebnissen solche Titel wie Doktor Schiwago, Krieg und Frieden oder der Erotik-Skandal-Roman von Vladimir Nabokov, Lolita. Und die wurden doch von Männern geschrieben! Allerdings stehen die in Buchhandlungen nicht zwischen Jojo Moyes und E.L. James, sondern finden sich unter “Klassiker”. Also wieder eine Frage der Zuordnung?

Auch moderne Liebesromane, von Männern geschrieben, finden sich bei genauerem Suchen: David Nicholls stürmte mit Zwei an einem Tag die Bestsellerlisten; Nicholas Sparks ist eine feste Größe in Sachen Tränendrüsendrücker, und Daniel Glattauer bezauberte uns mit Gut gegen Nordwind. Sogar männliche “Chic Lit” gibt es inzwischen: Tommy Jaud gilt hier als das männliche Pendant zu Bridget Jones oder der Shopaholic-Reihe, in denen sich Humor und Liebe die Hand reichen. Und wenn man noch epische Familien-Sagen mit dazu zählt, in denen sich Liebe mit Geschichte vermischt, kommen Schwergewichte wie Jeffrey Archer oder sogar Ken Follett mit dazu.

Männer sind in Sachen Liebes- und sogar Frauenromane also gar nicht so sehr in der Unterzahl - vor allem, wenn man ein bisschen rechts und links der Kategorisierung guckt oder in deren weitere Unterteilungen.

Sweet Sorrow
Wo wir uns finden
Gut gegen Nordwind
Vollidiot

Zu zart für Horror?

Das gilt übrigens auch für das Horror-Genre. Stephen King, Clive Barker, Dean Koontz, Joe Hill - das sind vier große und ausschließlich männliche Autorennamen, die wir derzeit mit haarsträubenden und gruseligen Geschichten verbinden. Besonders die blutigen, Ü-18 Horror Stories stammen aus der Feder von Männern: Richard Laymon und Brian Keene sind bezeichnend für solche Schocker.

Doch auch hier sorgen ein feiner Blick auf die verschiedenen Ausprägungen des Genres sowie ein Blick zurück für andere Ergebnisse. Tatsächlich waren es Frauen, die den sogenannten “Schauerroman” mit aus der Taufe hoben und einige der berühmtesten Werke beisteuerten: Mary Shelley schuf mit Frankenstein eins der unsterblichsten Monster der Literatur; Shirley Jackson mit Spuk in Hill House die Grundlage für alle Spukhausgeschichten und Emily Brontë ließ in Sturmhöhe Rache, Wahnsinn und Gespenster auf das englische Moor los - alle drei Vorlagen für unzählige moderne Varianten und Adaptionen in der Literatur und auf der Leinwand.

Und die Gothic Novel ist nicht tot zu kriegen - und mit ihr die weibliche Autorenschaft. Melmoth von Sarah Perry griff gerade erst eine Figur aus einem der ersten Schauerromane überhaupt nochmal erfolgreich auf, und auch wenn sie und Bestseller-Kolleginnen wie Diane Setterfield oder Kate Morton eher unter dem Label “Roman” verkauft werden: Eigentlich gehören deren Schauergeschichten zum Horror-Genre. Dass sie als solche nicht verkauft werden, mag noch mit weiteren Gründen zu tun haben - allen voran mit Marketing und Leser-Zielgruppen - aber es hängt auch mit Schubladen zusammen, in die Autorinnen und Autoren gesteckt werden.

Spuk in Hill House
Melmoth
Die dreizehnte Geschichte
Das Seehaus

Unter falschem Namen

Das treibt ganz merkwürdige Blüten. Eine davon: die Benutzung eines Pseudonyms. Was zu Zeiten mangelnder Frauenrechte nötig war, um überhaupt veröffentlicht zu werden (kein Roman der drei Brontë-Schwestern hätte sonst jemals das Licht der Welt erblickt), ist inzwischen ein Marketing-Tool.

