Ob sich das Warten gelohnt hat, wird der Vierfach-Wumms zeigen, der Fans von Joe Goldberg bevorsteht. Wir erinnern uns: Er ist die Hauptfigur in den Bestseller-Romanen von Caroline Kepnes. Mit unnachahmlicher Intensität spricht er von seinen Obsessionen für Frauen in einem endlosen inneren Monolog. In dem erklärt er, wieso er gar nicht anders kann, als die Objekte seiner Begierde zu stalken und alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die ihn vom Ziel seiner Liebesträume trennen. Selbst wenn die Hindernisse schlussendlich die Frauen selbst sind.

Im Februar wird der erste Teil von Staffel 4 der Netflix-Fassung von „You“ veröffentlicht. Gleich im März folgt Teil 2, jeweils mit Publikumsliebling Penn Badgley als Joe: dunkelhaarig und mit Hard Body, dezenter Zahnlücke und stets süffisantem Erzählerton. Und dann erscheint im April 2023 auch die englische Buchfassung des nächsten Teils der Romanreihe unter dem Titel „For You and Only You“. Zeitgleich kommt die Hörbuchfassung von Simon & Schuster Audio UK heraus.

„You“: Zurück auf Anfang

Die Buchreihe hat es gleich vom ersten Teil an in die Bestseller-Liste der New York Times geschafft, als 2014 „You“ erschien und im vermeintlichen Gewand einer RomCom den New Yorker Buchhändler Joe vorstellte. Der verguckt sich in die attraktive Studentin Guinevere Beck, die eines Tages in seinen kleinen Laden in Südmanhattan kommt – auf der Suche nach einem besonderen Buch. Sie ist eine selbstbewusste, clevere, weltoffene Frau, die ihr Leben und all ihre täglichen Aktivitäten auf Social-Media-Kanälen teilt. Sie zeigt sich gern und möchte gesehen werden. Sie bedenkt dabei nur nicht, dass jemand wie Joe sie dadurch nach dem ersten Kennenlernen zwar leicht wiederfinden kann – dass ein Mann wie Joe dadurch aber auch alles über sie ausspionieren kann. Und sie zum Opfer ihrer eigenen Selbstinszenierung wird.

YOU - Du wirst mich lieben

Das Besondere am Buch ist, dass es aus der Perspektive und mit der Stimme von Joe erzählt wird. Er nutzt seine Leidenschaft für Beck – und in den späteren Bänden für die anderen Frauen, die ihm den Kopf verdrehen –, um ihr Verhalten minutiös zu observieren und kritisch zu kommentieren. Die Literaturkritikern Jennifer Selway schreibt dazu: „Was einen die Bücher atemlos weiterlesen lässt, ist die Erkenntnis, dass das Ganze ein schreckliches Ende nehmen wird – aber man fragt sich die ganze Zeit, was für eine Art schreckliches Ende es sein wird.“

Eine andere Rezensentin bemerkt, „You“ sei eines der verstörendsten Bücher, dass sie seit Jahren gelesen habe, doch obwohl es sie völlig fertig gemacht habe, konnte sie das Buch nicht weglegen. Denn: Obwohl Joes dunkle Seite ziemlich schnell offensichtlich wird, wenn er vor Becks Fester lauert und ihr beim Masturbieren zuschaut (während er sich selbst im Schatten eines Türeingangs einen runterholt), ist Joe ein erschreckend witziger, reflektierter und seltsam verführerischer Erzähler, der einen mit beißender Intelligenz in den Bann schlägt.

“You”: American Psycho meets Fifty Shades of Grey

Als Joe im ersten Roman Klebeband und ein Seil kauft, Plastiksäcke und Plastikhandschuhe, muss man unweigerlich an „American Psycho“ und Patrick Bateman als Vorgänger denken. Und man fragt sich, was eigentlich seither aus unserer Gesellschaft geworden ist. Denn die junge Verkäuferin an der Kasse blinzelt Joe zu und sagt angesichts der Utensilien, sie sei auch ein Fan von „Fifty Shades of Grey“. Joes unstillbarer Hunger nach Liebe macht ihn zu einer Figur, mit der man mitfühlt. Was verstörend ist, und was er selbst als Erzähler immer wieder dekonstruiert. Denn Joe kennt die Schwachstellen derjenigen, die ihm zuhören.

