Kannst du mir zuerst etwas über das Hörbuch erzählen? Worum geht’s?

Das Hörbuch heißt „Yoga, Tee, LSD“, was ja erst einmal nach einer relativ wilden Mischung klingt. Die Grundthese ist: Wir alle manipulieren permanent unser Bewusstsein, ob uns das klar ist oder nicht. In dem Hörbuch geht es um alle möglichen Techniken, angefangen von einfachen Dingen wie bewusst Musikhören und Körpertechniken wie Yoga über Alltagssubstanzen wie Koffein oder Nikotin bis hin zu psychoaktiven Substanzen und Psychedelika wie LSD und Psilocybin. Um das alles in einen Kontext zu bringen, spreche ich auch über die Substanzen, die auf ärztliche Verordnung unser Bewusstsein verändern, zum Beispiel Antidepressiva und Antipsychotika. Mir geht’s darum, das ganze Spektrum aufzuzeigen und ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass wir ständig in Interaktion mit unserem Bewusstsein sind und das nicht etwas Festes, Unveränderliches ist, auf das wir keinen Einfluss haben.

Für wen hast du das geschrieben? Wen dürfte das besonders interessieren?

Das Thema ist eines, das manche Menschen sehr intensiv beschäftigt und andere gar nicht. Ich wollte die goldene Mitte treffen, also vor allem diejenigen erreichen, die mal Yoga gemacht haben oder länger in der Sauna waren und gemerkt haben, dass etwas in ihnen passiert. Ich möchte aber auch die Leute ansprechen, die ganz aktiv solche Erfahrungen suchen, sei es, indem sie auf Schwitzhüttenrituale fahren, holotropes Atmen oder einen Trance-Tanz machen oder eben auch Substanzen nehmen. Ich wollte das Thema sowohl wissenschaftlich als auch sozial beleuchten.

Du selbst bist Anästhesistin und Notärztin. Wie bist du mit dem Hintergrund zu diesem Thema gekommen?

Ich gehöre zu den Menschen, die schon immer ein ganz breites Spektrum an Interessen gehabt haben. Ich bin zwar von der Ausbildung her Anästhesistin und Notärztin, habe aber in der Psychosomatik meine Doktorarbeit gemacht. Ich habe mich schon immer für den Menschen als Ganzen interessiert, was für einen Arzt heute nicht mehr selbstverständlich ist. Die meisten sind Spezialisten für ein Organ oder einen bestimmten Bereich im Körper zuständig. Mir ist es immer darum gegangen, die Einheit aus Körper, Psyche und Seele, die einen Menschen ausmacht, wahrzunehmen.

„Mir geht es darum, die Einheit aus Körper, Psyche und Seele wahrzunehmen.“

Dr. Andrea Jungaberle

Und wann bist du zum ersten Mal mit Yoga in Kontakt gekommen?

So richtig in Kontakt gekommen bin ich damit ganz früh. Ich habe schon mit 12, 13 Jahren angefangen, mich für Yoga zu interessieren, habe damals schon die ersten Techniken wie autogenes Training gelernt. Und das hat sich fortgesetzt und ist mitgewachsen. Dieses Gefühl von Bewusstsein und dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in der Welt zu sein, ist etwas, was ich immer schon mit mir getragen haben.

Wie können wir im Alltag – oder gerade jetzt, wo viele von uns in einer Krise stecken – von bewusstseinsverändernden Erfahrungen profitieren?

Das ist ja die wirklich spannende Frage. Eine bewusstseinsverändernde Erfahrung zu machen ist nämlich gar nicht so schwierig. Wenn man zum Beispiel auf einem Konzert ist und richtig tief in die Musik eintaucht, erlebt man zum Teil schon Bewusstseinsveränderungen. Aber was macht das mit einem? Je nachdem, wie tief die Erfahrungen gehen, kann man ganz unterschiedliche Dinge daraus lernen. Aber es ist nicht selbstverständlich, dass man daraus etwas lernt. Das braucht auch Arbeit – also das, was man Integration nennt. Gerade, wenn es um Psychedelika geht, wo man sehr starke Erfahrungen und Bewusstseinsveränderungen haben kann, wo man ganz andere Gefühle, innere Bilder und Prozesse erlebt, ist es ganz wichtig, einen bewussten Übergang zu machen und zu schauen, welche Rolle das Erlebte für einen spielen kann und was man wirklich gelernt hat.

Das ist also sehr unterschiedlich, was man daraus lernen kann?

