Der SPIEGEL nennt Ranga Yogeshwar „Ein-Mann-Kompetenzzentrum“, die FAZ bezeichnet ihn als „medialen Chefaufklärer über die großen und kleinen Wunder der Natur“. Und sein neues Hörbuch wurde von Deutschlands beliebtestem Literaturkritiker Denis Scheck erst kürzlich gelobt – „Ein Lob von Scheck, das macht mich als Buchautor schon ein wenig stolz“, gibt Ranga Yogeshwar bescheiden zu.

Interview mit Ranga Yogeshwar

Ranga Yogeshwars Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft: Geschichten aus einer Welt im Wandel“ ist (bereits sein viertes bei Audible). Darin blickt Ranga Yogeshwar aus seiner ganz speziellen Perspektive auf unsere sich rasch wandelnde Welt. Die digitale Revolution, Fortschritte in der Gentechnik oder die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz greifen auf fundamentale Weise in unser Leben ein. Ein informatives, aber auch sehr unterhaltsames Buch. Wir sprachen mit ihm über Zukunftsvisionen der Menschheit und begründeten Optimismus.

Ranga Yogeshwar, Sie werfen in Ihrem neuen Hörbuch einen Blick in die Zukunft. Wie lautet denn nun Ihre Prognose – können wir uns darauf freuen?

Aber unbedingt. Die Zukunft bietet uns unglaubliche Chancen – auch im wahrsten Sinne des Wortes, denn vieles von dem, was kommen wird, können wir uns heute gar nicht vorstellen. Entscheidend aber wird sein, dass wir die Zukunft aktiv mitgestalten. Dass Veränderungen kommen, dass sie sich positiv auf unsere Gesellschaft und jeden Einzelnen auswirken, ist nämlich kein Automatismus. Denn Technologie hat grundsätzlich das Potenzial, unsere Welt besser zu machen. Aber eben auch, sie schlechter zu machen, es liegt an uns. Auch deswegen möchte ich mit meinem neuen Hörbuch an unsere Verantwortung für die Zukunft appellieren.

Was macht Ihnen denn Angst, wenn Sie an die Zukunft denken?

Tatsächlich bringt die Entwicklung der künstlichen Intelligenz ganz neue Fragestellungen mit sich. Es sind Fragestellungen, auf die wir uns bewusst und tiefergehend einlassen sollten, ja müssen. Denn wenn zutiefst menschliche Aufgaben zukünftig mehr und mehr von Maschinen übernommen werden, so benötigen wir ganz dringend eine umfassende Debatte über Moral und ethische Fragestellungen in diesem Zusammenhang. Das wird sicher eine hochspannende Diskussion.

Haben Sie denn oft den Eindruck, dass der Blick in die Zukunft zu pessimistisch ist? Ihr Hörbuch wirkt wie eine Aufforderung, die Chancen zu erkennen und zu nutzen anstatt nur Gefahren zu sehen.

Ja, so ist es. Mein Hörbuch soll ein Plädoyer sein. Ich nenne es den reflektierten Fortschritt. Wir müssen sicher nicht alles umsetzen, was heute oder in ein paar Jahren technisch machbar ist, aber das meiste hat die Chance, die Lebensqualität für viele von uns zu verbessern. Deshalb frage ich Pessimisten und jene, die gerne davon sprechen, dass früher alles besser war, gerne: Stellen Sie sich vor, Sie haben eine ernsthafte Erkrankung. Möchten Sie lieber im Jahr 1817, 1917 oder 2017 behandelt werden? Die Antwort ist meist eindeutig, denn die Menschen erkennen, dass die Entwicklung uns auch sehr viel Gutes gebracht hat. Denken Sie alleine an die Kindersterblichkeit! In vielen Teilen der Welt hat der Fortschritt die Menschen erreicht. Leider nicht in allen und das müssen wir ändern.


Virtuelle Welt: Ranga Yogeshwar auf der Ideen-Expo im Sommer 2017

Viele haben den Eindruck, dass das Tempo der Veränderungen zunimmt, manche fühlen sich davon auch überfordert. Warum ist das so, wie sollten wir damit umgehen?

Sie spielen auf das sogenannte Mooresche Gesetz an, wonach sich Speicherkapazitäten etwa alle zwei Jahre verdoppeln. Hinzu kommen Netzwerkeffekte, denn in unserer globalen und vernetzen Welt setzen sich Innovationen schneller durch, weil sie auch schneller verbreitet und adaptiert werden können. Es mag sein, dass dies für einige zu schnell geht und der ein oder andere sich überfordert fühlt. Aber es gibt hier auch eine Diskrepanz. Schauen Sie sich nur einmal die Verbreitung des Smartphones an. Früher brauchte der Fortschritt mindestens eine Generation bis er die breite Bevölkerung erreichte, nun gibt es das Smartphone erst seit etwa zehn Jahren und es ist weltweit aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Entwicklungen scheinen einen Nerv zu treffen, denn wir nehmen sie bereitwillig an und wer genau hinschaut, sieht auch schon die nächsten Trends.