Weswegen man die „You“-Bücher auch als eine Art Satire aufs Social-Media-Zeitalter interpretieren kann, was durch den parodistisch-übertriebenen Ton unterstrichen wird, mit dem der Psychopath Joe die Ereignisse beschreibt. Es ist natürlich die Stimme von Kepnes selbst, die hinter Joe steckt. Das heißt, hier wirft eine weibliche Autorin ihren Röntgenblick auf andere Frauen und entlarvt diese mit all ihren Schwächen. Das ist eine ungewöhnliche Umkehrung der üblichen Verhältnisse. Kepnes zeigt permanent Frauencharaktere, die sich als die wahren „Monster“ entpuppen. Während Joe fast das Opfer zu sein scheint. Eine Tatsache, über die man unweigerlich stolpert – ja, stolpern muss!

Joe: Ein Stalker, der die Welt fasziniert

Der Sog der Geschichte war von Anfang an so stark, dass „You“ schnell in 19 Sprachen übersetzt wurde. Auf Deutsch schlug der Thriller ein unter dem Titel „You – Du wirst mich lieben“. Er folgte 2016 und 2021 zwei weitere Bände. Zudem gab es die Fernsehadaption mit Penn Badgley und Elizabeth Lail als Beck.

Mit der Fortsetzung der Netflix-Serie fing die Geschichte unter Aufsicht der Showrunner Greg Berlanti („Dawson’s Creek“, „Club der gebrochenen Herzen“, „Arrow“) und Sera Gamble an, sich nach und nach von den Buchvorlagen zu lösen. Nur Staffel 1 entspricht eins-zu-eins dem Roman von Kepnes. Dennoch bleiben grundsätzliche Handlungsstränge im weiteren Verlauf deckungsgleich, doch die Akzente verschieben sich.

Nach den Ereignissen in New York und der „Beziehung“ mit Beck bewegt sich die Handlung nach Los Angeles, wo Joe den kalifornischen Lebensstil und die selbstverliebten Möchtegerns vor Ort genauer analysiert und dezimiert. Dann zieht er mit seiner Ehefrau Love in einen Vorort von San Francisco, wo ihr gemeinsamer Sohn Henry zur Welt kommt.

Hidden Bodies

Fans der Netflix-Serie wissen, dass Joe am Ende von Staffel 3 ein Duell mit seiner eigenen mörderischen Ehefrau ausfechten musste. Bis zum letzten Moment bleibt unklar, wer dieses Duell überlebt – und vor allem wie.

Im jüngst veröffentlichten Trailer zu Staffel 4 sehen wir, dass Joe mit Vollbart (und ohne seine Zehen, die er sich am Ende von Staffel 3 abgeschnitten hat, um seinen eigenen Tod vorzutäuschen) nach England gezogen ist und dort in der Eliteuniversität Cambridge auf britische Intellektuelle trifft, die sich ihm gegenüber reichlich snobistisch benehmen. Keine gute Idee, wenn man es mit einem Serienkiller zu tun hat, der Leute mit prätentiösen Allüren gnadenlos abstraft.

Seinen Sohn Henry hat Joe übrigens bei einem schwulen Nachbarspaar zurückgelassen, weil er glaubt, das Kind werde da behüteter aufwachsen als bei ihm. Das ist wahrscheinlich ein kleiner LGBT-Touch von Berlanti, der selbst mit dem US-Fußballer Robbie Rogers liiert ist und mit ihm zwei Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft großzieht.

You Love Me

Die „You“-Romane gehen andere Wege

In der Ankündigung der Roman-Neuerscheinung für April ist Joe nicht in England und Paris unterwegs (wie bei Netflix), sondern bekommt stattdessen eine Fellowship an der Elite-Universität Harvard an der US-amerikanischen Ostküste, um selbst ein Buch zu schreiben. An der Uni trifft er zwischen den anderen Autoren, die im Gegensatz zu ihm alle schon erfolgreich publiziert haben, Wonder Parish, die ebenfalls keinen Hochschulabschluss hat und einfach nur Literatur liebt – wie Joe. Sie hat Probleme, sich aufs Schreiben ihres Buchs zu konzentrieren. Und Joe beschließt, ihr zu helfen. Nach dem Motto: Man kann nur erfolgreich über das schreiben, was man selbst erlebt hat.