Es gibt Leute, die lernen daraus gar nichts. Die wollen immer wieder nur das Erlebnis und sind auf der Suche nach der nächsten Erfahrung. Quasi das Äquivalent eines One-Night-Stands: In dem Augenblick ist es schön, aber danach tauscht man keine Telefonnummern aus und muss sich die nächste Erfahrung suchen. Wirklich tiefe Erfahrungen werden bedachter gemacht. Es gibt auch Menschen die haben ganz unerwartet ganz tiefe Erfahrungen, die sie sehr bewegen, die zum Beispiel auf einem Festival stehen, mal aus Spaß eine Substanz ausprobieren und plötzlich ganz tiefe Erkenntnisse über Gott und die Welt oder sich selbst haben. Es gibt auch Menschen, die das bewusst vorbereiten, zum Beispiel mit Meditation, mit Fasten oder mit Achtsamkeitstechniken, und die dann ganz achtsam daraus Dinge für sich mitnehmen.

Auch wenn das sicher ganz individuell ist, was kann man denn für sich aus einer Erfahrung mitnehmen?

Das können ganz unterschiedliche Dinge sein. Auf Grund dieses anderen Raumes kann man sich von den eigenen Vorrannahmen lösen und vielleicht besser verstehen, warum zum Beispiel jemand, mit dem man sich gestritten hat, so reagiert hat. Eine solche bewusstseinsverändernde Erfahrung kann einen Perspektivwechsel ermöglichen.

Man kann also leichter aus den eigenen Mustern ausbrechen?

Das ist ein ganz wichtiges Stichwort: Musterunterbrechung, also Muster auflösen und neue Perspektiven einnehmen. Auch beim Meditieren kann man sich selbst aus einem ganz neuen Blickwinkel betrachten, weil man sich in einem anderen Zustand erfährt. Da ist ganz viel Potenzial, denn gerade das Aufbrechen von eingefahrenen Verhaltens- und Gedankenmuster ist etwas, das sehr vielen Menschen sehr schwer fällt, aber eine große Bereicherung sein kann, wenn es denn gelingt.

„Eingefahrene Verhaltens- und Gedankenmuster aufzubrechen, fällt vielen Menschen sehr schwer.“

Dr. Andrea Jungaberle

__Sagen wir, ich möchte mein Bewusstsein verändern, habe mir dein Hörbuch angehört … Wie geht’s weiter? __

Das Buch ist keine Einladung oder eine Anleitung zum Drogennehmen. Wenn jemand beschließt, Psychedelika auszuprobieren, muss klar sein, dass man sich sowohl rechtlich als auch gesundheitlich in Gefahr begeben kann. Aber es gibt ganz viele Möglichkeiten, in einem legalen Rahmen sein Bewusstsein zu verändern. Atemtechniken wie holotropes Atmen oder auch Trance-Tanz zum Beispiel können zu ganz tiefen Zuständen führen, in denen man sehr, sehr viel erfahren kann. Die sind halt ein bisschen anstrengender, weil man selbst etwas tun muss.

Wie findet man die Technik zur Bewusstseinsveränderung, die zu einem passt?

Da muss man überlegen, was einem liegt und wo man vielleicht schon einmal eine gute Erfahrung gemacht hat. Wer sagt, dass er mit Musik nichts anfangen kann oder keine Lust hat, vor anderen Leuten in Bewegung zu kommen, für den ist Trance-Tanz sicher keine brauchbare Methode. Deswegen decke ich im Hörbuch ein so breites Spektrum ab, weil es eben für jeden etwas Passendes gibt.

Psychoaktive Substanzen werden gemeinhin als Drogen verstanden, du magst aber den Begriff „Drogen“ nicht. Wieso?

Erstens sind psychoaktive Substanzen und Drogen nicht gleichzusetzen. Zucker zum Beispiel ist eine psychoaktive Substanz, es wirkt auf das Belohnungssystem. Kaffee ist eine psychoaktive Substanz, Kakao auch. Es ist eben so, dass in unserer Redeweise Drogen illegalisierte Substanzen sind, die auf die Psyche wirken. „Droge“ ist immer mit einem moralischen Zeigefinger verbunden. Wenn man „Droge“ hört, denkt man an die Nadel im Arm und Christiane F. am Bahnhof. Da schwingt so viel mit – und eben auch das Erbe aus 60 Jahren verfehlter Drogenpolitik. Wenn ich jedoch von psychoaktiven Substanzen oder gar Psychedelika rede, dann ist das weniger stigmatisierend, auch wenn es da oft Überschneidungen gibt. Deswegen versuche ich, „psychoaktive Substanzen“ als neutraleren Begriff einzubringen. Da, wo es adäquat ist, sollte man die Psychedelika aber auch einfach benennen.

Warum findet die Verwendung psychoaktiver Substanzen in der therapeutischen Arbeit gerade in Deutschland so wenig Beachtung? Wieso hinkt Deutschland hinterher, wie du es in deinem Hörbuch formulierst?

