Ich bin ein riesen Fan von Uve Teschner. Ich wähle meine Bücher danach aus, ob er sie spricht. Ich bewundere seine Fähigkeit, Büchern Leben einzuhauchen und die unterschiedlichsten Charaktere zu sprechen, ohne je überkandidelt oder unauthentisch zu sein. Durch ihn lerne auch ich unglaublich viel für meine eigene Sprecherkarriere und werde tagtäglich inspiriert, weil ich eigentlich jeden Abend ein Buch höre, das er liest. Fanmoment Ende - kommen wir zum Eingemachten! Uve und ich haben uns kürzlich zum Essen verabredet und herausgekommen ist ein Gespräch mit großartigen Hörinspirationen und Einblicken ins Sprecher-Universum. Viel Spaß!

Geister

Viele Menschen denken „Ich kann gut vorlesen, deshalb kann ich auch Sprecher sein“. Worin besteht die Kunst, ein guter Sprecher zu sein?

Du musst den Willen haben, etwas erzählen, etwas ausgestalten zu wollen. Bedingung ist außerdem das Textverständnis – du musst wissen, was du da liest, du musst es verstehen. Und selbst, wenn du es nicht verstehst, musst du es so vermitteln, als ob du es jeden Tag erzählst. Der Hörer darf an keiner Stelle hängen bleiben. Als Sprecher bist du der Vermittler zwischen Inhalt und Hörer.
Sprecher zu sein bedeutet 95 Prozent Handwerk, 4 Prozent Talent und 1 Prozent Inspiration. Allein die schöne Stimme reicht nicht. Es heißt: Üben, üben, üben.

Was gefällt dir an deinem Beruf am meisten?

Ich mag es, Geschichten, die andere sich ausgedacht haben, auszumalen. Das ist ähnlich wie bei der Bildbearbeitung: An der einen Stelle schärfe ich das Bild etwas, woanders füge ich Sättigung hinzu, ich bearbeite Farben und Kontur. Als Sprecher darf ich Gestalter und Interpret sein. Außerdem gefällt mir der Erkenntniszugewinn, nicht nur was den Inhalt betrifft, sondern auch die Zusammenarbeit mit Kollegen, Regisseur und Co. Beim Hörspiel beispielsweise erarbeiten wir wunderbar konzentriert die Rollen. Der Regisseur ist dann wie der Dirigent im Orchester, der die Komponenten zusammenbringt.

Das eiserne Herz des Charlie Berg

Gibt es noch Herausforderungen für dich? Wenn ja, was?

Ja natürlich. Es gibt einen Haufen Texte, die ich nicht könnte, beziehungsweise, die ich mir schwer erarbeiten müsste. Nehmen wir als Beispiel „Das eiserne Herz von Charlie Berg“: Genial gelesen von Shenja Lacher. Der Kollege hat das mit einer Leichtigkeit gelesen, die ich nicht einfach so hervorrufen könnte. Er überrascht uns Hörer mit seiner Verschiedenartigkeit, die ein absolut stimmiges Bild ergibt. Ich selbst hätte das niemals so interpretiert und finde es genial, mich so inspirieren zu lassen.
Oftmals schwimmt man ja in der eigenen Sauce. Wenn man dann herausgefordert wird, etwas ganz anderes zu machen, lernt man eine neue Facette kennen, eine komplett andere Art.

Schatten der Welt

Was waren deine liebsten Bücher, die du bisher gesprochen hast?

Dieses Jahr war es "Schatten der Welt" von Andreas Izquierdo. Wir befinden uns kurz vor dem zweiten Weltkrieg. Zwei Freunde verlieben sich in dasselbe Mädchen. Gemeinsam schmieden sie Pläne für die Zukunft und ahnen zunächst nicht, dass das nicht das Auftauchen des Halleyschen Kometen alles verändern wird, sondern der Große Krieg, der auch bald seine Schatten vorauswirft. Spannend daran: Der Autor konnte nicht ahnen, was 2020 passieren wird, dennoch gibt es einige Parallelen im Buch. Mehr verrate ich jedoch nicht. Das zweite Buch ist „Geister“ von Nathan Hill, ein großer amerikanischer Roman und eine wunderbare Familiensaga. Hier haben wir genauso viele Hörbuchexemplare verkauft wie Buchexemplare – das ist auch nicht die Regel und freut mich sehr. Als drittes hat mich „Löwen wecken“ von Ayelet Gundar-Goshen schwer beeindruckt. Ein Neurochirurg kommt in die Provinz und mag es dort überhaupt nicht. Als Aufmunterung schenkt seine Frau ihm einen Jeep. Ausgerechnet nach einer langen Schicht überfährt er einen illegalen Einwanderer. Es gibt keine Zeugen, der Mann wird sterben, deshalb begeht der Arzt Fahrerflucht. Die Angst, seine Lizenz zu verlieren, ist zu groß. Tags darauf steht die Frau des Opfers vor seiner Haustür – sie fand seinen Geldbeutel am Tatort. Die Frau erpresst den Arzt und zwingt ihn dazu, ihre Landsleute zu behandeln. Das hört sich erst einmal gut an, ist es aber ganz und gar nicht. Wenn du das liest, dann geht es dir so, als ob es dir in diesem Moment passiert – ein schrecklicher Zustand. Die Themen im Buch sind auch heute brandaktuell und es regt zum Nachdenken an.

Was würdest du gerne einmal sprechen?

Eine bestimmte Rolle ist es nicht, ich bin nicht Genre-fixiert und würde alles lesen, wenn es einen gewissen Qualitätsstandart erfüllt. Gut geschriebene Sci-Fy macht mir großen Spaß, wenn sie sich mit sozialen Problemen auseinandersetzt. Gesellschaftliche Fragen, die wir beantworten müssen, bevor es zu spät ist.

Löwen wecken

Welche drei Bücher sollten wir unbedingt hören?

„Der Aufstieg und Fall des D.O.D.O.“ – wunderbar gelesen von Cathlen Gawlich. Dieter Mann liest „Professor Unrat“ und schafft es, vermeinlich trockenen Stoff mit Leben zu füllen. Und zu guter Letzt „Schimmelreiter“, gelesen von Otto Mellies, der leider dieses Jahr verstorben ist. Das war ein Meilenstein auf meinem Weg. Ich durfte „Schimmelreiter“ später selbst einmal lesen, da steckt viel Mellies drin.

Danke lieber Uve für dieses wunderbare Gespräch.

Diese Hörbücher empfiehlt Uve Teschner:

Der Aufstieg und Fall des D.O.D.O.
Professor Unrat
Der Schimmelreiter

Mehr Inspiration von Vreni? Hier spricht sie über das beste Hörbuch aller Zeiten.