So tummeln sich im Romance-Genre einige Männer, die unter weiblichem Alias schreiben - aus Sorge, dass ihre sexy Liebesgeschichten sonst von Frauen nicht gelesen werden. Ein Beispiel ist der Engländer Bill Spence, Großvater und Kriegsveteran, der historische Romanzen schreibt, in denen auch gerne starke Cowboys oder mutige Soldaten auftauchen. Sein Verlag bat ihn, das weibliche Pseudonym Jessica Blair zu benutzen, weil die Leserinnenschaft einen männlichen Autor, der aus weiblicher Sicht schreibt, vielleicht ablehnen könnten. Eine berechtigte Befürchtung? In Zeiten, wo auf “own voices”, also das Schreiben aus einer tatsächlich selbst erlebten Perspektive immer mehr Wert gelegt wird, ist das vielleicht gar nicht so abwegig - auch, wenn man über den “Wirklichkeitsgehalt” von Romance natürlich streiten kann.

Aber wenn das stimmt, warum gibt es dann solche Kuriositäten wie Nicolas Barreau, einen erfundenen französischen Autor von leichten Liebesromanen samt Porträtfoto und gefälschtem Lebenslauf, hinter dem sich tatsächlich die deutsche Autorin und Verlegerin Daniela Thiele verbirgt? Kaufen deutsche Leserinnen luftige Romanzen etwa nur, wenn sie von französischen Männern verfasst werden?

Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling mag behaupten, sie habe ihr Krimireihe um den Privatdetektiv Cormoran Strike nur deshalb unter dem Pseudonym Robert Galbraith geschrieben, um nicht gleich erkannt und unvoreingenommen beurteilt zu werden. Aber warum musste es dann ein männliches Alias sein? Vielleicht unbewusst auch deshalb, weil der klassische Detektiv-Roman eher einem Mann abgekauft wird?

The Life She Left Behind
Die Liebesbriefe von Montmartre
Weißer Tod

Ist Spannung geschlechtsneutral?

Geradezu “geschlechtsneutral” kommt inzwischen ein Genre daher, das vielleicht den größten Siegeszug in Sachen Gleichberechtigung erfahren hat: der Krimi, beziehungsweise der Thriller. Spannungsliteratur hat in Sachen Urheberschaft und Geschlecht eine wechselvolle Geschichte erfahren. Von Scheherazade in Tausendundeine Nacht über den Schauerroman bis zum Goldenen Zeitalter der Krimis von Agatha Christie und Dorothy L. Sayers hatten die Autorinnen immer mal die Nase vorn - bis dann die Herren wie Dashiell Hammett und Raymond Chandler mit ihren “hard boiled” Detektivromanen übernahmen und dann eine Weile mit blutigen Serienkiller-Thriller dominierten. In Deutschland brach die Ära Sebastian Fitzek an, zu der sich solche Erfolgsautoren wie Michael Tsokos, Andreas Gruber und Vincent Kliesch hinzu gesellten.

Bis die Frauen wieder zum Überholen ansetzten und ihre Stärken besonders in psychologischen Thrillern und im neuen Sub-Genre “dometic noir” mit Bestseller wie Gone Girl von Gillian Flynn oder Girl On The Train von Paula Hawkins brillierten. In letzter Zeit schrecken aber auch die Frauen nicht mehr vor brutaler Gewalt zurück. Tess Gerritsen und Karin Slaughter zum Beispiel stehen den Männern in Sachen physischer Grausamkeit nichts nach. Ganz aktuell führen in Europa Nele Neuhaus oder die Spanierin Eva García Sáenz diesen Trend fort. Die Tatsache, dass nach neuesten Erkenntnissen solche harten Thriller auch überwiegend von Frauen gelesen bzw. gehört werden, hat unter Marketingverantwortlichen den Trend zum “neutralen” Pseudonym losgetreten, das ein leicht femininer Hauch umweht: Wusstet ihr, dass sich hinter Riley Sager, S.J. Watson oder J.P. Delaney männliche Verfasser verbergen?