„Mit ihrem typisch beißenden Humor untersucht Caroline Kepnes, warum besonders verletzliche Personen wie Wonder Parish in Joe und anderen die schlechtesten Eigenschaften zum Vorschein bringen“, heißt es in der Verlagsankündigung. Der Verlag weiter: „Wenn auf den Straßen von Cambridge ein bisschen rubinrotes Blut herunterströmt … wer wird Joe das zur Last legen?“ (Zur Erinnerung: Harvard liegt in Cambridge, Massachusetts.) Und: „Die Liebe überwindet nicht alles, oft braucht’s ein bisschen Nachdruck.“

Wer sich auf die Geschichte einlassen will, sollte unbedingt von vorn anfangen mit Teil 1 der „You“-Tetralogie. Badgley meint, es seien meist Männer, die über Joes Verhalten entsetzt seien. Während entsprechendes Benehmen für viele Frauen keine allzu große Neuigkeit ist. „Er ist wie ein Alptraum, den sie schon öfter hatten“, so Badgley, „während Männer meist denken: ‚Das ist doch nicht realistisch!‘ Frauen antworten darauf: ‚Natürlich ist das nicht realistisch, aber es ist extrem repräsentativ.“ Es ist etwas, womit sich Frauen regelmäßig rumschlagen müssen. Und wofür ihnen Autorin Kepnes indirekt eine Mitschuld gibt, indem sie das Verhalten seziert, mit dem Frauen Männer wie Joe überhaupt erst in die Lage versetzen, solch geballte Toxizität zu entfalten. Angesichts der aktuellen Diskussionen in unsere Gesellschaft über toxische Männlichkeit, ist es nicht überraschend, dass „You“ in allen verfügbaren Formaten derartigen Anklang gefunden hat.

You, Staffel 4: So geht die Serie weiter

Badgley weist auch darauf hin, dass die Mehrzahl der Fans sicher nicht so positiv auf Joe und sein Verhalten gegenüber Frauen reagieren würde, wenn er nicht ein junger, attraktiver weißer Mann wäre. Womit Kepnes die unzähligen Privilegien dieser Gruppe von Männern in einem zweiten, sozialkritischen Schritt entlarvt. Und zur Diskussion stellt.

For You and Only You

Einige Journalisten äußerten die Sorge, dass im neuen vierten Teil der Geschichte nur Wiederholungen und Variationen des bereits Bekannten vorkommen könnten. Allerdings hatte Badgley nach dem Flammeninferno-Finale von Staffel 3 erklärt, dass er daran interessiert sei, das Verhältnis seiner Figur „zu sich selbst“ genauer ins Visier zu nehmen, statt das zu einer weiteren Frau. Außerdem ist er – nach allem, was bisher bekannt ist – diesmal nicht derjenige, der andere verfolgt und stalkt, sondern es scheint, er ist nun selbst umgeben von Mördern und auf dem Radar von jemand anderem. Die Zeitschrift Collider meint, das sei „eine willkommene Abwechslung in dieser mitreißenden Thriller-Reihe“.

Wenn Kepnes eines wunderbar kann, dann ist es spannende Wendungen zu kreieren. Die New York Times nannte sie „eine Zauberin, wenn’s ums Geschichtenerzählen geht“. Denn der permanente Schlag ins Gesicht, den Joes innere Monologe auslösen, sei nichts anderes als „brillant“. Dagegen käme nicht mal Patricia Highsmiths unmoralischer Antiheld Tom Ripley an, der Kepnes ganz offensichtlich als Inspiration gedient habe.

Der neue Teil ist demnach eine „schalkhafte Satire“ auf die Buchbranche, mit ihren aufgeblasenen Egos und angsterfüllten Abgründen. Darüber zu lesen, im vierten „You“-Buch, sei wie immer: „garantiert unterhaltsam“.

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