Und welche wären das?

Nehmen wir doch einfach mal Audible als Beispiel. Ich habe den Eindruck, dass wir als moderne Gesellschaft wieder zur oralen Tradition zurückkehren. Geschichten wurden früher am Lagerfeuer erzählt, nun eben digital auf einem Smartphone von ausgebildeten Sprechern. Gemessen an der Menschheitsgeschichte sind wir noch nicht sehr lange eine Gesellschaft, die schreiben und lesen kann, Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks ist keine 600 Jahre alt. Vielleicht aber verabschieden wir uns davon bereits wieder: Immer mehr Menschen hören Bücher oder schauen sich Video-Tutorials an, anstatt die Bedienungsanleitung zu lesen. Ich glaube daher, dass das Hörbuch eine ganz besondere Zukunft hat – insbesondere das digitale übrigens, weil es hier weniger Hürden bei Distribution und Ressourcen gibt.

Wir als moderne Gesellschaft kehren wieder zur oralen Tradition zurück.

Ranga Yogeshwar

Was macht Sie so optimistisch, dass die Gesellschaft Veränderungen positiv aufnimmt?

Es geht ja nicht nur um den digitalen Fortschritt, sondern auch um die Frage, wie sich dieser auswirkt – auf die Gesellschaft, auf die Bildung. Meine Beobachtung ist, dass es viel mehr Veränderungen gibt, die von den Menschen mit offenen Armen aufgenommen werden. Und damit meine ich nicht nur die jungen so genannten „Early-Adopters“, sondern auch ältere Menschen, die sich auf neue Gegebenheiten einstellen. Mir ist jedenfalls keine große Bewegung von Smartphone-Gegnern bei den Über-60-Jährigen bekannt, obwohl viele Veränderungen aufgrund der rasanten technischen Entwicklung heute viel mehr sind ist als nur ein Add-On. Sie sind oft fundamentaler und die Selbstsicht der Menschen ändert sich in der Folge. Auch dies muss erkannt und verstanden werden. Wir sollten Fortschritt reflektiert und konstruktiv nutzen – ich plädiere für Innovationsoffenheit.

Sie sagen in Ihrem Hörbuch aber auch, dass es Irrtümer bei vielen Zukunftsvisionen gibt: Es werde missachtet, wie sich Veränderungen sozial auswirken, wie sich das Verhalten von Personen oder ganzen Gesellschaften aufgrund von Innovationen verändert. Haben Sie dafür Beispiele? Und warum glauben Sie, ist das so?

Wir nutzen – weil es so einfach ist – natürlich immer die Sicht der Gegenwart für unsere Analyse. Und schaffen dann oft den Sprung nicht, aus einer anderen Perspektive auf Innovationen zu blicken, weil wir in den Kategorien der Gegenwart verhaftet sind. Nehmen wir ein Beispiel aus meinem neuen Hörbuch: Man kann bereits heute bei eBooks erkennen, wie schnell eine Seite gelesen wird, ob zurückgeblättert wird – etwa weil es Verständnisprobleme wegen komplizierter Formulierungen gibt – und ob ein Krimi überhaupt so spannend ist, dass er zu Ende gelesen wird. Daraus ergibt sich dann die Frage: Wie können wir das Buch als Leseerlebnis verbessern?

Wie sähe eine Zukunftsversion nach Ihren Vorstellungen aus?

Diese geht noch mindestens einen Schritt weiter und sucht den Perspektivwechsel: Was wäre, wenn wir eBooks als Diagnosetool der Pharmaindustrie verstehen und nicht als reines Freizeitvergnügen? Braucht der Nutzer länger für ein Buch als noch vor zwei Jahren? Blättert er häufiger zurück, weil er oder sie etwas vielleicht etwas nicht verstanden hat? Und welche möglichen Krankheitsbilder könnten dem zugrunde liegen? Demenz? Und wenn wir dann nämlich noch Eye-Tracking, also das dauerhafte Messen der Augenbewegungen, ergänzen, dann kommen wir zu ganz anderen Fragen: Wieso flattern die Pupillen auffällig? Ab welcher Schriftgröße wird es unscharf? Daraus kann sich Positives ergeben, wie eine frühzeitige Erkennung von Krankheiten, oder auch weniger erfreuliches, etwa wenn Sie wegen der so erhobenen Daten über Ihren Gesundheitszustand in Versicherungsfragen diskriminiert würden.

Was wäre, wenn wir eBooks als Diagnosetool der Pharmaindustrie verstehen und nicht als reines Freizeitvergnügen?

Ranga Yogeshwar

Das klingt gar nicht so unrealistisch. Gibt es denn eine Zukunftsprognose, auf die Sie wetten würden? Eine, die in jedem Fall eintritt?