Muttertag
Die Herren der Zeit
Schwarzer See
Tot bist du perfekt

Zwischen den Schublanden: non-binäre Autoren

Gesprengt werden die Geschlechter-Schubladen vereinzelt von non-binären Autoren, so wie Casey McQuiston oder Rivers Solomon - obwohl selbst hier wieder die Gefahr der Kategorisierung droht. McQuiston’s charmante Liebesgeschichte zwischen zwei jungen Männern wird automatisch zur LGBTQ+ Literatur gezählt. Stimmt ja auch! Aber eigentlich gehört die zauberhafte Story genauso auf den allgemeinen Stapel der Liebesromane - wo das Buch, beziehungsweise Hörbuch somit fehlt. Immerhin hat es Rivers Solomon mit The Deep geschafft, ganz “normal” unter dem Fantasy-Label zu landen.

Red, White & Royal Blue
The Deep

Fantasy - Diskriminierung auf den zweiten Blick

Ähnlich fair geht es auf den ersten Blick im Fantasy-Genre zu, wo sich Schreibende beiderlei Geschlechts erfolgreich tummeln. Der Eindruck ändert sich wieder, wenn man auf die verschiedenen “Abteilungen” guckt. So wird die High Fantasy mit ihren epischen, kämpferischen Endlos-Buchreihen von Männern dominiert: Von J.R.R. Tolkiens Herr der Ringe bis zu George R.R. Martins Game of Thrones dominiert das Testosteron. Dabei sind Frauen genauso in der Lage, ausschweifende Fantasy zu schreiben, in der es um Leben und Tod geht. Das hat schon Trudi Canavan bewiesen, lange vor ihr Ursula K. Le Guin, und heute sprechen wir von solchen Talenten wie Leigh Bardugo (Grisha) oder Laini Taylor (Strange The Dreamer). Viele der weiblichen Autorinnen allerdings werden gerne in die Jugend- oder Märchenfantasy geschoben - und müssen sich prompt gegen das Klischee wehren, weniger anspruchsvoll zu sein als High Fantasy. Ganz so weit ist es mit der Gleichberechtigung also auch im Fantasy-Regal nicht her.

Die Gefährten
Game of Thrones - Das Lied von Eis und Feuer 1
A Wizard of Earthsea
King of Scars - Thron aus Asche und Gold
Der Junge, der träumte

Du entscheidest mit!

Zusammenfassend lässt sich sagen: Es ist kompliziert, und vielleicht machen wir es zu kompliziert. Rechtlich gesehen sind Frauen und Männer - zum Glück! - inzwischen auf dem gleichen Stand und könnten fröhlich drauf los publizieren. Dafür kommen immer differenzierte Marketingstrategien ins Spiel. Diskriminierung und Vorurteile spielen immer noch eine viel zu große Rolle - sowohl auf Seiten der Verlage als auf Seiten der Leser und Leserinnen. Dazu kommt das Kreieren immer neuer Sub-Genres, die neue Vermarktungsmöglichkeiten, aber leider auch neue Schubladen schaffen, in die Autorinnen und Autoren genauso wie Leserinnen und Leser gesteckt werden.

Eine gute Idee ist vielleicht, das eigene Lese- und Hörverhalten mal auf den Prüfstand zu stellen. Ein bisschen mehr darauf zu achten, beim Griff zum (Hör)buch für mehr Gleichberechtigung im eigenen Bücherregal zu sorgen und vielleicht gerade den Gender-Exoten in einem Genre mal eine Chance einzuräumen. Den Verlagen Rückmeldung zu geben zu zweifelhaften Pseudonymen und deren Sinn und Unsinn. Und sich - ganz ehrlich - an die eigene Nase zu fassen: Nach welchen Klischees greife ich selbst zu einem Autor oder zu einer Autorin? Wovon lasse ich mich beeinflussen?

Augen und Ohren auf! Der Weg zur Fairness unter den Geschlechtern führt auch in Sachen Hörbücher zu einem Großteil über unsere eigenen Entscheidungen.