Die Studiengruppe unter Leitung von Prof. Gründer vom ZI Mannheim, zu der ich gehöre, hat im November die Genehmigung bekommen haben die im November die Genehmigung bekommen, eine Studie mit Psilocybin, der Substanz, die in Zauberpilzen vorkommt, aber in diesem Fall chemisch hergestellt wird, mit 144 schwer depressiven Patienten machen zu dürfen. Und eine weitere kleinere Studie eines internationalen Unternehmens ist auch gerade genehmigt wurden. Da passiert gerade was. Das war lange Jahre nicht möglich, weil man sich hinter den Verboten versteckt hat. Andere Länder wie die USA, von denen das Verbot von Psilocybin ursprünglich ausgegangen war, forschen schon lange wieder. Ein anderer Aspekt ist der, dass man in Deutschland aus zwei Gründen viel Angst hat sich mit diesen Dingen zu beschäftigen: Das eine ist, dass wir hier in Deutschland mit dem Contergan-Skandal zu kämpfen hatten. Da hatte die Wissenschaft große Angst, dass so etwas noch einmal passieren könnte. Das andere ist, dass wir in Deutschland diese sehr unselige Vorgeschichte der Menschenversuche in den KZs unter den Nazis haben. Deswegen wird alles, was einen großen Einfluss auf Menschen haben kann, eher vorsichtig betrachtet. Das sind beides Argumente, die ich gut nachvollziehen kann, aber man sollte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.

Gibt es einen anderen, einen besseren Weg, gesellschaftlich mit dem Thema umzugehen als die Kriminalisierung von Suchtkranken und die Tabuisierung von Drogen?

Ich sehe da sehr große Parallelen zum Thema Sexualität und Aufklärung. Wir sind mit Drogen da, wo wir Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre mit dem Thema Sexualität waren. Genau wie man Teenie-Schwangerschaften nicht dadurch verhindert, indem man nicht über Sexualität spricht, verhindert man auch Drogenunfälle nicht dadurch, dass man nicht über Drogen spricht.

Was kann da helfen?

Ein offensiver und offener Umgang sind wichtig. Ebenso wie eine Tatsachenbasierung, also wirklich klar zu machen, was die realen Gefahren sind. Natürlich gibt es reale Gefahren, die man nicht totschweigen sollte und die je nach Substanz unterschiedlich und unterschiedlich groß sind. Genau wie kein Medikament, das wirkt, keine Nebenwirkungen hat, hat auch keine psychoaktive Substanz keine Nebenwirkungen. Dementsprechend braucht es da Offenheit und die Bereitschaft, sich rational und wissensbasiert mit diesen Themen auseinander zu setzen. Ich glaube, dass ist es, was gesellschaftlich wirklich notwendig ist, denn der Konsum von psychoaktiven Substanzen und Drogen ist eine gesellschaftliche Realität. Die Menschen machen das halt. Ob ich drüber rede oder nicht, sie werden es immer tun. Und dann ist es doch besser, wir reden darüber und verhindern damit Unfälle, als dass wir das totschweigen.

„Der Konsum von psychoaktiven Substanzen und Drogen ist eine gesellschaftliche Realität.“

_Dr. Andrea Jungaberle _

Hoffst du, dass das Hörbuch ein Stück weit aufklären kann?

Ich hoffe schon, dass ich ein bisschen aufklären helfen kann. Mir ist es ganz wichtig, weder die eine noch die andere Seite übermäßig zu belehren. Jeder hat das Recht auf seine Position. Aber ich denke, Wissensbasierung ist immer eine gute Grundlage, um Entscheidungen zu treffen. Dabei treffen viele Leute die Entscheidung, ob sie pro oder contra Drogen sind, so ähnlich wie die Entscheidung, ob sie für oder gegen Bayern München ist. Man ist für oder gegen die, aber warum, kann man gar nicht so genau begründen. Ich hoffe, Leute da zum Denken anregen zu können und gerade auch Eltern dazu zu bringen, sich mehr Gedanken zu machen, wie sie ihren Kindern gegenübertreten.

Wieso sollten sich Eltern da mehr Gedanken machen?

Mit undifferenzierter Ablehnung jagt man sein Kind eher in die Flucht. Dann passieren vielleicht auch Sachen, die man mit gemeinsamer Beschäftigung mit dem Thema hätte verhindern können. Gute Entscheidungen zu treffen kann man lernen, aber man lernt es eben nur, wenn es mit einem geübt wird.

Wenn etwas verboten wird, reagieren viele Jugendlich eher mit einem „Dann erst recht!“

Genau, und deswegen glaube ich, dass es da einen liebevollen Dialog braucht – in Familien, in Freundeskreisen und auch gesamtgesellschaftlich. Die Leute nutzen solche Substanzen ja, weil sie etwas erreichen wollen. Es gibt Leute, die erst einmal ein Bier brauchen, wenn sie nach Hause kommen – und die wollen damit auch etwas erreichen. Keiner nimmt einfach so Drogen, weil sie gerade herumliegen, sondern weil man damit einen Zustand herbeiführen oder von einem wegkommen will, der einem nicht gefällt. Dieses Verstehen, warum ich etwas tue, hilft mir dabei, bessere Entscheidungen zu treffen.