Da kommt mir als erstes die Veränderung der Mobilität in den Sinn, die ja bereits begonnen hat. Mit Elektroantrieb statt Benziner, aber eben auch das so genannte Car-Sharing. Wie toll wäre es, wenn die Parkplätze nicht mehr voll sind mit Autos, die vielleicht nur wenige Male die Woche tatsächlich genutzt werden? Es könnten mehr Grünflächen entstehen. Die Tendenz, dass die Menschen weniger besitzen, sondern lieber nur nutzen möchten, gibt es ja auch schon bei der Musik. Man häuft nicht mehr an, hat keine große Bibliothek in der Wohnung mehr. Das wird sich aus meiner Sicht weiter verstärken.

Ihr Hörbuch lebt von Ihrer persönlichen Sicht auf die Veränderungen, auf die Zukunft. Wie wichtig sind diese vielen Erfahrungen, Beobachtungen und Reisen, von denen Sie im Hörbuch berichten?

Ich bin davon überzeugt, dass man etwas besser einschätzen und davon erzählen kann, wenn man es selbst erlebt hat. Das Hörbuch soll keine Biographie sein, es geht nicht um mich, sondern um die Sache, das ist mir wichtig. Ich habe während meiner Arbeit viele ungewöhnliche Einblicke z.B. in Forschungsinstitute bekommen, die nicht jedem gewährt werden und dabei gewaltige Entwicklungen erleben dürfen. Mein Hörbuch ist die große Klammer, mit der ich all das einfangen und einordnen möchte. Meine persönlichen Beobachtungen und Erfahrungen sind unmittelbar und stützen die Argumentation: Ich kann viel besser von der Entwicklung selbstfahrender Autos berichten, wenn ich selbst darin gesessen habe. Kürzlich bin ich mit dem Hubschrauber auf einen Gletscher geflogen worden. Wenn man das Abschmelzen mit eigenen Augen gesehen hat, kann man danach anders vom Klimawandel berichten. Andere Autoren schreiben Bücher über die Zukunft als Trockenübung, theoretisch – ich finde: Reisen und persönliche Erlebnisse machen den Unterschied. Mit meinem Hörbuch möchte ich einen allgemeinverständlichen Einblick in ein Mosaik der Zukunft geben.


Autonomes Fahren mit einem Audi/VW-Prototyp, mit dem Ranga Yogeshwar selber unterwegs war

Können Sie die Herausforderungen der Zukunft in aller Kürze benennen?

Ich mag den Begriff „Fortschrittsverlierer“ überhaupt nicht. Daher würde ich es als unsere wichtigste Aufgabe begreifen, dass wir gemeinsam als Gesellschaft die kommenden Umwälzungen sozial verträglich gestalten.

Und worauf freuen Sie sich in der Zukunft denn nun am meisten?

Da muss ich drei Aspekte aufführen, die aber zusammengehören. Erstens: Ein Fortschritt, der global ist, bietet die großartige Chance, die Welt gleicher und dadurch besser zu machen. Zweitens: Es gibt viele große Herausforderungen für unsere Gesellschaft, von denen ich überzeugt bin, dass sie mit technischer Unterstützung besser gelöst werden können. Und drittens, bezogen auf den technischen Fortschritt: Die Menschen haben den technischen Fortschritt schon immer für sich genutzt, zum Beispiel während der Industrialisierung, die mehr Arbeitsplätze geschaffen hat - allerdings nur am Fließband. In der kommenden Entwicklungsphase könnten Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Automation unser bisheriges Verständnis von Arbeit und Wirtschaft grundlegend verändern. Vielleicht verschieben sich damit auch unsere Prioritäten im Leben. Womöglich entdecken wir, wie Aristoteles, die Muße als Ideal. Dann hätte jeder von uns mehr Zeit – auch, um mehr gute Geschichten zu hören, zum Beispiel bei Audible ;-)

Schöner hätten wir uns das Schlusswort nicht vorstellen können. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Yogeshwar.

Ranga Yogeshwars Buch und Zukunftsvisionen der Menschheit

Nächste Ausfahrt Zukunft

Über Ranga Yogeshwar

Ranga Yogeshwar, geboren 1959, Diplomphysiker, arbeitete von 1987 bis 2008 als Wissenschaftsredakteur beim WDR in Köln und ist inzwischen als freier Journalist und Autor tätig. Er entwickelte und moderierte zahlreiche Sendungen (u.a. »Quarks & Co«, »Die große Show der Naturwunder« und »Wissen vor acht«), in denen Wissenschaft populär vermittelt wird. Ausgezeichnet mit über 50 Ehrungen und Preisen, darunter der Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Journalistik (1998), der Grimme-Preis (2003) und der Deutsche Fernsehpreis (2011) und viele Journalistenpreise in verschiedenen Kategorien, wurde Ranga Yogeshwar 2009 die Ehrendoktorwürde der Universität Wuppertal verliehen. Seine beiden Bücher »Sonst noch Fragen?« (KiWi 1103) und »Ach so!« (KiWi 1188) wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ranga Yogeshwar ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Copyright Artikelfotos:
Porträtfoto Ranga Yogeshwar im Artikelaufmacher = (c) Herby Sachs
Bilder Ideen-Expo und Autonomes Fahren = (c) Ranga Yogeshwar